Google_Zrich

Lagert die Schweiz mit dem "Leistungsschutzrecht" die Medienförderung an Google aus? © youtube

Wie die Schweiz standortpolitisch schmarotzt

Hanspeter Guggenbühl /  Ob mit Steuerregime oder Einwanderungspolitik: Die Schweiz mehrt ihren Wohlstand auf Kosten von andern Staaten.

Das Referendum ist zwar angekündigt, aber noch nicht zustande gekommen. Ein Termin für die allfällige Volksabstimmung steht noch aus. Trotzdem haben Parteien, Verbände und Medien den Abstimmungskampf für die Unternehmenssteuerreform III bereits eröffnet. Mit dieser Reform wollen Bundesrat und Parlamentsmehrheit die bisherigen, international angefochtenen Schweizer Steuerprivilegien für internationale Kapitalgesellschaften ersetzen, einerseits durch eine generelle Senkung der kantonalen Unternehmenssteuern, andererseits durch neue Privilegien für Steueroptimierer.

Steuerausfälle – mit und ohne Reform

Der Streit im Abstimmungskampf dreht sich primär um die Frage, wie hoch die Steuerausfälle sind, welche die Reform verursacht, und wie hoch sie wären, falls die Schweiz ihre bisherigen Steuerprivilegien ohne Ersatz und allgemeine Senkung der Unternehmenssteuern abschaffte.

Die Gewerkschaftszeitung «Work» etwa, welche die Reform bekämpft, rechnet mit einem Steuerverlust von jährlich 2,7 Milliarden Franken, wobei davon 1,3 Milliarden auf den Bund und 1,4 Milliarden auf die Kantone entfielen. Der Wirtschaftsverband Economiesuisse, der die Reform unterstützt, entgegnet: «Die neuen, international unbestrittenen Ersatzregeln verhindern den Wegzug der Gesellschaften und somit massive Steuerausfälle». Und die Unternehmerzeitung NZZ rechnet, basierend auf Annahmen der Bundesbehörden: Eine «ersatzlose Streichung» der bisherigen Privilegien bewirkte «jährliche Einnahmenseinbussen von total rund 3 Milliarden Franken». Wer mitreden und mitspekulieren will, muss sich mit kreativen Instrumenten wie «Patentbox», «Inputförderung» für Forschung und Entwicklung oder der «zinsbereinigten Gewinnsteuer» auseinandersetzen.

Steuerdumping lockte Unternehmen an

Aussen vor bleiben grundsätzliche Fragen. Zum Beispiel: Ist es legitim, dass ein Land steuerkräftige Firmen in sein Steuerdomizil lockt, indem es die Unternehmen mit einem tiefen Steuersatz und zusätzlichen fiskalischen Anreizen belohnt? Wie rechtfertigt ein Rechtsstaat irgendwelche Privilegien, sei es für Privatpersonen, Holding- oder andere «Statusgesellschaften»? Ab wann mutiert der sogenannte «Standortwettbewerb» zum Parasitentum?

An Informationen, um solche Fragen zu thematisieren, fehlt es nicht: Statistiken zeigen, dass die Steuerlast in der Schweiz für alle Unternehmen schon heute weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt; das gilt im Wirtschaftsraum Zürich und noch verstärkt in den Innerschweizer Steueroasen. Das Holdingprivileg förderte den Zuzug von internationalen Firmen zusätzlich. Die Gewinne und damit die Steuerzahlungen dieser privilegierten «Statusgesellschaften» in der Schweiz haben sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Noch grösser sind damit die Verluste für andere Staaten ohne Steuerprivilegien.

Dabei gehört die Schweiz zu den reichsten Staaten der Welt; einzig in Luxemburg und in den Ölstaaten Katar und Norwegen ist das Bruttoinlandprodukt pro Kopf noch etwas höher als in der rohstoffarmen Alpenrepublik. Umso schwerer lässt es sich rechtfertigen, wenn Bund und Kantone mit fiskalischem Opportunismus ärmeren Staaten steuerkräftige Unternehmen abjagen.

Bildung vom Ausland, Profit für die Schweiz

Ebenso wie in der Steuerpolitik schmarotzt die Schweiz mit ihrer Einwanderungspolitik. Die Mehrheit der Abstimmenden befürwortete 2014 zwar eine Kontingentierung der Einwanderung aus der EU und nahm damit die Verletzung der vertraglich vereinbarten Personenfreizügigkeit mit der EU in Kauf. Gleichzeitig fordern jetzt Regierungsmitglieder der wirtschaftsstarken Kantone Zürich, Genf und Basel via Sonntags-NZZ höhere Kontingente, um die Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten zu fördern. Sie beugen sich damit einer Forderung, die der Internet-Multi Google, der in der Zürcher Europaallee residiert, schon letzten Dezember erhoben hat. Grund: Die Kantonsregierungen fürchten, die mit Steuerdumping ins Land geholten Multis könnten Arbeitsplätze wieder ins Ausland verlagern, wenn wir sie nicht mit genügend billigen Informatik-Spezialisten aus Indien oder Chemikern aus China versorgen.

Nicht unbedingt mehr, aber höher qualifizierte Einwanderer wünschen das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und andere Bundesämter: In ihrem Anfang Juli veröffentlichten «Bericht zum Freizügigkeits-Abkommen Schweiz-EU» beklagen die Verfasser die «weniger günstige Humankapitalausstattung der jüngsten Zuwanderungskohorte». Oder etwas weniger technokratisch ausgedrückt: Wenn Personen aus der EU schon in die Schweiz einwandern, wäre es wünschenswert, wenn sie sich auf Kosten ihres Herkunftslandes zuvor etwas besser bilden liessen. Denn zum Ausbilden von genügend qualifizierten Berufsleuten fehlt der reichen Schweiz trotz steuerkräftigen Unternehmen offenbar das nötige Geld.

Und die Moral?

Bleibt noch nachzutragen: Die Schweizer Steuer- und Einwanderungspolitik dient der Mehrung unseres wirtschaftlichen Wohlstandes. Politische Moral zählt nicht. Und wer sich dafür schämt, kann ja auswandern.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

2 Meinungen

  • am 17.07.2016 um 10:47 Uhr
    Permalink

    1. Google residiert noch nicht an der Europaallee. 2. Was spricht dagegen, «Informatiker aus Indien und Chemiker aus China» in der Schweiz zu Schweizer Löhnen anzustellen? Wäre es besser, wenn all diese Unternehmen in diese Länder zu dort üblichen Löhnen outsourcen? 3. Mit Blick auf die Welt dürfte sich in naher Zukunft – wenn es nicht sogar schon so weit ist – das Argument tiefe Steuern in den Hintergrund treten und der Faktor Sicherheit (physische wie Rechtssicherheit) wichtiger werden. Es sind nun mal nicht einzig die tiefen Steuern, die Google dazu veranlasst haben dürften, in der Schweiz den grössten Standort nach dem Hauptsitz in den USA aufzubauen. Wären es nur die Steuern, dann hätten sie auch die Forschung in Irland angesiedelt. Komischerweise ist dem nicht so. 4. Aus eigener Erfahrung (ich unterrichte u.a. in der höheren Berufsbildung): Es fehlt nicht am Geld in der reichen Schweiz, um qualifizierte Arbeitskräfte auszubilden, sondern am Willen gewisser Teile der Bevölkerung, sich zu (fortzu-)bilden. Aber v.a. fehlt es – und hier kommt schliesslich doch noch die Politik zum Tragen – am politischen Willen, für beide Säulen unseres dualen Bildungssystems aktiv die besten Voraussetzungen zu schaffen. Lieber hechelt man der vermeintlich heilsbringenden Akademisierung hinterher. Der OECD sei Dank.

  • Portrait.Hanspeter Guggenbühl.2020
    am 17.07.2016 um 11:16 Uhr
    Permalink

    Leser Michael Gisiger hat Recht: Der Sitz von Google Switzerland befindet sich laut Telefonbuch heute noch an der Brandschenkestrasse 110, auf dem Areal der ehemaligen Brauerei Hürlimann in Zürich. Die sda schrieb dazu am 11.08.2015: «Weil Google Schweiz mehr Platz braucht, bezieht das Unternehmen ab diesem Jahr bis 2020 schrittweise Büroräume in der SBB-Überbauung Europaallee beim Zürcher Hauptbahnhof.» Darum versetzte ich den Google-"Sitz» voreilig an die Europaallee. Sorry.
    Hanspeter Guggenbühl

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...