Gerhard Pfisters Hintergedanken beim Einsatz für Frauenrenten
«So ein Abbau der Frauenrenten kommt nicht in Frage!», liess sich der Präsident der Partei mit dem Namen «Die Mitte» im «Blick» zitieren. Er reagierte damit auf den Beschluss der Ständeratskommission, die geplante Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre nur mit 440 Millionen Franken zu kompensieren und nicht, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, mit 700 Millionen Franken. Um sein Bekenntnis als Frauenversteher zu bekräftigen, drohte Pfister auch gleich mit dem Referendum, wenn weniger als 700 Millionen ausbezahlt und weniger als neun Übergangsjahre beschlossen würden. «Ich habe viele Rückmeldungen gerade von Mitte-Frauen erhalten, die eine solche Abbauvorlage nicht mittragen werden», rapportiert Pfister im Interview. Um dann den Satz anzufügen, der beweist, dass die Partei zwar ihren Namen geändert hat, die Schwerpunkte der katholischen CVP aber die gleichen geblieben sind: «Andere lehnen ein höheres Frauenrentenalter ab, solange die Heiratsstrafe bei der AHV nicht beseitigt ist.» Wer aufmerksam liest, merkt, dass dieser Nachsatz der Preis für den Frauensupport sein wird. Denn: Die ständerätliche Kommission hat ebenfalls beschlossen, zwar bei den Frauen zu kürzen, dafür zusätzlich 650 Millionen für eine Erhöhung des Ehepaar-Plafonds in der AHV auszugeben. Eine alte Forderung der CVP, gegen die es Widerstand geben wird. Mit seinem Interview hat Pfister deshalb aufgezeigt, was der Preis für den Support für die Frauenrenten sein wird.
Zivilstand über alles: Bei den Steuern …
Der Zivilstand ist das Steckenpferd der neuen alten Partei. Und sie wird nicht müde, traditionelle Familienformen ins Zentrum der Mitte zu rücken. Die Partei bemängelt zu Recht, dass ein verheiratetes Ehepaar bei der Bundessteuer gegenüber einem Konkubinatspaar benachteiligt ist, da beide Einkommen zusammengezählt und so oft eine höhere Progression erreicht wird. Dass diese Ungleichheit abgeschafft gehört, hat auch das Bundesgericht festgestellt. Allerdings sind bis heute sämtliche Lösungsvorschläge für eine Revision des Steuerrechts gescheitert, zuletzt die CVP-eigene Initiative mit dem Namen «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe». Da der Bund falsche Zahlen geliefert hatte, wurde die Abstimmung später für ungültig erklärt. Gescheitert ist die Initiative aber vor allem daran, dass sie die Ehe als «auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau», in der Verfassung festschreiben wollte. Die damalige CVP legte sich also selber Steine in den Weg, weil sie sich auf den Zivilstand und was der denn zu bedeuten habe, kaprizierte. Dabei hatte sie völlig verkannt, dass die Ehe für alle breit akzeptiert und seit Dezember letzten Jahres nun auch in der Schweiz gesetzlich verankert ist.
Bei der Revision des Steuerrechts geht es längst nicht mehr nur um Zahlen und Abzüge, sondern um gesellschaftspolitische Überzeugungen. Verschiedene Vorschläge sind in den letzten Jahren sang- und klanglos gescheitert. Seit mehr als einem Jahr ist eine Motion von Christa Markwalder (FDP) und 103 (!) MitunterzeichnerInnen hängig, die den Systemwechsel zur Individualbesteuerung fordern. Dabei sollen Familienpflichten nach wie vor mit Abzügen entlastet werden. Diese wären aber nicht an den Zivilstand gebunden, sondern daran, welche Betreuungspflichten jemand wahrnimmt. FDP und SP bevorzugen diese Lösung, die Mitte und die SVP lehnen sie ab. Der Bundesrat seinerseits will weiter am bisherigen Steuerrecht weiterbasteln, ist aber einmal mehr gescheitert. Nun versuchen es die FDP-Frauen mit einer Volksinitiative zur Individualbesteuerung. Am Wochenende hat ihr die SP Unterstützung angeboten. Noch bevor die erste Unterschrift gesammelt ist, macht die Mitte, durch ihren Ständerat Pirmin Bischof, bereits wieder Fundamentalopposition: Gegenüber dem «Echo der Zeit» sagte er, sie benachteilige Einverdienerehepaare und damit das «traditionelle Familienmodell.»
Was Bischof als Familienmodell propagiert, hat immer weniger mit der Realität zu tun. Bereits 2015 schrieb der Bundesrat in einem Bericht zur Modernisierung des Familienrechts: Viele Frauen blieben nach einer Heirat erwerbstätig, «sei dies auf eigenen Wunsch, sei dies, weil sie aus wirtschaftlichen Gründen dazu gezwungen werden.» Auch die Anzahl der Frauen mit Kindern, die einer (teilzeitlichen) Erwerbstätigkeit ausser Haus nachgehen, sei im Steigen begriffen, die Schweiz erreiche hier im Vergleich mit anderen Volkswirtschaften Europas gar einen Spitzenwert, wobei allerdings kleinere Pensen überwögen. Gleichzeitig seien 50‘000 nicht erwerbstätige Hausfrauen in der Schweiz Hochschulabsolventinnen», so der Bericht. Und weiter: «Schliesslich ist die Zahl der Frauen gross, die nach einer Scheidung aus wirtschaftlicher Notwendigkeit eine bezahlte Arbeit annehmen. Berücksichtigt man den Umstand, dass statistisch betrachtet praktisch gleich viele Ehen geschieden wie geschlossen werden, wird sich der Trend zur ausserhäuslichen bezahlten Beschäftigung der Frauen noch verstärken.» Denn: «Bei einer Scheidung vermag ein Erwerbseinkommen die Finanzierung von zwei Haushalten und die Erziehung eines oder mehrerer Kinder in vielen Fällen nicht abzudecken.» Vereinfacht gesagt: Wer sich auf das Familienmodell mit einem Ernährer verlässt, geht bei einer Scheidung ein grosses finanzielles Risiko ein. Für sich und die Kinder. Es ist also realitätsfremd, genau dieses Lebensmodell zu verteidigen.
… und bei der AHV
Auch bei der AHV kämpfte die CVP seit Jahren für Änderungen gemäss «ihrem» Familienmodell. Sie stört sich vor allem daran, dass AHV-Renten von Ehepaaren auf 150 Prozent der Maximalrente begrenzt sind und möchte diesen Plafond auf 155 Prozent erhöhen. Den Plafond, der notabene nur die höheren Einkommen betrifft, ist das, was Pfister im Interview als «Heiratsstrafe» bezeichnet. Auch hier lohnt sich ein Blick in den Bericht des Bundesrates zum Familienrecht. «Festhalten lässt sich, dass Ehepaare sowie eingetragene Paare wegen der Plafonierung der Rentenhöhe in der AHV und IV schlechter gestellt sind als unverheiratete Paare. Diese Benachteiligung darf jedoch nicht isoliert betrachtet werden: Berücksichtigt man die übrigen Leistungen der Sozialversicherungen, so lässt sich feststellen, dass Ehepaare und eingetragene Paare in den Sozialwerken gesamthaft bessergestellt sind als faktische Lebensgemeinschaften. Die Privilegien für erstere machen in der AHV jährlich rund 2.8 Milliarden Franken aus, während die Einsparungen infolge der Plafonierung rund 2 Milliarden betragen. Insgesamt resultiert damit ein Überschuss für Verheiratete und eingetragene Paare von 800 Millionen Franken pro Jahr.» (Leistungen, die bei der AHV nur Ehepaaren und Paaren in eingetragener Partnerschaft zugute kommen sind beispielsweise Witwer- oder Witwenrenten; beschränkte oder keine Beitragspflicht für nicht-erwerbstätige Ehegatten, Verwitwetenzuschlag, bei der 2. Säule gibt es ebenfalls Privilegien.)
Möchten Gerhard Pfister und seine Partei also etwas für die Frauen tun, müssten sie allfällige Erhöhungen in der AHV an die Erziehungs- und Betreuungsarbeit knüpfen und nicht an den Zivilstand. Und endlich aufhören, bei den Sozialversicherungen von einer Heiratsstrafe zu sprechen. Es gibt sie nicht.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Ich finde, die Individualbesteuerung ist wesentlich moderner, vor allem, wenn man sich die preisliche entwicklung des Wohnraums ansieht. Den man sich als Alleinverdiener in Zürich kaum mehr leisten kann.Jedenfalls nicht nach SKOS-Richtlinien, mit ca. 30% der Einnahmen. Wie auch immer. Hauptsache die Anlaufstellen für Zivil- und Standesgerichte werden bald wieder geöffnet.
Als meine Frau mit 64 das Rentenalter erreichte, wurde mir pro Monat 700 CHF von der Rente gestrichen. Natürlich erhilt auch meine Frau eine entsprechend gekürzte Rente.
Ich sehe keinen finanziellen Bonus im CH-Altersvorsogesystem, wohl aber eine «effektive» Heiratsstrafe. Das schleckt keine Geiss weg.
Die Progressivität der Steuersätze ist hier nur noch die «cerise sur le gâteau».
Spannend, leider werden auch hier komplexe Soziale Dilemmata in unserer Gesellschaft mittels realitätsfernen Zahlenakrobatik ad absurdum geführt. Wer aber Personen und Parteien aufgrund ihrer religiösen Gesinnungen zu diskreditieren und zu diskriminieren versucht, setzt die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel.
Wo ist nur der Respekt geblieben? Da scheint die Mitte ja doch eine echte Alternative zwischen den Extremen Polen anderer Parteien zu sein, welche offensichtlich nicht dazu in der Lage sind, die Integrität und Würde des Individuums zu berücksichtigen.