Alles hat seine Obergrenze, selbst der Hunger
Jetzt werden allerorten Grenzen & Obergrenzen gezogen oder zumindest gefordert. Irgendwann im Verlauf des Jahres soll Schluss sein. Zum Beispiel am 23. Juni. Dann wird irgendeine Grenzpolizistin oder ein Grenzer so einem Menschen auf der Suche nach einem bombensicheren oder womöglich auch nur besseren Leben an irgendeinem europäischen Schlagbaum sagen: Entschuldigen Sie, aber unsere Obergrenze ist erreicht. Für dieses Jahr ist Schluss. Fertig mit Abhauen. Sagen Sie das auch denen, die Sie in die Flucht getrieben haben. Nächsten Januar sind Sie, selbstverständlich, herzlich willkommen. In der Zwischenzeit können wir uns ja wenigstens auf Facebook befreunden.
«Europa kann nicht ganz Afrika aufnehmen.» Schreibt Roger Köppel im August 2015 in seiner Weltwoche. Da hat er natürlich recht. Wer würde dann noch die TouristInnen auf Safari begleiten und ihnen die Elefanten vor Kamera oder Flinte treiben? Abgesehen davon, dass sie nicht nur aus Afrika kommen. Und wenn wir die ganze Welt willkommen hiessen – wer würde unsere Kleider nähen, wessen Kinder kratzten das Coltan für unsere Handys aus den kongolesischen Bergen? All den Verdammten dieser Erde können wir nicht helfen. Das schaffen, das stemmen wir nicht, das überfordert auch die europäischen Wohlstandsgesellschaften und jene, die es gerne werden würden. Ein Gutmensch, der das Einmaleins nicht beherrscht, wer etwas anderes behauptet. Alles hat seine Grenzen. Sogar die Zahl der Partys und Tauben in der Zürcher Innenstadt.
Obergrenzen für alle
Und wenn wir grad dabei sind, Obergrenzen festzulegen – bei wie vielen PendlerInnen kommt es im schweizerischen Strassen- und Schienensystem zum Kollaps? Wie vielen Offroadern, Flugmeilenhamstern sowie WachstumsfetischistInnen widerstehen unsere Gletscher? Bei welcher Zahl von SozialhilfeempfängerInnen, ErgänzungsleistungsbezügerInnen, AnlagespezialistInnen, säumigen HundehalterInnen oder SteuerhinterzieherInnen bricht der moderne Dienstleistungs- und Sozialstaat zusammen? Wann ist Schluss mit Arbeitslosen, UnternehmenssaniererInnen und Ü-80-Jährigen? Wie viele Rechtgläubige, fundamentalistische MarktanbeterInnen und ultra-orthodoxe HandleserInnen dürfen aufgeklärte Kulturen tolerieren? Wie viele Hungernde, Reiche & Superarme kann eine gerechte Gesellschaft integrieren? Ab welchem Kontingent von WaffenhändlerInnen, Scharfschützen und GeheimdienstagentInnen ist der Weltfriede gefährdet?
Übrigens – auch die Frage darf kein Tabu sein – wie viel SVP hält eine Demokratie aus?
PS. Und was passiert eigentlich, wenn die Obergrenze erreicht ist, mit den überzähligen Facebook-FreundInnen? Zu Diaspora* migrieren? Oder erschlagen?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor hat Angst, dass, irgendwann, auch seiner Gemütlichkeit eine Obergrenze gesetzt wird.
Wann werden auch den Journalisten die Grenzen gezogen?