Murat Yakin: «Granit übernimmt Verantwortung»
Zugegeben: Zuerst fällte der deutsche Schiedsrichter Daniel Siebert im Nations-League-Spiel zwischen Dänemark und der Schweiz einen krassen Fehlentscheid. Er stellte den Schweizer Verteidiger Nico Elvedi vom Platz, obwohl der dänische Stürmer Kasper Dolberg gefoult hatte.
Was anschliessend folgte war allerdings ein unrühmliches Stück Schweizer Sportgeschichte. Der dänische Verteidiger Jannik Vestergaard trat dem Schweizer Stürmer Breel Embolo ohne Absicht auf die Hand. Die Dänen spielten danach den Ball nicht ins Aus, damit Embolo hätte gepflegt werden können. Schiedsrichter Sieber unterbrach das Spiel nicht. Die Schweizer Freuler, Xhaka und Rodriguez reklamierten, statt zu verteidigen. Und die Dänen erzielten prompt das 1:0.
Wichtig zu wissen: Es gibt keine Regel, die es den Dänen verbieten würde, weiterzuspielen, während Embolo am Boden liegt. Und auch der Schiedsrichter ist nicht verpflichtet, das Spiel zu unterbrechen.
Dennoch verlieren die Schweizer nach dem Gegentor die Nerven. Besonders Captain Granit Xhaka. Er legt sich mit allen an. Kann von den Mitspielern nur mit Mühe zurückgehalten werden. Und nimmt schliesslich den dänischen Captain Pierre-Emile Højbjerg in den Schwitzkasten. Er sieht – wie auch Akanji und Zakaria – die Gelbe Karte.
Vier Minuten später hat es Xhaka nochmals auf Højbjerg abgesehen. Obwohl dieser den Ball längst abgespielt hat, holt ihn Xhaka rüde von den Beinen und sieht die Rote Karte. Kurz darauf kassiert die Schweiz das 0:2 und verliert das Spiel.
Und was macht Trainer Murat Yakin? Staucht er Xhaka für seine Dummheiten zusammen? Mitnichten.
Gegenüber dem Schweizer Fernsehen beklagt er sich einerseits über den Gegner: «Das war kein Fairplay der Dänen.»
Er hadert mit dem Schicksal. «Es ist halt alles ein bisschen gegen uns gelaufen.»
Und am Schluss nimmt er seinen Captain sogar noch in Schutz: «Er übernimmt da Verantwortung. Er will sich wehren.»
Verantwortung wofür? Und wehren wogegen? Xhaka war es doch, der sich mehr oder weniger mit jedem Dänen, der in der Nähe stand, anlegte. Weder er noch Trainer Yakin gaben ein gutes Bild ab. Hoffentlich sassen nicht allzu viele Fussball-Junioren und -Juniorinnen vor dem Fernseher. Denn Vorbilder verhalten sich anders – egal ob Spieler oder Trainer.
Dass Sportfunktionäre ihre Sportler trotz allem in Schutz nehmen – das ist leider üblich geworden.
Unvergessen ist das Super-League-Spiel zwischen St. Gallen und den Berner Young Boys vor einem guten Monat. Da ärgerte sich YB-Goalie David von Ballmoos masslos über seinen Mitspieler Jaouen Hadjam. Er ging auf ihn los und packte ihn am Kragen – mit einem Blick, dass einem angst und bange wurde. Auch er musste von einem Mitspieler zurückgehalten werden.
Auch von Ballmoos wurde von der Klubführung nicht gemassregelt. Sportchef Steve von Bergen zeigte gegenüber dem «Blick» sogar Verständnis für den Goalie: «Die Reaktion war übertrieben. Das weiss Dävu selber. Aber Emotionen gehören dazu.» Er fuhr fort: «Wir betreiben Leistungssport. Dann kann sowas mal passieren. Das gibt’s ja auch mal im Training, dass es über die Grenze hinausgeht. Es war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal.» Und am Schluss gab’s sogar ein Lob: «Es zeigt, dass die Mannschaft lebt.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Vor Urzeiten galt der Sport – und gerade Fussball – als Hochburg der Fairness, gehört dieser Begriff noch zum Vokabular?
Denke hier trifft der Spruch zu: Geld verdirbt den Charakter. Leider werden die ganzen unfairen Praktiken, Schwalben, Zeitschinden, Schauspielern etc als professionell Umschrieben. Rugby ist da wohl um einiges ehrenhafter, aber dort wird halt eben deutlich weniger Geld umgesetzt, gleiches gilt auch für den Frauenfussball.
«Verantwortung wofür? Und wehren wogegen?» fragt sich Marco Diener …
Unabsichtlich setzte der Verteidiger Jannik Vestergaard den Stürmer Breel Embolo ausser Gefecht. Ein versöhnliches «Ball Aus» hätte die Spielordnung wiederhergestellt. Jede/r Fussballer/in – vom Junior/in bis zum Ehemaligen – weiss um diese «ungeschriebene Regel». Ich habe sie von meinem Trainer, meinen Vorbildern und vor allem auf dem Spielfeld gelernt. Sie ist menschlich. Sie ragt über das Regelwerk und dem Schiedsrichterpfiff hinaus. SIE IST NATIONENÜBERGREIFEND! An diesem Abend setzten sich Remo Freuler, Ricardo Rodríguez, insbesondere Captain Granit Xhaka und Murat Yakin augenfällig für diese «ungeschriebene Regel» ein. Das nenne ich Verantwortung! Gut gemacht!
Man kann diese ungeschriebene Regel auch als Unsitte betrachten. Denn häufig bleiben Spieler liegen und simulieren, um einen Gegenangriff zu unterbinden. Hätte Breel Embolo wirklich dringender Hilfe bedurft, dann hätte der Schiedsrichter das Spiel unterbrechen können.
Wenn die Dänen den Ball aber nicht ins Aus spielen und wenn der Schiedsrichter das Spiel nicht unterbricht, dann wäre es klüger, wenn die Schweizer verteidigen würden, statt zu reklamieren und dann auch noch auf die Dänen loszugehen.
Ungeschriebene Regeln können als Unsitte betrachtet werden. Beruht sie auf Menschlichkeit, betrachte ich diese differenzierter.
Simulation bei Gegenangriffen sehe ich – als taktische Waffe eingesetzt – eher selten.
WENN Breel Embolo Boxhandschuhe getragen und HÄTTE Jannik Vestergaard mit Ballettschuhen verteidigt, WÄRE höchstwahrscheinlich nichts passiert.
An diesem Abend war eher etwas «faul im Staate Dänemark».