Glosse
Sprachlust: Shprekken See Doitsh?
Lang ists her, aber die Begebenheit hat sich wirklich zugetragen: Da fiel zwei aufgeweckten Mädchen, kaum hatten sie lesen gelernt, ein Lehrbuch der englischen Sprache in die Hände. Sie schlugen das erste Kapitel auf: Aussprache. Flugs lernten sie alles, was dort stand, griffen dann zum Deutsch-Lesebuch und lasen einander die Geschichten auf «Englisch» vor. Bereits freuten sie sich, wie leicht das Sprachenlernen ging, aber dann nahm sie doch wunder, was denn im Englisch-Lehrbuch weiter hinten überhaupt noch nötig war. Und schon folgte die grosse Enttäuschung: Diese Engländer hatten ja lauter eigene Wörter, die man auch noch lernen musste.
Heute hätten es die beiden Kinder leichter: Die deutsche Sprache hat sich nicht nur durch viele englische – und einigermassen englisch ausgesprochene – Wörter angereichert, neuerdings werden auch Wörter englisch ausgesprochen, die gar nicht aus dem Englischen kommen, jedenfalls nicht ursprünglich. Am bekanntesten ist der Hurrikan, in der Karibik-Sprache Taino ein Sturm, möglicherweise auch ein damit verbundener Gott. Das Wort gelangte übers Spanische nach Europa. Bei uns wurde nicht nur die Schreibweise eingedeutscht, sondern auch die Aussprache.
Aus Hurrikanen werden Hurrikans
Aber wie ein Sturm breitete sich in den letzten Jahren der «Harriggen» aus; am Deutschschweizer Radio sogar von oben verordnet, gegen den Protest sprachbewusster Mikrofonstimmen. Inzwischen hat der Duden diese englische Aussprache als Variante übernommen – nicht aber das im Englischen ebenfalls vorkommende «Harriggein» mit berndeutsch gesprochener Endung, denn dann müsste man wohl im geschriebenen Deutsch das Schluss-e vom Englischen übernehmen. Hurrikane lautet vorläufig noch der Plural; bereits aber weist uns der Duden an, in der Mehrzahl von Hurrikans zu reden (und zu schreiben?), wenn wir es mit englischer Aussprache tun. Konsequenterweise müsste er auch das k wegblasen, um dem englischen c Platz zu machen.
Ein Hurrikan kommt selten allein. So war am gleichen Radio von einer Bestie namens Tierex zu hören, mit kleiner Kunstpause nach dem ie. Sollte damit die Anspielung auf Rex deutlicher werden, den König der Tiere? Gemeint war aber nicht der Löwe, sondern T. Rex, der Saurierkönig in «Jurassic Park». Die Kunstpause war der Abkürzung von Tyrannosaurus geschuldet, die englische Aussprache vielleicht dem Film. Der Rex aber blieb deutsch-lateinisch, er wurde nicht zum «Wrex».
Sprachliche Identität
Was nicht ist, kann noch werden, und dann Gnade dem Darmbakterium und Forscher-Haustier E. coli. «Ih-koulei» tönt doch ekelhaft, und wie die ausgeschriebene Escherichia auf Englisch klänge, wollen wir uns gar nicht ausmalen. Auch nach den Sternen greifen wir lieber griechisch-lateinisch und machen aus A. Centauri keinen «Älfa Ssentohrei». Und wir halten uns an das, was uns ein Lehrer (aus der Generation der beiden Mädchen) einprägte: I a Qualität sei nicht Eins a, sondern prima.
Eine letzte Geschichte noch, ebenfalls lange her, und etwas weniger gut verbürgt: Da erhielt ein Gemeindeschreiber im Bündnerland von der Polizei im fernen Zürich die Anfrage, ob etwa der in seinem Dorf gemeldete Caviezel Alois identisch sein könnte mit dem ebendortigen Cahenzli Alfons. Der gute Schreiber war nicht ganz sicher, wie das Fremdwort zu verstehen sei, und so antwortete er vorsichtig: «Wir wissen es von keinem genau, aber zuzutrauen wäre es beiden.» Mit dem Deutschen und dem Englischen verhält es sich nachgerade ebenso.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.
Gut gebrüllt, Löwe!
… und wenn ich dann auch immer wieder die SRG-Sprecher dass anstelle von das aussprechen höre und der Herr Rüegger zu Herr Rüüüger wird, klingelt bei mir die Alarmglocke ob des unsäglichen Nachahmens der teutonisch-hannoveranischen Sprachentwicklung. Grauslich …