Kommentar

Leitmedien zum AHV-Fehler: peinlich, peinlich, super peinlich

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  SRF-Tagesschau, Tamedia-Zeitungen und «Blick» lasen nicht einmal das Communiqué des BSV korrekt. Und wie sie jetzt berichtigen.

Die AHV-Finanzen sind hochpolitisch: Es ging um das höhere Rentenalter für Frauen und um die 13. AHV-Rente. 

Am 6. August gab das Bundesamt für Sozialversicherung BSV einen gravierenden Berechnungsfehler zu. Bis im Jahr 2033 braucht die AHV happige 14 Milliarden Franken weniger Geld als bisher vom Bundesamt für Sozialversicherungen prognostiziert. Bereits verlangen Gegner des höheren Rentenalters für Frauen eine neue Volksabstimmung.

Den Medien musste klar sein, dass PR-Abteilungen der Behörden – wie auch jene der Konzerne – nach Pannen und Fehlverhalten das Möglichste tun, um die Folgen kleinzureden. 

So schrieb das BSV in der fettgedruckten Einleitung seines Communiqués: 

«2033 dürften die AHV-Ausgaben rund 4 Milliarden Franken oder rund 6 Prozent tiefer ausfallen, als bisher berechnet.»

Erst weiter unten in der Mitteilung und in normaler Schrift präzisierte das BSV:

«2028 werden die AHV-Ausgaben voraussichtlich rund 1 Milliarde tiefer liegen, was einer Abweichung von 1.5 Prozent entspricht. 2030 dürfte die Überschätzung auf rund 2 Milliarden (3%) und bis 2033 auf rund 4 Milliarden Franken ansteigen.»

Das perfide und irreführende im BSV-Communiqué war die Formulierung: Die Überschatzung «dürfte bis 2033» auf rund 4 Milliarden ansteigen. Korrekt wäre «dürfte im Jahr 2033» rund 4 Milliarden sein.

Tatsächlich führt die Fehlprognose im Laufe der Jahre zu immer höheren jährlichen Minderausgaben als bisher prognostiziert. Im Jahr 2030 sind es 2 Milliarden und im Jahr 2033 rund 4 Milliarden. Im Jahr 2040 werden die Ausgaben um noch viel mehr Milliarden geringer sein als bisher prognostiziert. Kumuliert bis 2033 braucht die AHV 14 Milliarden Franken weniger als vom BSV bisher immer angegeben.

Zu viele Journalistinnen und Journalisten lasen das BSV-Communiqué nicht genau und liessen sich von diesem «bis» und anderen Formulierungen irreführen.

Beispielsweise Florian Inhauser in der «Tagesschau» vom 7. August:

«Die AHV-Ausgaben dürften bis 2033 um rund 4 Milliarden Franken pro Jahr tiefer ausfallen als bisher angenommen […] Um 4 Milliarden hat sich das Amt bei der Berechnung der Finanzlage der AHV vertan.»

Beides ist falsch: Es sind nicht 4 Milliarden pro Jahr. Und noch viel weniger geht es um insgesamt 4 Milliarden Franken. Das hat Marco Diener auf infosperber richtiggestellt.

Auf ihrer Webseite schrieb SRF: 

«Vier Milliarden Franken mehr als gedacht stehen der AHV bis 2033 zur Verfügung.»

Das ist grundfalsch, wird jedoch die PR-Leute des Bundesamts in Freude versetzen.

Auf den Frontseiten der Tamedia-Zeitungen schrieben Iwan Städler und Charlotte Walser: Das BSV habe sich

«um gleich vier Milliarden Franken pro Jahr verrechnet, wie es mitteilte». 

Es hapert etwas mit der Pisa-Lesekompetenz. Denn in der BSV-Mitteilung steht nichts von 4 Milliarden «pro Jahr». Vielmehr steht dort 4 Milliarden «im Jahr 2033».

Im «Blick» verbreiteten Lea Hartmann und Tobias Ochsenbein die Falschinformation:

«Bis 2033 dürften die AHV-Ausgaben um satte 4 Milliarden Franken oder etwa 6 Prozent niedriger ausfallen als gedacht.»

Tatsächlich stehen der AHV bis 2033 noch viel sattere 14 Milliarden Franken mehr zur Verfügung.

In der «Aargauer Zeitung» der CH-Medien verbreiteten Stefan Bühler, Doris Kleck und Reto Wattenhofer die gleiche Falschmeldung:

«So dürften die AHV-Ausgaben bis 2033 rund 4 Milliarden Franken oder rund 6 Prozent tiefer ausfallen.»

Das Sechsaugenprinzip hat offensichtlich nicht geholfen, diese Fehlinformation zu vermeiden.

In der «NZZ» schrieb Fabian Schäfer auf der Frontseite:

«Die Ausgaben dürften 2033 um 4 Milliarden Franken oder 6 Prozent geringer ausfallen als bisher erwartet.»

Das ist korrekt. Die NZZ informierte jedoch nicht, dass die Ausgaben bis 2033 um 14 Milliarden geringer ausfallen als erwartet.

Es ist zu erwarten, dass SRF und die genannten Medien ihre Falschinformationen am 8. August berichtigen werden. Wir werden an dieser Stelle darüber informieren.

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Medienreaktionen am 8. August

Die SRF-Tagesschau korrigierte ihre Fehlermeldung vom Vortag gleich zu Beginn der Sendung und zitierte auch Infosperber:

«Unklare Angabe: Der Rechenfehler bei der AHV ist weit grösser als vom Bund kommuniziert […] Das Bundesamt für Sozialversicherungen informierte gestern, man habe sich um vier Milliarden Franken verrechnet. Eine Zahl, die in vielen Medien für Verwirrung sorgte, auch bei uns. Wir haben irrtümlich von vier Milliarden jährlich gesprochen […] Doch das ist nicht alles, wie auch die Online-Plattform Infosperber heute schreibt, denn die falschen Prognosen summieren sich über die Jahre […] Das Bundesamt verrechnete sich zwischen den Jahren 2027 und 2033 um 14 Milliarden Franken.»


Die NZZ gibt die korrekte Zahl innerhalb eines längeren Artikels an:

«Das Sozialwerk wird in den Jahren von 2027 bis 2033 gesamthaft rund 14 Milliarden Franken weniger ausgeben als projiziert.»


Der «Tages-Anzeiger» und mit ihm viele Tamedia-Zeitungen korrigieren den am Vortag verbreiteten Fehler nicht, sondern wiederholen ihn sogar.

So schreibt Iwan Städler auch am Tag danach:

« Können Fehler, die zu Abweichungen bei der AHV von vier Milliarden Franken führen, über Jahre unentdeckt bleiben?»

Und Charlotte Walser verbreitet in einem Beitrag über die Absicht der Grünen, Beschwerde zum Frauenrentenalter einzureichen, die Falschangabe ebenfalls:

«Der Rechnungsfehler – vier Milliarden Franken – …» 


Die «Aargauer-Zeitung» der CH-Media-Gruppe informiert heute korrekt, aber unvollständig, und ohne die Falschinformation vom Vortag zu erwähnen («So dürften die AHV-Ausgaben bis 2033 rund 4 Milliarden Franken tiefer ausfallen.»):

«2033 dürften die AHV-Ausgaben 4 Milliarden Franken tiefer ausfallen als bislang berechnet.»

AHV-

Dass die Fehlberechnung bis zum Jahr 2033 ganze 14 Milliarden beträgt, verschweigt die «Aargauer Zeitung».


Auch der «Blick» korrigiert seine Falschmeldung vom Vortag nicht, sondern erwähnt im heutigen Artikel einfach:

«Wegen zweier Fehler im Berechnungsprogramm hat sich der Bund um mehrere Milliarden verrechnet.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Kritik von TV-Sendungen

Fehler passieren überall. Beim nationalen Fernseh-Sender sind sie besonders ärgerlich. Lob und Tadel.

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Kritik von Zeitungsartikeln

Printmedien üben sich kaum mehr in gegenseitiger Blattkritik. Infosperber holt dies ab und zu nach.

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4 Meinungen

  • am 8.08.2024 um 01:46 Uhr
    Permalink

    Es erscheint mir äusserst unwahrscheinlich, dass ausgebildete Statistiker über viele Jahre hinweg die AHV-Entwicklung derart falsch berechnet haben. Auch die plumpe Vernebelungstaktik der verantwortlichen Chefs weist darauf hin, dass eine politische Absicht bürgerlicher Politiker hinter den falschen Zahlen steckt. Jahrelang versuchten sie bei Abstimmungen und Debatten, im Volk Panik betreffend der Zukunft der Sozialwerke auszulösen und damit schäbige Kompromisse zulasten der Lohn- und Rentenabhängigen zu bewirken. Jetzt wird den bösartigen Finanzakrobaten im Bund die biedermännische Maske herunter gerissen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Verantwortlichen im Bundesrat und der Verwaltung einmal mehr einen Skandal vernebeln und mit jahrelangen «Untersuchungen» aussitzen wollen. Jetzt müssen Köpfe rollen!

  • am 8.08.2024 um 13:23 Uhr
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    «… um mehrere Milliarden verrechnet.»
    Hier haben wir ein Musterbeispiel der Kommunikation, wie aus einem Lehrbuch: Sich mit Halbwahrheiten möglichst diskret aus dem Drecksturm zu ziehen und dabei Drahtzieher wie Geldgebern auf keinen Fall verärgern. Eine bewundernswerte Leistung.
    Dieselben Medien jammern dann noch gern über schwindende Abonnentenzahl. Tja, wen wundert es noch.

  • am 8.08.2024 um 17:15 Uhr
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    Ich pauschalisiere sonst nicht gerne. Aber jetzt sollte man dem Parlament und dem Bundesrat die gelb/rote Karte zeigen und alle vom Platz verweisen. Das Vertrauen ist futsch und eine tiefgreifende Korrektur der peinlichen Situation nicht in Sicht. Bisher hat sich unsere allerliebste Landesmutter und BR-Präsidentin nicht zu Wort gemeldet. Sie müsste das aber und um das verlorene Vertrauen kämpfen. Um von dieser AHV-Verrechnerei abzulenken, schickt die SVP den tapferen Ueli vor.

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