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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Willkommen im Club, Südhochdeutsch!

Daniel Goldstein /  Nicht nur in Österreich und der Schweiz regt sich Widerwillen gegen den Anspruch eines nördlich geprägten «Einheits-Hochdeutsch».

«Rettet den Rahm und die Semmel!» Der Aufruf kommt aus Bayern, und wir können ihm in der Schweiz laut beipflichten, wenn uns jemand Sahne und Brötchen andrehen will – dies obendrein mit der Begründung, nur so heisse das auf Hochdeutsch. Zur Dialektrettung müsste der Aufruf hier­zulande Nidle u Mütschli oder auch Nidel und Bürli hochhalten. Nun aber geht es um die Schriftsprache, und da dürfen wir auch Deutschen Rahm und Semmeln auf­tischen, ohne zu erröten. Nach Duden ist Rahm in «landschaftlichem», also regionalem Gebrauch, Semmel «besonders österreichisch, bayrisch». Bürli steht als «schweizerisch» im Rechtschreib-Wörterbuch, als «schweizerisch mundartlich» sogar Nidel/Nidle. Bäckereien und Molkereien müssen also ihre Schiefertafeln nicht korrigieren.

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Aus «Blaukraut bleibt Blaukraut»

Mit dem Appell für Rahm und Semmel haben der Bund Bairische Sprache und der Bayerische Landesverein für Heimatpflege dieses Jahr eine Kampagne für «Südhochdeutsch» lanciert, denn «viele Wörter der Süddeutschen Hochsprache werden allmählich von ihren norddeutschen Varianten verdrängt». Die Vereine rufen dazu auf, «die Süddeutsche Hochsprache in ihrer alt­bayerischen, fränkischen und schwäbischen Variante konsequent und kontinuierlich zu fördern. (…) Dass die deutsche Hoch- und Schriftsprache nur in regionalen Varianten existiert, ist in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt. Allzu oft wird nördliches Deutsch naiv für das eine ‹reine Hochdeutsch› gehalten.»

Irrglaube vom «einzig korrekten» Norddeutsch

Dieser Irrglaube wird oft auch in der Deutschschweiz verbreitet, so jüngst im «Sprachquiz» der «Sonntags-Zeitung» mit Tipps, um auf Reisen Richtung Norden «zu zeigen, dass man das mit dem Hochdeutsch im Griff hat». So solle man in Berlin statt Brötli eben Schrippen sagen – also ein Wort verwenden, das laut Duden «besonders berlinisch» für Brötchen ist. Das Blatt versteigt sich gar zu den Behauptungen, «auf Deutsch» gebe es nur die Tram und «korrektes Hochdeutsch» sei allein die Mail. Dabei hat das Mail als «besonders süddeutsch, österreichisch, schweizerisch» den Segen des Dudens; die und das Tram lässt er online gleichermassen gelten, aber beides nur auf südlichen Geleisen, sonst Strassenbahn.

Wer sich für schweizerisches Hochdeutsch wehrt, kann sich schon lange auf sprachlich Selbstbewusste in Österreich berufen und findet nun auch im Süden Deutschlands Gleichgesinnte. Der Bund Bairische Sprache bietet auf seiner Facebook-Seite eine kleine Einführung zum Begriff Standardsprache, besonders was die Aussprache betrifft. Dort steht unter anderem, diese Sprache sei «jedem und jeder in die Wiege gelegt», was dann für die Schweiz doch eine kühne Behauptung wäre. Dennoch gibt es auch eine schweizerische Färbung, die als Standardvariante akzeptiert ist. Der kleine Duden «Schweizer­hochdeutsch» gibt Hinweise dazu. Sein Hauptteil indessen gilt dem Wortschatz.

Blaukraut grüsst Rotkabis, Gelbe Rübe das Rüebli

Ein noch kleineres Wörterbuch gibt’s nun auch für «Altbayerisches Hochdeutsch», gratis im Internet, nebst politischer Petition: «Blaukraut bleibt Blaukraut». Das ist unser Rotkabis; beides steht mit Regionalvermerk im Duden, ohne Einschränkung sind dort Rotkraut und Rotkohl zu finden. Ebenfalls zum Herunterladen bereit sind Forschungsliteratur und ein südhochdeutsch gesprochenes, fremdenfreundliches Märchen; dort sind mir vor allem dunklere Vokalfärbungen und gerollte R aufgefallen. Dem «altbayerischen» Wörterbüchlein ist eine Ausweitung aufs ganze Südhochdeutsch zu wünschen, um das Gewicht gegenüber der nördlichen Sprachdominanz zu vergrössern. Davon würden auch Österreich und die Schweiz profitieren, trotz Unterschieden in den jeweiligen Versionen des Standarddeutschen. So plädiert der Aufruf «pro Südhochdeutsch» für «Gelbe Rübe statt Möhre»; uns wären Karotten lieber, im Inland dürfen wir Duden-getrost bei Rüebli bleiben.

duden-pflaumen

Mit den Süddeutschen können wir uns dann wieder verbünden, um zwischen Zwetschgen und Pflaumen zu unterscheiden – im Online-Duden sind doch tatsächlich unter Pflaume eindeutige Zwetsch­gen abgebildet. Als Synonyme werden genannt: «süddeutsch, schweizerisch und Fachsprache» Zwetschge sowie «regional, besonders norddeutsch» Zwetsche. Eigene Bilder gibt’s dazu nicht, dafür den (botanisch fast richtigen) Hinweis, das sei «eine Pflaumenart» – und sie heisse «besonders österreichisch» auch Zwetschke. Aber nur via Pflaumenmus gelangt man zu dessen sehr österreichischem, aus dem Tschechischen stammenden Synonym Powidl. Beim EU-Beitritt sorgte Wien für amtliche Geltung in der Union, wie bei 22 weiteren Delikatessen. Das Wort wird auch sprichwörtlich verwendet: Es ist mir Powidl (wurscht). Das trifft natürlich auf die regionalsprachlichen Finessen nicht zu.

Weiterführende Informationen

  • Indexeinträge «Helvetismen/Hochdeutsch» und «Sprachgebiete» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3. In den Bänden 1 und 2 (Nationalbibliothek) funktionieren Stichwortsuche und Links nur im herun­tergeladenen PDF.
  • Quelldatei für RSS-Gratisabo «Sprachlupe»: sprachlust.ch/rss.xml; Anleitung: sprachlust.ch/RSS.html


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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4 Meinungen

  • am 10.08.2024 um 17:03 Uhr
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    Des find ich sehr guet, dass ihr euch für unseri schöne Dialektwörter schdark machet. Allerdings schwätze nit nur d’Bayern Dialekt sondern in Bade un im Schwobeland hämmer ebefalls e wunderschöns Allemannisch. Leider sin di Junge de Ansicht, sie müessde mit ihre Chind Hochdütsch rede, «damit sie in der Schule besser sind». Debi weiss doch jeder, dass Zweischprochigkeit s’Hirni trainiert (’s git viel meh Vernetzige) un mir Äldere chönne beides. I find, unser Dialekt – i chumm vom Hochrhii uff de dütsche Site – isch en wichtige Beschdanddeil vo unsere Kultur un sott nitt in Vergesseheit grote. Aber die viele zueg’reiste Preusse maches uns ziemli schwer, de Dialekt im Alltag z’schwätze, mer müen dauernd ins Hochdütsch übersetze. Mengi Hochdütschi sin scho Jahrzehnte do, aber wie im Artikel darg’legt , sie meine, mir müesste uns an sie a’basse und verlange au vo ihre Chinder, dass sie «anständig reden». Wie wenn unser Dialekt unanschdändig wär!!

    • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
      am 10.08.2024 um 21:43 Uhr
      Permalink

      Dialekt in Ehren, in hohen Ehren sogar. Zum Glück versucht in der Deutschschweiz schon seit bald hundert Jahren niemand mehr, uns die Mundart madig zu machen. In dieser «Sprachlupe» geht es aber nicht darum, sondern ums Hochdeutsch, wenn wir und andere im Süden des deutschen Sprachraums es mit regionalem Einschlag reden und schreiben. Solange wir dabei für Nordlichter verständlich bleiben, sollten sie uns deswegen nicht heimzünden, und zur Selbstkasteiung besteht erst recht kein Grund.

      • am 11.08.2024 um 06:46 Uhr
        Permalink

        Mich stört auch, dass viele Leute auf Neu-Mundart von «Kartofflä» statt von «Härdöpfel, Gummeli etc.» sprechen.
        Vermutlich geht die Entwicklung wegen der Einwanderung einfach in diese Richtung…

  • am 12.08.2024 um 11:23 Uhr
    Permalink

    Danke, schön, dass die Vielfalt der deutschen Sprache erhalten bleibt!
    Was mich im Schweizerdeutschen auch stört, ist das total unschweizerische ‹lecker›, wenn etwas gut schmeckt. Das hat erst mit dem TV-Spots von Fertig-Pizza & Co. bei uns Einzug gehalten.

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