Sprachlupe: Wenn die Blasensprache in die Zeitung rinnt

Daniel Goldstein /  Fachkompetenz soll sich nicht im Vokabular, sondern in der Sache zeigen. Das gilt auch fürs «Fach», jung und hip und urban zu sein.

Das ist nun wirklich ein abgespacter Typ: Beim Taggen hat er immer eine Bong dabei, und bei der rasenden Heimfahrt lässt er es gern auf ein Chicken Game ankommen. Die Prognose, dass so einer nicht Bundesrat wird, ist ein No-Brainer. Seine Wahl wäre ein schwarzer Schwan und wahrscheinlich auch ein Gamechanger.

Sind Sie noch da, und ohne Kopfschütteln? Dann haben Sie den Test bestanden und dürfen mein Leibblatt lesen. Sind Sie noch da, aber kopfschüttelnd, dann kann ich Ihnen eine kleine Nachhilfelektion anbieten. Nebenbei können Sie raten, welche der befremdlichen Ausdrücke im ersten Absatz ich selber nachschauen musste. So etwas ist ja keine Schande, aber es macht die Lektüre mühsam und gibt einem das dumme Gefühl, nicht mehr zum Zielpublikum zu gehören. Denn all die englischen oder englisch angehauchten Wörter standen – ohne Erklärung – im Möchtegern-Leibblatt, wenn auch in anderen Zusammenhängen.

Latein ist Old School

Früher warf mit Latein um sich, wer «gebüldet» sein wollte. Das war schon zu Beginn meines Journalistenlebens verpönt, jedenfalls in Zeitungen für ein breites Publikum. Lateinische Fremdwörter musste und muss man dennoch nicht oder nicht jedesmal erklären, wenn sie beim gerade behandelten Thema gängig sind. Wer den Wirtschaftsteil liest, kann wahrscheinlich mit Aktiven und Passiven etwas anfangen, oder im Inlandteil mit Majorz und Proporz. Zudem lassen sich diese Ausdrücke im Zusammenhang so verwenden, dass sie sich unaufdringlich selber erklären.

Ebenso wenig darf ich erwarten, dass mir in jedem Fussball­bericht die Abseitsregel erklärt wird – wohl aber bestimmte Feinheiten, wenn sie eine Rolle gespielt haben. Und wenn ich endlich einmal nachgeschaut habe, was «icing» im Eishockey bedeutet, kann ich es mir hoffentlich auch merken. Doch welche Fachsprache wird oben im ersten Absatz vorausgesetzt? Wenn überhaupt, dann mehr als eine. Näher dran ist man aber, wenn man eine Szenesprache vermutet: wie jüngere, urbane und auf Weltläufigkeit getrimmte Leute eben so reden. Oder in die Zeitung schreiben und vergessen, dass sie’s nicht nur für ihre eigene Blase tun.

Englisch ist Lingua franca

So stand denn über David Bowies Musik von 1972: «Abgespact klingt das, trotz der sehr irdischen Prägung durch E-Gitarre, Bass und Drums.» Aha, irgendwie in den Weltraum abgehoben. Redensarten-index.de bestätigt: gedanklich abgehoben wie in Verzückung, Rausch, Trance. «Sprayen und Taggen» stand auf einer Seite, die ganz dem bekannten Sprayen galt; da musste Taggen etwas Ähnliches sein. Ein «Tag», mit ä gesprochen, ist der gesprayte «Chribu» des Täters. Eine «Gummihühnchen-Bong für Cannabis-Konsumenten» wurde als skurriles Internet-Angebot beschrieben; laut Duden kommt «Bong» für Wasserpfeife aus dem Thai. «Chicken» ist, nebst Huhn, auch ein Feigling – so der Vernünftigere beim «Spiel», aufeinander zuzurasen, ohne auszuweichen. Angeblich droht so etwas zwischen Bern und Brüssel.

Als «No-Brainer» wurde die Idee bezeichnet, etwas gegen die Recyclinglücke bei Plastikabfällen zu unternehmen; das ist im Englischen ganz wörtlich gemeint: auf die Idee kommt man sogar, ohne das Hirn einzuschalten. «Übersetzungsversuche wie ‹Selbstverständlichkeit› oder ‹Kinderspiel› bringen es nicht ganz auf den Punkt», sah die «Wiener Zeitung» ein. Ich weiss auch nichts Besseres; ein passender Geistesblitz wäre ein schwarzer Schwan. So nennen Börsianer ein extrem seltenes Ereignis, das den Handel durcheinanderbringt; als «black swan» hat es der Finanzmathematiker Taleb bekannt gemacht. Tritt es ein, so ist es ein Gamechanger: Die Karten werden neu gemischt, es beginnt ein anderes Spiel. Als Gamechanger kommen fürs Leibblatt auch weniger unerwartbare Ereignisse in Frage, so ein Therapieerfolg gegen Covid oder eine bestimmte Kandidatur für die Regierung. Der «schwarze Schwan» aber ist nicht englischen, sondern lateinischen Ursprungs: der Satiriker Juvenal hat die perfekte Ehefrau mit diesem – in der Antike unbekannten – Tier verglichen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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