Sprachlupe: Von Duden der Polizei ins ‹Stamm›buch geschrieben
Gerade rechtzeitig vor Silvester hat die Berliner Polizei interne Anweisungen bekommen, um wenigstens in den Rapporten über die Krawalle alles richtig zu machen. Am 28. Dezember berichtete die «Berliner Zeitung» über die neuen «Empfehlungen für einen diskriminierungssensiblen Sprachgebrauch» beim Landeskriminalamt. Demnach sollen Tatverdächtige nicht mehr «unspezifisch» etwa als «Südländer» bezeichnet werden, denn: «Der Begriff Südländer ist insbesondere auch durch die Nutzung in verfassungsfeindlichen Medien negativ belegt.» Korrekt wäre in einem solchen Fall z. B.: «dunklerer Hauttyp, Phänotypus: westasiatisch, gem. Zeugenaussage Arabisch sprechend, sehr dunkle, leicht gewellte Haare.»
Allerdings ist auch «dunklerer Hauttyp» missliebig, wenn der Phänotypus südlich der Sahara zu verorten ist. Dann «ist der Begriff Schwarze Person zu verwenden. Auf keinen Fall dunkelhäutig bzw. farbig.» Die auch im Original durchgestrichenen Wörter sind wegen ihrer «kolonialistischen und diskriminierenden Bedeutungen» verpönt. «Das Rundschreiben weist darauf hin, dass in Deutschland viele Menschen mit Rassismuserfahrungen leben. Weil es bei ihrer Selbstbezeichnung nicht um biologische Eigenschaften, sondern um gesellschaftspolitische Zugehörigkeiten geht, sollen die Polizisten künftig das S in Schwarz grossschreiben», berichtet die Zeitung. Ob jeweils nach dieser «Selbstbezeichnung» gefragt werden soll, steht da nicht. Man darf es aber vermuten, denn just dies gilt gegenüber Menschen, die sich nicht jenem Geschlecht zugehörig fühlen, «das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde».
Theoretischer Unterbau bei Duden
Die Empfehlungen der Berliner Polizei entsprechen genau jenen der neuen Duden-Publikation «Rassistisches Erbe. Wie wir mit der kolonialen Vergangenheit unserer Sprache umgehen» von Susan Arndt. Auch darin sind die Wörter durchgestrichen, von deren Verwendung die Bayreuther Sprachprofessorin abrät, von Aborigine bis Zigeuner, via Stamm oder auch Tropenmedizin. So schreibt sie, «Hautfarbe» werde «heute oft als Synonym für ‹Rasse› verwendet, […] wobei die christliche Farbsymbolik die antithetische Setzung von Weiss und Schwarz rahmte». Gesucht ist also eine Bezeichnung ohne Haut- und Farbbezug, weder Mohr noch Neger. Letzteres ist im Buch nur einmal als Titel ausgeschrieben (und durchgestrichen). Sonst ist es «das ‹N-Wort›, das symptomatisch für die weisse Behauptung steht, dass Schwarze keine (vollwertigen) Menschen […] seien».
Aber «Schwarze» darf man sie nennen. Zur Begründung führt die Autorin an, das Wort sei «gewendet» worden, also zum Widerstand gegen den Rassismus aufgegriffen, «vor allem aus der Schwarzen Bürger*innenrechtsbewegung in den USA» heraus. Dazu gehört, wie das Zitat zeigt, auch die Grossschreibung beim Adjektiv. Nur hat dieser Grossbuchstaben im Englischen eine andere Bedeutung: Er kommt praktisch nur bei Namen vor. Dieser Sinn ist zwar auf Deutsch ebenfalls möglich, etwa beim – heute gewiss verpönten – Kinderspiel «Fürched ihr de Schwarz Maa nid?» (Käme das im Buch vor, so stünde es zwischen warnenden Blitzsymbolen.) Stehen deutsche Adjektive nicht in Namen, so gilt nur in einem Fall Grossschreibung: bei der Ableitung von geografischen Bezeichnungen mit «-er», etwa «Schweizer Autonummern». Eher sollte man diesen alten Zopf abschneiden als neue Grossschreibungen einführen, um einzelne Adjektive mit Bedeutung aufzuladen.
Diskriminierung bekämpfen, nicht Sprachsünden
Auch die oben zitierte Kursivschreibung von «weiss» soll eine besondere Bedeutung markieren: die Begünstigung durch den Rassismus, über den Arndt schreibt: «Ins Leben gerufen, um weisse Macht und Herrschaft zu manifestieren und zu begründen, garantiert er Weissen bis heute Privilegien – in Schule, Ausbildung und Beruf» oder gegenüber Behörden und Medien. Als Sammelbegriff für die von solchen Privilegien Ausgeschlossenen, also die Diskriminierten, empfiehlt die Autorin «People of Color» (Farbe! Aber gewendet!), allenfalls erweitert zu «BIPoC» (mit Black und Indigenous – genehm im Unterschied zu «Eingeborene» oder «Ureinwohner»). Weiter möglich sei «BIJePoC» (mit Jewish), aber: «Jüdinnen*Juden sind in den meisten Kontexten im People of Color integriert». Wurden sie gefragt?
Praxistauglich sind die Ratschläge des Buches nur bedingt, aber es bietet darüber hinaus einen kenntnisreichen Abriss der Kolonialgeschichte und ihrer Nachwirkungen, nicht nur der sprachlichen – allerdings holzschnittartig und zielgerichtet. Gemäss Befund der Autorin, beispielsweise, «hebt die ‹Entwicklungszusammenarbeit› Kolonialismus nicht auf. Sie ist dessen neokoloniales Gewand.» Nichts hebt Kolonialismus auf, er ist ja geschehen. Sich dessen bewusst zu sein, ist auch in postkolonialen Zusammenhängen nötig. Für mich ist aber fraglich, ob Kampagnen zur Sprachsäuberung rassistischen Diskriminierungen entgegenwirken. Sie könnten mit ihrer Betonung unterschiedlicher «Identitäten» auch verschärfend wirken.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor hat eine kolonialgeschichtliche Dissertation geschrieben und gehörte in den Achtzigerjahren dem Leitenden Ausschuss einer Organisation für Entwicklungszusammenarbeit an.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ein Merkmal unserer Zeit ist, dass Worte und «Emotionen» Taten wunderbar ersetzen. Heerscharen von selbsternannten Sprachverbessern arbeiten sich mit inquisitorischem Furor an einem Reinheitsgebot in der Sprache ab, tilgen, umschreiben, ersetzen, erfinden. Mit einer erschreckenden Unlogik und Geistlosigkeit, die mich an den unsäglich dummen und platten Nazi- und DDR-Sprech erinnert, der von der Bevölkerung ständig karrikiert wurde. Was soll beispielsweise ein «Bipoc» sein? Indigenous=eingeboren sind wir fast alle, es sei denn wir oder unsere Vorfahren wären erst kürzlich zugewandert. People of Color sind wir auch alle; niemand hat eine farblose Haut wie ein Grottenolm; bei «Weißen» gibt es alle Schattierungen von aristokratischer Blässe bis herzhaft-oliv, von grünlich-magenkrank bis sanguinisch-tomatenrot. Sprache sollte für alle da sein und nicht der Deutungshoheit einiger Jakobiner und Pfründesammler überlassen werden.