Sprachlupe: Wenn Wörter das Zeitliche segnen

Daniel Goldstein /  Absprache, Altersheim, Tatsache: Diese Wörter sah ein Wörterschützer vor einigen Jahren als «gefährdet» an, aber sie sind noch da.

Wie gewonnen, so zerronnen, und beides in den Nullerjahren: Kurz bevor es die «Abwrackprämie» in die Duden-Auswahl «Unsere Wörter des Jahrzehnts» schaffte, war sie bereits im «Wörterbuch der deutschen Spracharchaismen» verzeichnet worden. Die deutsche Aktion zur Förderung des Neuwagenverkaufs, der die Prämie zu verdanken war, war abgeschlossen, und damit konnte die Wortschöpfung dem Vergessen zugeführt werden. Jedenfalls nahm sie der Autor Manfred Neumann in seine Sammlung «Vom Aussterben bedrohte Wörter der letzten hundert Jahre inkl. Begriffe der ehem. DDR» auf; so lautet der Untertitel des 2011 im Laufersweiler-Verlag in Giessen erschienenen, 230-seitigen Buchs, das noch antiquarisch erhältlich ist. Derselbe Verlag bereitet ein ausgebautes «Lexikon der vergessenen Wörter» vor.
Der «einst mit Spreewasser getaufte» pensionierte Ingenieur Neumann ist ein Amateur im besten Sinne des Wortes, ein Sprachliebhaber. Er hat seine Sammlung aus früheren ähnlichen Publikationen (siehe unten) und aus eigener Beobachtung zusammengetragen und verzichtet darauf, «Unterscheidungen über den Grad des Veraltens der einzelnen Wörter» anzuführen; auch kommt es ihm nicht auf die Gründe dieses Veraltens an – ob etwa die bezeichneten Dinge ausser Gebrauch sind oder heute anders heissen. Er will helfen, «den Vorrat veralteter oder gerade veraltender deutscher Wörter zu nutzen», getreu einem Wort Jakob Grimms: «sprache, die auszer ihrem baren vorrat, der in umlauf ist, keine sparpfennige und seltene münzen aufzuweisen hätte, wäre arm geschaffen.»

Aberschanz in Posemukel

So sind denn schon auf den ersten Seiten Raritäten zu finden wie «sich abäschern» (abrackern), «Abgängling» (Fehlgeburt), «äbicht» (links). Aufgeführt sind fast nur Wörter, die zumindest 1913 oder 1973 im Duden standen; Ausnahmen kennzeichnet der Autor und gibt andere Quellen an, so für «Aberschanz» (Gesäss, bei Mörike). Das ist zweifellos ein «Hüllwort»; dieser Ausdruck für Euphemismus ist aber nicht als bedrohtes Wort verzeichnet, sondern wird verwendet, um etwa den «Argen» oder den «Gottseibeiuns» als Teufel zu entlarven oder den «Allerwertesten» zu enthüllen.
Sprachlichen Einblick in die einstige DDR gewähren oft Abkürzungen oder Markennamen, aber auch Ausdrücke wie «Plaste» für Kunststoff oder «abkindern» für die «Minderung des zinslosen Ehekredits durch Geburt von Kindern». Nicht nur aus der DDR gibt es historisch oder regional gefärbte Einträge, aber die andern sind nicht gekennzeichnet. Dazu gehören etwa «quienen» (nicht recht gedeihen) oder «Posemukel» (kleine, unbedeutende Stadt – nach einem heute polnischen Dorf dieses deutschen Namens, wie Wikipedia ergänzt).

In der Schweiz quicklebendig

Umgekehrt enthält das Wörterbuch allerhand «vom Aussterben Bedrohtes», das in der Schweiz noch durchaus geläufig ist, im Duden meist als Helvetismus ausgewiesen: «Abdankung» (im Sinn von Trauerfeier); «allfällig» (oder, echt alt klingend, «allfallsig»), «Auslaufer» (braucht für uns nur noch die ä-Pünktchen), «aufbeigen», «Tobel», «Trottoir». Überraschend erscheint bei Neumann das in der Schweiz recht mundartlich klingende Adjektiv «teig» (halbfaul, angefault); der Duden führt es unter der uns vertrauten Bedeutung «überreif, weich» – und als «landschaftlich», aber nicht speziell schweizerisch. Unser «Lätt» hat im Wort «Letten» (Ton, Lehm) eine Entsprechung, die im Hochdeutschen «bedroht» und in Zürich zum Flurnamen erstarrt ist.
Wohl absichtlich allzu pessimistisch führte der Autor allerlei Wörter als «gefährdet» auf, die es kaum waren oder sind: Absprache, alles inbegriffen, Altersheim, benachrichtigen, Guten Tag, Häppchen, Steckenpferd, Tatsache – jeweils mit einem englischen oder sonst modischen Ersatzwort, von dem es bedrängt wird. Übrigens auch «Gesäss»: Heute sage man Po, wie «früher nur im Umgang mit Kindern». Kindersprache mag auch der Duden: Zu seinen «Wörtern des Jahrzehnts» gehörte «supi» als Verkürzung des (dubiosen) Adjektivs «super». Möge beides das Zeitliche segnen! (Duden: «veraltend für sterben»)
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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