Glosse
Sprachlust: Wo Steine hauchen und Kioske springen
Da sage noch jemand, Steine hätten keine Seele – ein am Radio gehörter Satz räumt sämtliche Zweifel aus: «Es sind kleine Mosaiksteinchen, die dem Stadtzentrum von Lichtensteig neues Leben eingehaucht haben.» Da sind zwei schöne Bilder zusammengekommen, nur wollen sie nicht zueinander passen: Gewiss haben viele kleine Massnahmen dazu beigetragen, das Städtchen im Toggenburg wiederzubeleben, und man kann sie durchaus als Mosaiksteinchen bezeichnen. Aber man darf sie nur dann «Leben einhauchen» lassen, wenn man auch realen Steinen das Einhauchen von Lebensodem zutraut.
Bilder zu verwenden, wirkt auf Texte oft belebend und erhellend. Aber verschiedene Bilder zu kombinieren, ist gefährlich und meistens zu viel des Guten: Allzu schnell «setzt man dem Fass die Krone auf», um es mit einer Vermengung zu sagen, die fast schon selber zur Redensart geworden ist. So wurde die Geigerin Patricia Kopatchinskaja einst als «fast mit dem Brecheisen vorausstürmender Vulkan» bezeichnet – genug Temperament für beide Bilder hat sie ja, aber es ist schwierig, vor dem inneren Auge einen Vulkan enteilen zu sehen, mit oder ohne Brecheisen. Es sei denn, da sei kein feuerspeiender Berg gemeint gewesen, sondern der römische Gott der Schmiede.
Hahn im geflügelten Korb
Ähnlich kurios vermischten sich die Elemente in einem Bericht über Aufbaugelder für Irak: «Sollten grosse Teile in den Sand gesetzt worden sein, so wäre das Wasser auf die Mühlen der Kriegsgegner.» Mühe bereitet es ebenfalls, sich einen «Hahn im Korb auf der Überholspur» vorzustellen. Dass es sich dabei um einen Skirennfahrer handelte, erleichtert die Sache auch nicht unbedingt. Hoffen wir wenigstens, dass er vor «den allzu gierigen Fittichen des Fiskus» verschont blieb. Den Flügeln Gier anzudichten, war schon ein starkes Stück, und dass der lateinische «fiscus» ursprünglich ein geflochtener Korb war, macht es noch stärker.
Man braucht sie aber nicht in den Schmelztiegel zu werfen, um Bildern Gewalt anzutun. Wenn das Objekt der blumigen Beschreibung selber schon mit Händen zu greifen ist, dann muss das Bild auch bildlich dazu passen, nicht nur sinngemäss. Sonst kanns sadistisch werden: «In der Gemeinde Wohlen liegt der Schmelztiegel jugendlicher Vandalen in Hinterkappelen.» Es ging gar nicht darum, dass sich dort Vandalen aller Länder zu Banden zusammentun; eher darum, dass sie den Ort in einen Hexenkessel verwandeln – weshalb vielleicht manche sie am liebsten in einem brodelnden Topf sähen.
Hütte auf Hühnerbeinen
Besonders gut eignen sich Immobilien aller Art für ungeeignete Bilder. Es reicht, ihnen Mobilität zu unterstellen, wozu die Planungsphase verlockt: «Stadion rückt näher» oder «die Hängebrücke wurde wieder in die Schublade gelegt» – und eines Tages wird man sie an den Nagel hängen. «Holzkiosk nimmt erste Hürde»: Da kann man immerhin an die russische Märchenhexe Baba Jaga denken, deren Hütte Hühnerbeine hat.
Zuweilen ist ein Bild selber, was es sagt. Manch ein zweischneidiges Schwert zeigt zwar den Schmiss des Schreibers, fügt ihm aber zugleich einen Schmiss zu. «Auch der Salatanbau ist ein zweischneidiges Schwert» – eine solche Waffe wäre vielleicht bei der Ernte zu gebrauchen, aber nicht als Ausdruck dafür, dass wegen der Wetterkapriolen Freud und Leid der Salatbäuerin nahe beieinander liegen. Weniger gefährlich ist es, das Bild für etwas Abstraktes zu verwenden: «Die Popularität der Sternchen am Showhimmel ist ein zweischneidiges Schwert.» Die Popularität mag so ein Schwert sein, allerdings lieber nicht auch noch am Himmel: Dort hat nur Orion eins.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel»; Verfasser der Kolumne «Sprachlupe», alle 14 Tage in der Zeitung «Der Bund».
Gratuliere zu diesem leicht geschriebenen aber dennoch spannenden und lehrreichen Artikel! SK
Herrlich, mit welcher Ernsthaftigkeit und trotzdem sehr ernsthaft Sie hier über sprachliche Stolpersteine hüpfen 🙂 You made my day, Danke!
Da ist es mir wohl bei aller Freude über Ihren Artikel selber nicht gelungen, einem sprachlichen Stolperstein auszuweichen. Es müsste natürlich heissen: Mit welcher Leichtigkeit und trotzdem sehr ernsthaft… etc.