Flüchtlinge gelten als Feinde unseres Wohlstands
Es gibt Interviews, die man nicht vergisst. Ein knappes Jahr nach der Änderung des Asylgrundrechts im Jahr 1993 habe ich mit dem damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) ein Gespräch darüber geführt, was diese Grundgesetzänderung bewirkt habe. Kanther äusserte sich hochzufrieden. Wir sprachen auch über den Brandanschlag von Solingen: Drei Tage nach der Asyl-Abstimmung im Bundestag waren bei einem Brandanschlag fünf türkische Frauen und Mädchen von Rechtsextremisten ermordet worden. Den entsetzen Kommentar dazu konnte man damals auf eine Hauswand gesprüht lesen: „Erst stirbt das Recht, dann stirbt der Mensch“. Kanther sah das anders. Er sagte: „Jetzt kommen nicht mehr 30’000, sondern 10’000 Flüchtlinge (im Monat. Red.). Das ist immerhin etwas, dieses Ergebnis bestätigt die Richtigkeit unserer Politik. Es wäre nicht erzielbar gewesen ohne die öffentliche Auseinandersetzung – die natürlich auch Hitzegrade erzeugt hat.“ Er sagte tatsächlich „Hitzegrade“!
Zwanzig Jahre lang hatte der Asylstreit bis dahin gedauert. 1973 war im Bundestag zum ersten Mal von Asylmissbrauch die Rede gewesen. Die Debatte darüber hatte sich in den späten Achtzigerjahren ins Orgiastische gesteigert. Über den Artikel 16 des Grundgesetzes wurde geredet, als wäre er der Hort von Pest und Cholera. Der sogenannte Asylstreit hat das politische Klima in Deutschland verändert wie kaum eine andere Auseinandersetzung in der Geschichte der Bundesrepublik.
Was Fliehkraft bedeutet
Davon handelt mein kürzlicher SZ-Plus-Text („Asylbetrüger … sind nicht Flüchtlinge, die Schutz vor Verfolgung und Hilfe in der Not suchen – sondern die Politiker, die ihnen Schutz und Hilfe verweigern“). Er zeichnet den Weg nach von der deutschen Grundgesetzänderung im Jahr 1993 zu den EU-Elendslagern von heute und zu den Plänen für die „Festung Europa“, die nun bei der bevorstehenden EU-Ratssitzung verabschiedet werden sollen.
50 Jahre Asylstreit insgesamt. Die Flüchtlinge gelten als Feinde des Wohlstandes. Die EU schützt sich vor ihnen wie vor Straftätern. Sie werden betrachtet wie Einbrecher, weil sie einbrechen wollen in das Paradies Europa. Man fürchtet sie wegen ihrer Zahl und sieht in ihnen so eine Art kriminelle Vereinigung. Deswegen wird aus dem „Raum des Rechts, der Sicherheit und der Freiheit“, wie sich Europa selbst nennt, die Festung Europa.
Die Flüchtlinge, die vor dieser Festung ankommen, sind geflüchtet, weil sie eine Zukunft haben wollen. Sie sind jung, weil nur junge Menschen die Fliehkraft haben, die man als Flüchtender braucht. TV und Internet locken noch in dreckigsten Ecken der Elendesviertel mit Bildern aus der Welt des Überflusses. Noch bleibt der allergrösste Teil der Menschen, die wegen Krieg, Klimawandel und bitterer Not ihre Heimat verlassen, in der Welt, die man die dritte und vierte nennt. Mehr und mehr aber drängen sie an die Schaufenster, hinter denen die Reichen der Erde sitzen.
Der Druck vor den Schaufenstern wird stärker werden. Ob uns diese Migration passt, ist nicht mehr die Frage. Die Frage ist, wie man damit umgeht, wie man sie gestaltet. Migration fragt nicht danach, ob die Deutschen ihr Grundgesetz geändert haben und womöglich noch einmal ändern wollen. Sie fragt nicht danach, ob die EU-Staaten sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention hinausschleichen. Die Migration ist da und der Migrationsdruck wird ein ganz grosses Thema dieses Jahrhunderts sein. Und das Schicksal zweier Kontinente wird sich darin entscheiden, ob der europäischen Politik etwas anderes einfällt als Abriegelung und Mobilmachung gegen Flüchtlinge.
Seit 1992, seit den „Londoner Entschliessungen“ zur Ablehnung von Asylanträgen hat sich EU-Konferenz um EU-Konferenz mit den Bauplänen für die Festung Europa befasst; das Projekt lief immer unter dem Namen „Harmonisierung des Asylrechts“. Nun, bei der bevorstehenden EU-Ratssitzung in ein paar Tagen, sollen die Pläne fertiggestellt werden. Es sind keine guten Pläne. Es gibt eine Formel, die eine Schlüsselformel für gute, für bessere Pläne sein könnte: „Asyl ist für Menschen, die uns brauchen. Einwanderung ist für die Menschen, die wir brauchen.“ Es ist dies, es wäre dies der Grundgedanke für eine gute europäische Migrationspolitik. Es braucht eine respektierte Autorität, die sie propagiert.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Dieser Kommentar des Kolumnisten und Autors Heribert Prantl erschien am 4. Juni 2023 als «Prantls Blick» in der Süddeutschen Zeitung.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
In der Schweiz ist im Gegensatz zu Deutschland, die Autorität das Volk.
Das Volk braucht diskutierbare Lösungen.
Genau das beanstande ich seit Wochen bei Infosperber, dass viel zuwenige Lösungen dem Schweizer Volk zur Verfügung gestellt werden.
Die ständige Beschreibung von Missständen bringt uns keinen Millimeter weiter.
Loriot meinte dazu: Idioten suchen Schuldige, intelilligente Lösungen.
Mit nachhaltigen Grüssen
Nicht die Flüchtlinge sind Feinde unseres Woohlstandes, die Feinde sind jene, welche es auf unseren Wohlstand abgesehen haben. Diese Feinde stammen aus dem Westen, mit dem wir noch näher zusammenarbeiten sollen….! Somit ist selbst nicht Russland unser Feind, die Flüchtlinge stammen nicht aus Russland. Wer trägt denn die Hauptschuld dieser Völkerwänderung? Die Antwort liegt auf der Hand!
Asyl sollten die erhalten die es wirklich nötig haben und nicht wer wegen eines besseren Lebens kommt. Das sollte man zunächst mal trennen und dann dafür sorgen das echte Asylflüchtlinge menschenwürdig und kompetent, schnellstmöglich integriert werden und nicht in Ghettos abgestellt werden. Und dann sollten wir aufhören an den ärmsten der Armen Geld verdienen zu wollen um unsere staatlich subventionierten Überschüsse noch irgendwie Los zu werden. Nur mit einer eigenen Zukunftsperspektive bleiben Wirtschaftsflüchtlinge aus. Dann regelt sich das Problem von ganz alleine. Wenn wir dann noch akzeptieren können das in anderen Ländern nicht alles nach unserer Nase läuft, könnten wir sogar auf ein bisschen Frieden in der Welt hoffen.
Die Feinde unseres Wohlstands (der (Mittelschicht) sind für mich die Reichen, die noch reicher und noch viel , viel reicher werden.
Ein Bauer bekommt für Nahrungsmittel Centbeträge, während ein Sänger, Schauspieler, Modeschöpfer, Erfinder, Rennfahrer, Großindustrieller u.s.w. als «Einzelperson » Millionen, sogar Milliarden kassiert , während die Staaten ( das einfache Volk) hoffnungslos verschuldet sind. Und wie im Bericht erwähnt, wird im Internet diese Illusion geschürt, dass alle in einer Demokratie im Paradies leben.
Einer reichen Privatperson können Flüchtlinge egal sein. Der Staat ist für diese zuständig. Noch nie sassen Reiche so fest im Sattel. Demokratie bedeutet nicht nur Recht und Freiheit, manche genießen sogar eine » grenzenlose Narrenfreit», solange nur nach «unten» gedeckelt wird.