Glosse

Sprachlust: Ein Nachruf auf den Konjunktiv

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  «Sie sagt, sie würde ‹Sprachlust› lesen.» Was nun? Liest sie, oder würde sie nur, wenn ... ? Die aktuelle Mediensprache verwirrt.

«Wenn der Konjunktiv stürbe» – diesen Titel gab der Sprachpfleger Wolf Schneider 1998 einer seiner Betrachtungen im «NZZ Folio». Als Pflegefall hatte er damals Formen wie «stürbe» ausgemacht, die als «Konjunktiv II» in den Grammatiken stehen. Sie werden vom Imperfekt (Präteritum, Vergangenheit) abgeleitet und für hypothetische Fälle verwendet: konditional z. B. nach «wenn» oder irreal wie: «Es war, als hätt› der Himmel die Erde still geküsst.» Eichendorffs Gedicht wäre dahin, stünde da «als würde der Himmel die Erde still geküsst haben».
Auch wenn gestrenge Sprachlehrer einst predigten, «wenn ist würde-los»: Es ist nicht unzulässig, den Konjunktiv II mit «würde» zu umschreiben. Grammatiken legen fest, in welchen Fällen das geht, und mir scheint, sie würden damit immer grosszügiger. Nebenbei: Soeben stand «sie würden» als – nicht umschriebener – Konjunktiv II des Verbs «werden». Manch einer schriebe da umständlich «sie würden werden». Schneider liess die Umschreibung nur dann gelten, wenn der Konjunktiv gleich lautet wie das Imperfekt, etwa «sie würden gehen» statt «sie gingen», oder wenn die Zukunft gemeint ist (oder auch, was er nicht zu sagen brauchte, falls jemand «gegangen würde»). Ein Auge drückte er ebenfalls zu bei «unpopulären» Formen wie «nennte» oder «rennte».
Tod auf dem Spielfeld
Gestorben ist der Konjunktiv schon lange auf dem Fussballplatz: «Wenn er mich nicht anrempelt, erwische ich diese Flanke», sagt der Spieler, nachdem er die Torchance schon vermasselt hat. Er nimmt sich nicht einmal die Mühe, seine Ausrede mit «würde» zu versehen. Anderswo halten sich wenigstens die einfacheren Formen des Konjunktivs II und machen sich sogar auf Kosten des Konjunktivs I breit, dem dieser Nachruf eigentlich gilt. Der wird vom Präsens (Gegenwart) abgeleitet und ist vor allem in der indirekten Rede zuhause: «Sie sagte, sie gehe.»
Was aber, wenn von mehreren Leuten die Rede ist? «Sie sagten, sie kommen» klingt umgangssprachlich oder so, als berichte da jemand, der den Konjunktiv I nicht beherrscht. Diese Form lautet hier an sich gleich wie der Indikativ (Wirklichkeitsform). Deshalb «borgt» man, wie Schneider sagte, an ihrer Stelle den Konjunktiv II: «sie kämen». Als «häufigsten Verstoss» gegen die Regeln für indirekte Rede machte er aus, dass diese Ausleihe zu oft erfolge: «Sie sagte, sie hätte keine Zeit, ihr Mann wäre betrunken.» In der Schweiz höre man die richtigen Formen – «habe» und «sei» – «überdurchschnittlich oft», lobte der Berliner Schneider, und er tadelte Bayern und Österreich: Dort «zieht man statt dessen das falsche würde vor: ‹Sie sagte, sie würde die Nase voll haben.›»
Gemeint ist «er tue»
Just dieses würde in indirekter Rede greift nun auch in der Schweiz um sich. Im Dialekt ist es mir zum Glück noch nicht begegnet; da sind die kernigen und richtig verwendeten Konjunktivformen quicklebendig. Aber im Hochdeutsch des Radios und der Zeitungen wimmelt es von Sätzen wie: «Der Bundesrat gibt bekannt, er würde mit der EU verhandeln.» Gemeint ist nicht etwa, er täte das, wenn sich Brüssel dazu hergäbe, sondern es geht um Verhandlungen, die laut Bundesrat bereits stattfinden. Sogar die arg nach Mundart klingende Formulierung «er tue verhandeln» wäre hier besser, weil nicht missverständlich. Aber es ginge ja auch ganz einfach und fehlerfrei: «er verhandle».
Nur kommt es auch da vor, dass der Plural nach Vergangenheit tönt: «Er sagte, seine Delegierten verhandelten.» Kein Problem, solange man (dank «er sagte») weiss, dass hier eine Aussage wiedergegeben wird. Aber wenn sich die Wiedergabe in die Länge zieht, vergisst man das beim Lesen oder Hören – und wird mit «würden verhandeln» daran erinnert. Oder eben irregeführt, weil man noch so sprachbewusst ist, dass man einen mit «würde» umschriebenen Konjunktiv II vermutet. Dann erwartet man, dass eine Bedingung erfüllt sein müsste, bevor die Delegierten wirklich verhandeln würden.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»
— Frühere Glosse zum Thema


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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8 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 18.07.2015 um 12:40 Uhr
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    Die einzigen Schulen, wo der Konjunktiv noch systematisch gelernt werden muss, sind die Polizeischulen der Deutschschweiz, wo ich einige Jahre nach Programm unterrichtete. Aus Protokollen muss klar hervorgehen, dass Aussagen von Einvernommenen nur perspektivisch und nicht objektiv gelten. Ehrlich gesagt ist das für männliche Aspiranten mit Volksschulbildung, die übrigens immer seltener werden, eine gewisse Zumutung und im Vergleich zum hinteren Drittel einer Gymnasialklasse schon fast eine «Diskriminierung». Derlei Kleinigkeiten werden von Gymnasiasten und Gymnasiastinnen nun halt nicht mehr verlangt, zur Förderung der allgemeinen Chancengleichheit im Bildungswesen, wiewohl z.B. die Mädchen das problemlos könnten, was die Polizeischülerinnen noch und noch beweisen.

    Dass die Zahl der sprachlich Gebildeten in den letzten 50 Jahren in der Schweiz trotz enormen Mehrkosten für Schulen nicht mehr zugenommen hat, sondern wohl klar abgenommen, hängt mutmasslich mit der Liquidierung des Lateins zusammen. Dort gehört der Konjunktiv samt der Consecutio temporum zur Elementarbildung. Man lernte schon immer Latein, um ein besseres und präziseres und klareres Deutsch hinzukriegen. Galt erst recht für das Französische, weswegen etwa Pascal und Diderot und Voltaire als Jesuitenschüler nun mal den Unterschied ausmachten zu dem, was man heute als «Intellektuellen» durchgehen lässt.

  • am 18.07.2015 um 19:31 Uhr
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    @Pirmin Meier: Im ersten Satz: (…) wo der Konjunktiv noch systematisch gelernt werden muss …», kommt das «wo» aus dem Schweizerdeutschen: «D’Schuel, wo n’ig glehrt ha …».

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 18.07.2015 um 22:41 Uhr
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    Herr Roth, ich schäme mich nicht, über ein massvolles Schweizerhochdeutsch zu gebieten, man vergleiche u.a. auch noch den Unterschied zwischen «selber» und «selbst», wobei in dieser Sache sogar der Schwabe Hölderlin auf «unserer Seite» stand. Immerhin sind Schulen ein örtliches Charakteristikum. Es darf also die Frage «Wo?» gestellt werden. Die Interkantonale Polizeischule Hitzkirch steht an einer Stätte, w o über viele Generationen ein vorzügliches Lehrerseminar bestand.

  • am 24.07.2015 um 23:33 Uhr
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    Sie hät gsäit, sie gieng, und ich heigi xäit…. (schwyzertütschi Konjuktiv)

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 25.07.2015 um 14:28 Uhr
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    In der Mundart unterscheiden wir auch die beiden Konjunktive mühelos, nur nicht in allen Dialekten gleich. «Sie hät gsäit, sie gieng» tönt für mich so, als müsste noch eine Bedingung folgen, z. B. «wenn si chönnt.» Sonst vielleicht: «Si hät gsäit, si göi sicher.» Selber würde ich, im Ostaargau aufgewachsen, wohl sagen: «Si göcht, wenn si chönnt», oder aber «si göchi sicher». Ich befürchte nur, auch in Mundart höre man bald (oder bereits) «si würd gaa» – ob bedingt oder unbedingt.

  • am 25.07.2015 um 22:46 Uhr
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    In der Stadt Zürich aufgewachsen, würde ich sagen: «sie hāt gsåit, sie giengti, wånn sie chönnti» oder: «sie giech, wänn sie chönnt.» Der Konjunktiv ist in der Schriftsprache und in den Dialekten eine interessante Form, sozusagen eine musikalische.

  • am 17.11.2015 um 19:09 Uhr
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    Ich reagiere mit grossem zeitlichem Verzug; aber zustimmend.

    Was liest man laufend in Agenturmeldungen und Zeitungsberichten?
    "Wir haben mit dem Gemeindepräsidenten gesprochen. Er hat erklärt, er würde (!) die nächste Gemeindeversammlung auf einen Freitag Abend ansetzen» ( … indirekte Rede?). Ein erfundenes Beispiel, dem man aber sinngemäss täglich mehrfach begegnet.
    Was würde geschehen, wenn all die «würden"-Erklärungen tatsächlich umgesetzt werden ?
    Peter Röthlin

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 17.11.2015 um 20:18 Uhr
    Permalink

    Von zehn Personen, die wissen, was eine «gemischte Sauna» ist, weiss maximal eine zu sagen, was der gemischte Konjunktiv sei, von der korrekten Anwendung ganz zu schweigen.

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