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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Wörter, um sich Wölfe untertan zu machen

Daniel Goldstein /  Abgeschossen, ist der Wolf tot – egal, ob reguliert, entnommen oder erlegt. Aber des Menschen Wortwahl zeigt die Haltung dahinter.

«Noch am selben Montag unterzeichnet Bafu-Direktorin Schneeberger ein neues Schreiben an den Kanton Wallis und autorisiert den Abschuss von zwei weiteren Rudeln. Eines der Rudel habe entgegen der ersten Verfügung doch Schafe in geschützten Situationen angegriffen.» Unerhört: Da foutiert sich ein ganzes Wolfsrudel einfach um eine bundesamtliche Verfügung und auch um den Herdenschutz. Das könnte man jedenfalls meinen, wenn die Tamedia-Zeitungen vom 28. September das Schreiben aus dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) korrekt wiedergegeben haben. Vermutlich nicht ganz: Das Rudel hatte die Verfügung kaum erhalten, auch keine Rechtsmittelbelehrung. Das Amt stellte wohl eine «systematische Umgehung von Schutzmassnahmen» durch die Wölfe fest, was gemäss der ersten Verfügung den Abschuss rechtfertige.

Hier soll es nicht wie im Zeitungsbericht darum gehen, dass die Einschätzung des Amts sofort nach einem Gespräch zwischen Bundes- und Kantonsregierung erfolgte. Auch nicht allgemein darum, wie der Mensch mit den Wölfen und den Schafen umgeht, sondern nur darum, wie er darüber redet. Vor allem, wenn der Mensch in einem Amt sitzt – oder in einer Zeitungsredaktion, die oft einen beschönigenden Sprachgebrauch übernimmt. Klartext kommt indes ebenfalls vor: «Ein einziges gerissenes Schaf muss ausreichen, um den Abschuss eines ganzen Rudels zu rechtfertigen», wird aus dem Walliser Gesuch an Bern zitiert.

Auch einzelne Tiere werden «reguliert»

Dass Wölfe Schafe reissen, passt zum entsetzlichen Bild, das sich nachher bietet. Würde man den Wolf nicht Raubtier, sondern Beutetier nennen, wie es Naturkundige empfehlen, dann müsste man erlegen oder erbeuten sagen. Nur stellt man sich als Mensch vor, ein anständiges Beutetier begnüge sich mit so viel Beute, wie es selber braucht. Selbst einem «masslosen» Wolf bleibt jedoch der Abschuss sprachlich oft erspart – dies sogar bei als hemdsärmlig bekannten bayerischen Politikern. Ministerpräsident Söder sagte laut der «Süddeutschen Zeitung»: «Jetzt kann man die Wölfe dann generell in der Region entnehmen.» Und sein Stellvertreter Aiwanger hielt fest, «dass der Wolf reguliert werden muss».

Entnehmen und regulieren sind auch hierzulande beliebt, so beim Bafu im Walliser Fall; auch eingreifen, in bestimmten Fällen sogar proaktiv. Nur würde entnehmen und dergleichen dann besser passen, wenn man die Tiere schonend einfinge und in eine Umgebung brächte, wo sie keinen Schaden anrichten können. Und regulieren kann man den Wolfsbestand eines Gebiets, wenn man von Amtes wegen befugt ist, für eine gesetzlich genehme Tierpopulation zu sorgen. Aber was passiert mit einem einzelnen Wolf, wenn man ihn reguliert? «Im Kanton St. Gallen haben wir somit zwei Wölfe reguliert», lautete im «Werdenberger und Obertoggenburger» die Bilanz des zuständigen Regierungsrats. Immerhin hatte er zuvor gesagt, dass die Tiere von Wildhütern «erlegt» worden waren.

Unerwünscht – pfui, produktiv – hui!

Der Grund für amtlich bewilligtes «Eingreifen» ist generell das «unerwünschte Verhalten» von Wölfen. Unerwünscht, ohne dass man das zu sagen braucht: aus menschlicher Sicht (und gewiss auch aus jener von Schafen). Das Recht zu solcher Regulierung leitet sich aus Gesetzen ab, letztlich aber auch aus der herkömmlichen Deutung des Bibelworts «macht euch die Erde untertan». In jüngerer Zeit wird die Stelle oft als «sorgt gut für die Erde» neu übersetzt oder gedeutet. Beim Zustand, in den der Homo sapiens diese Erde versetzt hat, gehört zur Sorge um ein künftig besseres Miteinander womöglich auch das Erschiessen von Wölfen. In ehrlichen Worten darüber reden sollte man auf jeden Fall.

Das gilt übrigens auch, wenn es nicht ums Schützen, sondern ums Nutzen von Tieren geht, die als Eigentum betrachtet werden. Der Zufall (oder eine tierliebe Redaktion) wollte es, dass in den Berner Tamedia-Ausgaben, die über die «Wolfspolitik» im Wallis berichteten, auch eine Reportage stand über «Esprit, die schönste Kuh Europas, erschlagen von einem Blitz». Sie war auf einem Emmentaler Zuchtbetrieb gehegt und gepflegt worden, schier wie ein Familienmitglied. Und doch sagte ihr Halter, das Ziel beim (stets künstlichen) Besamen seiner Kühe sei es, dass «ein möglichst gutes Produkt herauskommt». Das ist ehrlich, bodenständig ehrlich.

Weiterführende Informationen

  • Indexeintrag «Framing (Suggestion)» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3. In den Bänden 1 und 2 (Nationalbibliothek) funktionieren Stichwortsuche und Links nur im herun­tergeladenen PDF.
  • Quelldatei für RSS-Gratisabo «Sprachlupe»: sprachlust.ch/rss.xml; Anleitung: sprachlust.ch/RSS.html

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • am 5.10.2024 um 12:24 Uhr
    Permalink

    Der Sprachkundler Daniel Goldsteins entlarvt allein mit der Sprache der Beamten und «Regulierer», wie weit diese von der Tierwelt entfernt sind und die Natur nur auf Papier und in Gesetzen und Verfügungen zu beherrschen trachten. Aber die arme Esprit (dt. Geist – im Sinne von Seele) «schönste Kuh Europas» wurde von einer (noch) ungebändigten Naturmacht erschlagen, obwohl sie im Emmental unbefleckt nur künstlich besamt wurde. Die Klimakatastrophe bringt signifikant mehr Blitzeinschläge, so dass das Thema Wolf in naher Zukunft durch vom Blitz gegrillte Kühe abgelöst wird…

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