Die Kinderrechte bleiben auf der Strecke
Weltweit sind rund 52 Millionen Menschen auf der Flucht, etwa die Hälfte davon sind Kinder unter 18 Jahren. Ein kleiner Teil der Flüchtlingskinder kommt als Asylbewerber in die Schweiz. Hier wird ihnen das in der UNO-Kinderrechtskonvention festgeschriebene Recht auf Bildung gewährt. So heisst es in einem Grundlagenpapier der Zürcher Bildungsdirektion: «Das Obligatorium des Besuchs der Volksschule gilt auch für minderjährige Asylsuchende, für Kinder von Asylsuchenden und für Kinder von vorläufig Aufgenommenen (im Folgenden: Kinder aus dem Asylbereich) und ist ausnahmslos durchzusetzen.» Allerdings ist es dem allgemeinen Asylverfahren untergeordnet: Der Besuch der Volksschule hat weder für den Vollzug von Wegweisungen noch für die Platzierung im Bereich der Asylfürsorge «präjudizierende» Wirkung. Im Klartext: Ein Jugendlicher kann nicht in der Schweiz bleiben, nur weil er ein guter Schüler ist. Immerhin hat es eine Änderung der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) vom 1. Februar 2013 ermöglicht, dass Jugendliche ohne Papiere («Sans Papiers») unter gewissen Auflagen eine Berufslehre absolvieren können.
Die Praxis im Empfangszentrum
Die Zürcher Stiftung Pestalozzianum führte kürzlich an der Pädagogischen Hochschule Zürich ein Podium zum Thema «Krieg und Schule» durch. Im Mittelpunkt der Beiträge stand die Situation der Flüchtlingskinder in der Schweiz. An der Veranstaltung berichtete die Kinderpsychotherapeutin Elisabeth Hofmann von ihrer Arbeit im Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) für Asylsuchende in Kreuzlingen. Das Empfangszentrum gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Die Asylsuchenden sind nur einige Wochen hier, denn in den Empfangszentren wird erst einmal entschieden, ob sie gleich ausgewiesen oder vorläufig aufgenommen werden.
Bei einem Besuch des EVZ mit einer Kollegin konstatierte die Therapeutin die trostlose Situation der Kinder. Es gab weder Räume noch Angebote zum Spielen und Lernen. Ihnen wenigstens einmal in der Woche einen geschützten Raum in einer Kindergruppe zu geben, wurde ihr Ziel.
So sieht ein typischer Tag im EVZ Kreuzlingen für die Therapeutinnen aus: «Wir gehen um neun Uhr ins EVZ und werden von den Securitas in Empfang genommen, die uns durch zwei Türen schleust. Dann nimmt uns eine andere Person in Empfang und es geht durch weitere Schleusen bis wir in den Aufenthaltsraum der Flüchtlinge kommen – eine riesige Halle, wo sich alle aufhalten.» Hier richten die Therapeutinnen ihren Arbeitsbereich ein und holen die Kinder ab, wo sie diese gerade finden. In der Kindergruppe können die Kinder spielen oder zeichnen, was in aller Ruhe und Konzentration geschehe, wie Hofmann betont.
Die alles prägende Unsicherheit beschreibt auch Julia Rietze, die die im Zentrum Lilienberg in Affoltern am Albis vorwiegend männliche Jugendliche ohne Angehörige aus Eritrea, Syrien und Afghanistan unterrichtet. Durchschnittlich halten sich die Jugendlichen hier ein Jahr auf. Die Klassen variieren fast wöchentlich und wechseln in ihrer Konstellation. Die Jugendlichen wissen nicht, wie lange sie bleiben werden. Klar ist nur eines: Spätestens mit 17 muss man gehen. So ist die pädagogische Arbeit mit Flüchtlingen nur ein Tropfen auf einen heissen Stein – zu kurz und zu wenig konstant. Trotzdem würden die Jugendlichen enorme sprachliche Fortschritte machen, sagt Rietze. Sie möchten sich in der Schweiz eine Zukunft aufbauen.
Fehlende Vertiefung
In der Podiumsdiskussion wurde das Thema um Krieg und Schule stark ausgeweitet. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen berichteten über eigene Kriegsängste im Kalten Krieg, sprachen an, was für eine Rolle der Krieg als Thema in einem sicheren Land wie unserem für den Unterricht haben kann etc. – alles wichtige Fragen. Schade jedoch, dass dabei die Problematik des Unterrichts für Flüchtlingskinder in den Hintergrund geriet. Es fehlte der eine oder andere Politiker, den man auf die Misere beim Recht auf Bildung für Flüchtlingskinder hätte ansprechen können.
Dabei hat die Caritas schon 2013 festgehalten, dass in der Asylpolitik die grundlegenden Kinderrechte wie das Recht auf besonderen Schutz, auf Bildung oder auf einen angemessenen Lebensstandard und Partizipation nicht eingehalten werden. Ganz klar das Fazit: «Kinder erreichen die Schweiz oft traumatisiert von gefährlichen Fluchtrouten. Hier mangelt es dann an kinder- und jugendgerechten Unterkünften, an geeigneter Betreuung und an Unterstützung in der (Aus-)Bildung.» Müssten bei solchen Kindern nicht eine längere Zeit der Ruhe und der gezielten Schulung möglich gemacht werden, damit sie bei einer Rückkehr ins Heimatland wieder grössere Chancen hätten?
Auch wenn die Diskussion solcher Fragen am Podium des Pestalozzianums versäumt wurde, so gelang es immerhin, den Blick auf ein in der Öffentlichkeit weithin verdrängtes Problem zu lenken. Und das ist dringend notwendig.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.