Andi Silberschmidt FDP Sandro Brotz

SRF-Arena vom 27. September 2024: FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt zu Moderator Sandro Brotz: «Man sollte die Qualiät der Behandlungen besser entschädigen und nicht nur die Menge der Behandlungen.» © SRF

Bei Prämien herrscht ein ähnlicher Zahlensalat wie bei der AHV

Urs P. Gasche /  Niemand weiss, wie viel die versicherten Leistungen der obligatorischen Grundversicherung genau kosten: Rund 50 Milliarden Franken.

Das Krankenversicherungsgesetz KVG und die dazu gehörenden Verordnungen schreiben genau vor, welche Leistungen obligatorisch versichert sind. Finanziert werden diese Leistungen mit Krankenkassenprämien, Steuergeldern und Kostenbeteiligungen der Versicherten.

Alle sind verpflichtet, sich an diesen Kosten solidarisch zu beteiligen. Umso mehr erstaunt es, dass niemand sagen kann, wie hoch denn diese Kosten insgesamt genau sind: Weder das Bundesamt für Statistik noch die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren noch die Krankenkassen noch Gesundheitsökonomen an Universitäten. Lediglich das Bundesamt für Gesundheit BAG hatte für das Jahr 2019 aufgrund einer parlamentarischen Anfrage einmal eine Schätzung gemacht.

Spitäler müssen KVG-Leistungen nicht separat ausweisen

Das BAG teilte Infosperber mit:

«Das gesamte Kostenvolumen der Leistungen nach KVG kann nicht exakt abgegrenzt werden. Der Grund dafür ist, dass die Kantone bei den Mitteln, die sie an Spitäler überweisen, nicht verpflichtet sind, die Vergütungen für KVG-Leistungen getrennt auszuweisen. Dasselbe gilt für die Restfinanzierungen der Pflegeleistungen.»

Die Kantone müssen den Spitälern 55 Prozent aller versicherten KVG-Leistungen zahlen. Zusätzlich zahlen die Kantone den Spitälern noch für Aus- und Weiterbildung sowie für Forschungstätigkeiten. Diese Ausgaben dürfen die Spitäler nicht auf die Versicherten abwälzen. 

Offensichtlich wird diese Abgrenzung weder durchgesetzt noch kontrolliert. Die Kassen müssen einfach 45 Prozent der Spitalrechnungen zahlen. Das BAG schaut zu und fordert keinen transparenten Nachweis der kassenpflichtigen Spitalleistungen. Deshalb kann das BAG diese auch nur schätzen. Und das BAG kann sie auch nicht jedes Jahr bekanntgeben.

Verwirrende Zahlen

Es herrscht ein vermeidbarer Zahlensalat. Die einen nennen Gesundheitskosten in der Schweiz von 91,5 Milliarden Franken (2022), andere nennen 34,589 Milliarden (Kosten der Krankenkassen netto 2023) oder 39,9 Milliarden (brutto).

Über die Kosten aller Pflichtleistungen sind verschiedene Schätzungen im Umlauf.

Manchmal werden die vom BFS ausgewiesenen 91,5 Milliarden verwendet. Doch diese haben mit der sozialen Krankenversicherung nichts zu tun: weder mit den Prämien noch mit den Steuergeldern für die obligatorischen KVG-Leistungen. Bei Diskussionen um die Höhe und die Finanzierung der Prämien sollte man diese Zahl schon gar nicht ins Spiel bringen.

Entscheidend sind einerseits die Pflichtausgaben der Krankenkassen: Sie bestimmen das Niveau der Prämien in den einzelnen Kantonen. Und entscheidend sind andererseits die Kosten der Spitäler für obligatorisch versicherte Leistungen: Sie bestimmen die Höhe der Steuergelder, die für diese Leistungen zusätzlich zu den Kassenbeiträgen verwendet werden müssen. 

Hier steckt der Kern des Problems: Die Spitäler müssen die Kosten für versicherte Leistungen nicht von anderen Kosten abgrenzen. Entsprechend liefern die Spitäler die Kosten für diese Leistungen auch nicht dem Bundesamt für Statistik. Und deshalb kann das Bundesamt darüber auch keine Auskunft geben.

Weitere Verwirrung stiftet das BAG: Unter dem Begriff «Kosten der obligatorischen Krankenversicherung» lässt es mehr als die Hälfte der Spitalkosten weg, weil der Rest von Steuern finanziert wird. Unter den «Kosten für Medikamente» versteht das BAG lediglich die kassenpflichtigen Medikamente, welche Ärzte ambulant verschreiben. Die vielen teuren Medikamente, welche die Spitäler abgeben, zählt das BAG nicht zu den Medikamenten, sondern zu den Spitalkosten – zur Freude der Pharmafirmen, weil der Kostenanteil der Medikamente an den obligatorischen Gesundheitskosten dann etwas weniger hoch ausgewiesen wird als er tatsächlich ist.

Sozial finanzierte Pflichtleistungen kosten rund 50 Milliarden Franken

Aufgrund der erwähnten Schätzung des BAG für das Jahr 2019 und aufgrund von Abgrenzungen durch Infosperber erreichten die Kosten der obligatorischen Grundversicherung im Jahr 2023 rund 50 Milliarden Franken. 

Fast die Hälfte aller Gesundheitsausgaben von 91,5 Milliarden (2022) geht also nicht aufs Konto der obligatorisch versicherten Leistungen. Für dieses Geld leisten sich Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz Zusatzversicherungen (wie privat oder halbprivat im Spital), Zahnbehandlungen, Sehhilfen, nicht gedeckte Leistungen der Komplementärmedizin, alternative Heilmethoden, kosmetische Eingriffe, nichtmedizinische Leistungen der Langzeitpflege, Zahnpasten, Hautcrèmes und andere Produkte der Körperpflege.


Kosten für obligatorische Leistungen im Jahr 2023:
Rund 50 Milliarden Franken

Prämien Krankenkassen      34,589 Milliarden CHF
Selbstzahlungen bei Kassen5,340 Milliarden CHF
Steuern für Spitalbehandlungen*8,994 Milliarden CHF
Selbstzahlungen in Spitälern0,619 Milliarden CHF
Total49,542 Milliarden CHF
*Kassenkosten für Spitäler 7,359 Miiliarden CHF. Das sind 45 Prozent der Spitalkosten. 55 Prozent sind mit Steuern bezahlt: 8,994 Milliarden CHF.



Im laufenden Jahr 2024 werden die Kosten der obligatorischen KVG-Leistungen 50 Milliarden Franken übersteigen. Laut BAG könnte man noch etwa eine Milliarde Franken dazu zählen. Es handle sich um spezielle Patientenbeiträge für obligatorische Pflegeleistungen.


Kleiner Faktencheck der Arena-Sendung

Arena-Redaktion

Einspieler Kosten Arena
Diese Kosten haben nichts mit den prämienrelevanten Kosten der obligatorischen Leistungen zu tun.

Während der ganzen Sendung wurde nur über Kosten und Massnahmen diskutiert, welche die obligatorischen KVG-Leistungen betrafen. Nur diese Leistungen führen zu höheren Prämien und zu einer höheren Steuerbelastung. Trotzdem zeigte die Arena in einem «Erklärvideo» (siehe Bild) Zahlen, die keinen näheren Zusammenhang mit höheren Prämien oder höheren Steuerbelastungen zu tun haben: die Zunahme der gesamten Gesundheitsausgaben einschliesslich Zahnbehandlungen, Sehhilfen, nicht gedeckte Leistungen der Komplementärmedizin, alternative Heilmethoden, kosmetische Eingriffe, nichtmedizinische Leistungen der Langzeitpflege, Zahnpasten, Hautcrèmes und andere Produkte der Körperpflege.
Moderator Sandro Brotz bleibt bei seinen Zahlen: «In der Sendung ging es nicht allein um die Prämienerhöhungen, sondern um das Gesundheitswesen insgesamt.»


SP-Nationalrätin Mattea Meyer

Mattea Meyer
SP-Nationalrätin Mattea Meyer: «Wir gehen im Vergleich zum Ausland nicht viel ins Spital.»

Sie behauptete:

«60 Prozent aller Gesundheitsausgaben zahlen wir aus der eigenen Tasche.»

Es ist die falsche Vergleichsgrösse. Es sind rund 60 Prozent aller Gesundheitsausgaben (siehe oben). Doch von allen obligatorischen KVG-Leistungen zahlen die Versicherten 14 Prozent aus der eigenen Tasche (siehe Tabelle oben).

Sie behauptete:

«Wir gehen im Vergleich mit dem Ausland nicht zu viel ins Spital».

Richtig ist, dass Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz im Vergleich zu den Holländern, Schweden, Norwegern oder Finnen deutlich häufiger und länger in Spitälern liegen und insgesamt auch häufiger operiert werden.

Seit Sonntag Nachmittag bis Dienstag 10.30 Uhr nahm Mattea Meyer dazu nicht Stellung. Falls noch eine Stellungnahme eintrifft, werden wir hier darüber informieren.

SVP-Nationalrat Rémy Wyssmann

Wyssmann argumentierte kaum mit Fakten und Zahlen, sondern forderte einfach, dass das BAG entmachtet wird und die obligatorischen KVG-Leistungen unter das private Versicherungsrecht fallen.

FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt

Silberschmidts Darstellungen der Fakten und Zahlen halten einem Faktencheck stand. Er forderte, dass man die Qualiät der Behandlungen entschädigen sollte und nicht vor allem die Menge der Behandlungen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

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Gesundheitskosten

Jeden achten Franken geben wir für Gesundheit aus – mit Steuern und Prämien. Der Nutzen ist häufig zweifelhaft.

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Eine Meinung zu

  • am 1.10.2024 um 15:00 Uhr
    Permalink

    Der Zahlensalat ist gewollt. Solange alle auf der Dienstleistungsseite involvierten Personen, Ämter und Firmen von der intransparenten Situation profitieren, will niemand so genau hinschauen.
    Und bitte : Solidarisch ist das Krankenkassensystem überhaupt nicht. Solange Höchstverdiener dieselben Kopfprämien zahlen wie Arbeitslose und alle Regionen des Landes unterschiedliche Prämienansätze aufweisen, ist nichts mit Solidarität – trotz Prämienverbilligungen, die ja wiederum von allen gleich mitbezahlt werden.
    Die Politik kann und muss darum endlich mit all dem Schönreden aufhören und erkennen, dass wir im falschen Zug sitzen : Es gibt nur eine Lösung, die erreicht, dass die Prämien sinken und die Leistungen gleich gut bleiben –
    Die Aufhebung des KK-Obligatoriums.

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