Der starke Franken bremst das Bevölkerungswachstum
«Weniger Menschen kommen in die Schweiz, mehr Arbeitskräfte wandern aus» titelte die Handelszeitung. «Ausländer kehren der Schweiz den Rücken» war die Schlagzeile im Blick. Grund dafür sei die «schwächelnde Wirtschaft». Dazu der Präsident des Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt: «Die Schweizer Wirtschaft leidet wegen des Frankenschocks unter Kostendruck, der den Bedarf von Arbeitskräften hemmt.» Auch Daniel Lampart vom Gewerkschaftsbund nennt als Ursache der sich abschwächenden Zuwanderung die Frankenstärke.
Gleicher Lebensstandard mit weniger Erwerbsarbeit
Nach der – allerdings etwas zu abrupten – Aufwertung des Schweizer Frankens schrieb ich im Januar 2015 in einem Kommentar: «Gute Nachricht für Konsumentinnen und Konsumenten: Dank der Frankenaufwertung können sie sich den gleichen Lebensstandard mit weniger Arbeit leisten.» Die Freigabe des Frankenkurses sei kein Grund zum Jammern. Denn der stärker werdende Franken bringe mehr Vorteile als Nachteile. Vom Heizöl über die Unterhaltungselektronik bis zu allen ausländischen Lebensmitteln und Kleidern werde alles günstiger: «Mit dem gleichen Lohn können wir unsere Arbeitszeit verkürzen und uns trotzdem die gleichen Güter und Dienstleistungen leisten.»
Leider hat sich die Politik zu stark aufs Jammern über negative Folgen der Frankenaufwertung beschränkt, anstatt dafür zu sorgen, dass die Währungsvorteile möglichst vollständig den Konsumentinnen und Konsumenten zugute kommen. Immerhin sind viele Preise importierter Waren und Dienstleistungen gesunken, wenn auch zu wenig.
Gleichzeitig kam es zu einem Zerfall der Erdölpreise, so dass wir für eine gleiche Menge Heizöl und eine gleiche Menge Benzin ebenfalls weniger Erwerbsarbeit leisten müssen.
Beides hat dazu geführt, dass die Konsumentenpreise letztes Jahr im Durchschnitt um 1,1 Prozent gefallen sind. Zusammen mit leichten Nominallohn-Erhöhungen resultierte daraus eine durchschnittliche Reallohn-Erhöhung von 1,5 Prozent.
Mit andern Worten: Für den identischen Lebensstandard wie 2014 hätten die Erwerbstätigen im Jahr 2015 ihre Arbeitszeit um durchschnittlich 1,5 Prozent reduzieren können – oder sie konnten 1,5 Prozent mehr Geld ausgeben oder ihr Vermögen entsprechend aufstocken.
Weniger ausländische Arbeitskräfte nötig
Insgesamt weniger Erwerbsarbeit bedeutet auch, dass die Schweiz auf weniger ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist. Der starke Franken trägt wesentlich zum Bremsen der Zuwanderung und des Bevölkerungswachstums bei, ohne dass die Schweiz Kontingente einführt.
Weniger Exporte nötig
So wie die Importe für Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten billiger werden (was gebeutelte Länder wie Griechenland, Portugal oder Italien freut), werden Exporte aus der Schweiz für ausländische Konsumentinnen und Konsumenten teurer.
Die Schweiz muss heute jedoch weniger Güter und Dienstleistungen exportieren, um mit den verdienten Dollars, Euros oder Yens die gleiche Menge der günstiger gewordenen Güter und Dienstleistungen aus dem Ausland kaufen zu können.
Es ist also bei einer erstarkenden Währung normal, dass
- die Exportwirtschaft etwas zurückstecken muss*;
- die vielen im Ausland von Schweizer Konzernen getätigten Investitionen – in Schweizer Franken gerechnet – weniger rentieren.
Würde der Staat mit Anreizen dafür sorgen, dass trotz des hohen Frankenkurses weiterhin gleichviel ins Ausland exportiert und im Ausland investiert werden kann, würde dies den Frankenkurs unweigerlich weiter in die Höhe treiben. Die Katze würde sich in den Schwanz beissen.
Aus andern Gründen muss auch die Bauwirtschaft etwas zurückstecken: Je konsequenter die verfassungsmässige Einschränkung der Zweitwohnungen durchgesetzt wird, desto weniger hat die Bauwirtschaft zu tun. Wer Umsatzeinbussen der Bauwirtschaft beklagt, möchte offenbar die Schweiz vollständig zubetonieren.
Verbleibende Arbeit besser verteilen
Wenn wir unsere bisherigen Bedürfnisse insgesamt mit weniger Erwerbsarbeit befriedigen können (dank Aufwertung des Frankens) oder wollen (mit weniger Zweitwohnungen), geht es in erster Linie darum, die Erwerbsarbeit besser zu verteilen:
- Die schlechteste Form einer Arbeitszeitverkürzung sind mehr Arbeitslose.
- In Zeiten von Arbeitslosigkeit braucht es deshalb finanzielle Anreize für alle Beschäftigten, welche ihre Arbeitszeit verkürzen oder freiwillig aus dem Erwerbsleben aussteigen möchten (heute gibt es immer noch viele falsche Anreize zugunsten von 100-Prozent-Jobs), sowie für alle Unternehmen, welche Teilzeitarbeit fördern. Und ein Schritt in die richtige Richtung wäre das Einführen eines bedingungslosen Grundeinkommens.
- Die Arbeitslosigkeit beseitigen zu wollen mit Förderung des Mehrkonsums («Ankurbelung der Wirtschaft») oder mit Subventionen von Exporten, also mit Anreizen zum Wirtschaftswachstum, bevormundet die KonsumentInnen und die Erwerbstätigen – und ist ausserdem keine enkeltaugliche Politik.
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*Dazu der Wirtschaftsjournalist Werner Vontobel:
«Es gibt viele Kräfte, die am Erhalt des Status quo interessiert sind. Dazu gehört natürlich die Exportindustrie, aber auch die Gewerkschaften halten an den Arbeitsplätzen in der Exportindustrie fest. Das ist der Grund, warum es keine ernsthafte Diskussion über Alternativen zum Modells der Vollbeschäftigung durch Exportüberschüsse gibt.» Siehe ganzer Artikel hier.
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Siehe auch Hanspeter Guggenbühl vom 25.1.2015: «Wachstumsförderung und Steuerdumping haben den Standort Schweiz aufgewertet. Jetzt korrigiert der Devisenmarkt diese Politik.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Volkswirtschaftlich relevanter als die Frankenstärke ist wohl die ungleiche Vermögensverteilung. Ein Indiz unter vielen: Gemäss News werden 40 Prozent Erbschaftssteuer auf den Nachlass von Prince erhoben, und das in den erzkapitalistischen USA – kaum zu glauben, so «dumm» sind wir Schweizer doch nicht, oder?
Im Prinzip könnte es so ähnlich wie skizziert funktionieren, und das wäre sicher wünschbar. In der Praxis läuft es leider häufig recht paradox.
Beispiel:
Je grösser der Bedarf an Arbeitskräften, desto einfacher ist es für diese, nur Teilzeit zu arbeiten. Der Arbeitgeber hat keine andere Wahl, als auf den Wunsch des Arbeitnehmers einzugehen.
Wenn der Bedarf an Arbeitskräften klein ist, die Arbeitsplätze also knapp sind, dann wird Teilzeitarbeit schwierig. Die Arbeitgeber, die lieber Vollzeitangestellte wollen (ob das klug ist, ist eine andere Frage), sitzen dann am längeren Hebel. Arbeite 100%, oder arbeite gar nicht, heisst es dann häufig für den Stellensuchenden.
Auch bei den Arbeitskräften aus dem Ausland entsteht nicht automatisch die Situation, die gesamtheitlich gesehen sinnvoll wäre. Erhöhter Kostendruck kann beispielsweise dazu führen, dass erst recht Arbeitskräfte aus dem Ausland bevorzugt werden. Wenn der Arbeitgeber als reiner «Marktplayer» agiert, dann ist es für ihn irrelevant, wie viele arbeitslose Fachkräfte es im Land gibt.
Die Frage ist also auch: Welche politischen Massnahmen sind nötig (und möglich), damit die Entwicklung auch in der Realität in die im Artikel skizzierte Richtung geht.
Die Praxis läuft so lange paradox, als Unternehmen und Beschäftigte finanzielle Vorteile haben, wenn letztere 100 Prozent arbeiten. Deshalb braucht es in Zeiten von Arbeitslosigkeit finanzielle Anreize für alle Beschäftigten, welche ihre Arbeitszeit verkürzen oder freiwillig aus dem Erwerbsleben aussteigen möchten (heute gibt es immer noch viele falsche Anreize zugunsten von 100-Prozent-Jobs), und für alle Unternehmen, welche Teilzeitarbeit fördern.