Sprachlupe: Velofahrerinnen und -fahrer, macht Platz da!
«Wer trinkt, fährt nicht Velo.» Das simple Wort «Velo» hätte früher gereicht, um den eingängigen Slogan zuzuspitzen. Heute aber heisst es in einer Radiomeldung: «Auch für Velofahrerinnen und -fahrer gilt die Alkoholobergrenze von 0,5 Promille.» Der Satz folgte auf die Mitteilung, wie viele «Velofahrerinnen und -fahrer» im Vorjahr verunfallt waren. Anders gesagt, «Leute auf dem Velo». Aber so hätten die zwei Sätze statt einer doppelten Doppelnennung gar keine enthalten und damit keine betonte Geschlechtergerechtigkeit, nur eine unangestrengte: weder Männer noch Frauen ausdrücklich genannt.
Als ich einmal die «penetranten Doppelnennungen» bemängelt hatte, griff eine Kritikerin zum Wörterbuch: «Doppelnennungen wie ‹Nutzerin und Nutzer› disqualifiziert Goldstein als ‹penetrant›, was unter anderem aufdringlich, lästig, übergriffig und unangenehm heisst.» Aus dem Zusammenhang wäre freilich zu erkennen gewesen, dass es mir nicht um die einzelne Doppelnennung ging, sondern um die Häufung. Aber um Missverständnissen vorzubeugen, auch absichtlichen, schrieb ich beim nächsten Mal von «stetiger Doppelnennung».
Taten statt Tätern
Oft geht es auch ohne Wörter oder Schreibweisen, bei denen die Geschlechter entweder gar nicht genannt sind (Velofahrende) oder dann alle beide oder beliebig viele. Wer das generische, also alle bedeutende Maskulinum (Velofahrer) oder Femininum (Person auf Velo) vermeiden will, kann auch einfach über die Tätigkeit reden statt über jene, die sie ausüben. Eben: «Wer trinkt, fährt nicht.» Dieser Spruch ist auch besser haften geblieben als etwa «Trinker sind keine Fahrer» oder dasselbe mit Doppelnennungen. Die Substantive passen hier sowieso nicht, es geht weder um Alkoholkranke noch um Berufschauffeure. Auch nicht um (gerade) Trinkende und schon gar nicht um Fahrende.
In derselben Radiosendung kamen auch noch «alle schulpflichtigen Burmesinnen und Burmesen im Land» vor. Auch hier: schön zweierlei genannt. Dass es um das Land Myanmar ging, wusste man aber schon, und ein einfaches «alle Schulpflichtigen» hätte zudem jene ohne (anerkanntes) Bürgerrecht eingeschlossen. Auch die waren betroffen – davon nämlich, dass sie ihrer Pflicht, eben dem Schulbesuch, kaum nachkommen konnten.
Denken statt Eifern
Im Mai verkündeten die SBB: «Bald können Nachtschwärmer wieder mit dem Öffentlichen Verkehr nach Hause fahren.» Beflissen setzte eine vielgelesene Agentur- oder Zeitungsredaktion dazu: «Nachtschwärmerinnen und». Einfacher wäre gewesen: «Aus dem Nachtleben heimzukehren, ist bald wieder mit dem öV möglich.» Geradezu vorbildlich schrieben die SBB auch: «Es werden mehr Menschen (…) ausserhalb der Stosszeiten pendeln.» Aber die Redaktion interpretierte: Damit «gehen die SBB von einem geänderten Verhalten der Pendlerinnen und Pendler aus». Und schon waren die Frauen wieder einmal daran erinnert, dass es meistens ein Anhängsel an die männliche Form braucht, um sie ausdrücklich zu erwähnen.
Die mit einem Filzstift bewehrte Person, die im Frühjahr unterhalb des Bantigers unterwegs war, griff ebenfalls redaktionell ein: Aus dem Schild «Nur für Wanderer» machte sie «Nur für Wandernde». Danach, so stelle ich mir vor, konnte sie befriedigt der Tätigkeit nachgehen, für die sie hoffentlich gekommen war: auf dem Weg zu wandern. Und dabei kam ihr vielleicht in den Sinn, wie sie ihre Idee von Gerechtigkeit schonender hätte kundtun können: «Nur fürs Wandern». Das Schild dient übrigens dazu, Velos fernzuhalten. Schon länger steht an der Stelle ein gezimmerter Durchschlupf wie bei einer Kuhweide, aber der reichte offenbar nicht, um Velofahrer zur Umkehr zu bewegen. Doch nun, so stelle ich mir weiter vor, bleiben sie wie angewurzelt stehen, um zu enträtseln, ob und wie sie vom Schild betroffen seien. Und falls es der viele Regen reingewaschen hat … will ich niemanden dazu animieren, mit dem Filzstift hinzugehen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Das generische Nomen (es gibt auch feminine und neutrale wie z.B. Genie und Koryphäe) ist immer eine Rollen-, niemals ein Menschen- oder Personenbezeichner. Nutzt man es nicht, hat man in der deutschen Sprache keine einfache Möglichkeit zwischen Rolle und Rolleninhaber zu trennen. Die Teilsätze:
1. ‹Politiker politisieren …› und
2. ‹Politikerinnen und Politiker politisieren …›
haben zwei völlig verschiedene Bedeutungen. In 1) politisiert anthropologisch korrekt eine abstrakte Rolle, während in 2) anthropologisch falsch die Menschen, die die Rolle Politiker innehaben, das tun.
Nur Menschen haben ein Geschlecht, schon die Person hat keines, Menschen können aber keine sozialen Rollen übernehmen. Der Politiker ist so biologiefrei geschlechtslos wie der Kommentator, das Monster oder die Geisel. Der Politiker und der Mensch, der Politiker ist, sind zwei völlig unterschiedliche Objekte.
Ihre Theorie war lange gut, bewährt sich aber in der Praxis nicht mehr. Rolle und Mensch verschmelzen und das ist auch gut so. Wenn Frauen sagen: «Als Arzt würde ich…» oder «Ich möchte Astronaut werden.» – Stört Sie das nicht? Nein: als Ärztin würde sie dieses oder jenes tun oder sie möchte Astronautin werden. Alles andere klingt falsch in meinen Ohren.
Mensch und Rolle können nicht verschmelzen, weil Rolle eine temporäre Leistung der Person, nicht des Menschen ist. Temporär bedeutet, sie lesen hier den Kommentar einer Rolle Kommentator, die während sie lesen, schon nicht mehr existiert. Wenn ich Abschicken klicke, ist die Rolle erloschen und die Person hinter der Rolle befindet sich bereits in anderen Rollen. Selbst Hauptrollen wie den Beruf spielt man nicht ununterbrochen. Mensch und Person ist man immer und einmalig, Rollen nimmt man beliebig viele auch gleichzeitig ein und die sind nur von kurzer Dauer.
Wenn eine Frau sagt ‹Ich bin Ärztin› dann ist das falsch, weil sie immer war, aber nicht immer Ärztin ist/ war. ‹Ich bin Arzt› ist keine Identitätszuweisung, sondern bedeutet übersetzt, ich spiele gelegentlich eine Rolle, die man Arzt nennt. Die Rolle heisst Arzt, nicht die Frau heisst Arzt. Ein Arzt ist weder Mensch noch Person.
Herr Schrader, zur Ihrem Vorschlag, systematisch zu argumentieren: Sie nutzen den (soziologischen) Rollenbegriff, um das generische Maskulinum als neutral darzustellen. Dieser ist erst etwa 100 Jahre gebräuchlich; das generische Maskulinum weit länger! Was halten Sie von folgendem: Das generische Maskulinum bezeichnet den (statistischen) Normalfall einer bestimmten historischen Periode. «Normal» (nicht immer auch «gut») insofern alle (katholische Priester, bis heute) oder eine übergrosse Mehrheit (z. B. Lokomotivführer; 20. Jhdt.) – hier: männlich sind. Bei den Reformierten und bei der SBB ist dies im 21. Jdt. nicht mehr so dominant. Daher u.a. zwingend auch Lokomotivführerinnen. Oder wollen Sie die selteneren männlichen Verwitweten ebenfalls als «Witwen» ansprechen? (Rolle? Normalfall?)
Sie benutzen ‹Lokomotivführer› nicht als Berufs-, Rollenbezeichner, sondern Bezeichner für den Rolleninhaber. Deshalb müssen Sie eine Lokomotivführerin konstruieren. Es gibt keinen Beruf Lokomotivführerin, gäbe es den, müsste der sich vom Beruf Lokomotivführer unterscheiden, sonst hätte das Wort keinen Sinn.
Auch sprach ich nicht vom generischen Maskulinum, sondern vom generischen Nomen. Im Satz:
‹Die Leiche der Physik- Koryphäe Einstein wurde in seinem Haus in Princeton gefunden.›
gibt es zwei generische Feminina, dennoch ist der Mann Einstein gemeint und es heisst ’sein Haus›, nicht ‹ihr Haus›. Niemand käme auf die Idee, Leiche in Leicher und Koryphäe in Koryohäer zu korrigieren. Das macht man nur beim generischen Maskulinum und das ist unlogisch.
Das generische Nomen hat kein Sach-, nur ein grammatikalisches Geschlecht. Das ist die Definition für generisch in diesem Kontext. ‹Lokomotivführer› ist ebenso geschlechtslos wie die Leiche und das Genie.
Ja und wie ist es jetzt mit den Witwen? Es gibt keine Rolle Witwer sondern nur Witwen, habe ich das richtig verstanden? Und die Hebamme? Gibt es nicht als Beruf? Oder gibt es nur noch Geburtshelfer? Seit wann ist das der Fall?
Die Paare Witwer/ Witwe, Soldat/ Soldatin u.a.m. sind die Ausnahme von der Regel, es sind geschlechtsspezifische Rollen, d.h. das Geschlecht ist Teil der Rollenbeschreibung. Die Rolle Soldatin unterliegt anderen Dienstvorschriften als die Rolle Soldat. Bei Student/ Studentin ist das nicht der Fall, es gäbe keinen Unterschied, folglich ist Studentin kein Rollenbegriff, sondern ein Begriff für Rolleninhaber. Die Addition Studentinnen und Studenten ist so (un-) logisch wie die Addition Sessel und Möbel. Der Begriff ‹Studentin› wird den Begriff ‹Student› kategorisiert.
Das Wort ‹Hebamme› ist ein generisches Femininum, d.h. auch Männer sind ‹die Hebamme›, wenn sie den Beruf ergreifen. So wie ‹die Leiche Einsteins› trotz des grammatikalischen Geschlechts die eines Mannes ist.
Geschätzter Herr Goldstein
Im Prinzip gebe ich Ihnen recht: es gibt elegante Möglichkeiten, die Klippe eines mit dem Genus behafteten Personalnomens elegant zu umschiffen. Sie geben überzeugende und kreative Beispiele. Dabei haben nicht alle Menschen die Gabe und Übung, dieses Spiel souverän zu spielen. Daher benötigen wir – auch uns gerade im Sinne der sozialen Gerechtigkeit –Vereinfachungen (z. B. für Erwerb der Lesefähigkeit in der Schule oder in Weiterbildungskursen für fremdsprachige Erwachsene) . Möglichkeiten bieten das generische Maskulinum ebenso wie die typografischen Ansätze (Stern, Unterstrich etc.). Es spricht jedoch– gerade aus Gerechtigkeitsüberlegungen – allerdings sehr viel gegen diese beiden polaren Lösungsansätze (siehe http://dx.doi.org/10.26041/fhnw-3717). Die Verwendung von substantivierten Partizipien (z. B. Studierende) ist ebenfalls vereinfachend und effizient, ein Mittel- und womöglich ein edler Weg (überdies in der Schweiz viel verbreiteter als z. B. in Deutschland). Ich appelliere an Sie, hier mehr Sanftmut walten zu lassen.
‹Studierender› ist kein Synonym für ‹Student›. Das Partizip Präsens meint eine gelegentliche, nicht professionelle Rolle, das Nomen Agentis eine Hauptrolle. In der Rolle Studierender bin ich Zeit meines Lebens, weil es jeden Tag etwas zu studieren gibt und sei es Ihren Kommentar. Aber Student war in einer genau umschriebenen Zeit und das in dieser Zeit hauptsächlich.
Jetzt steigt meine Hochachtung gegenüber dem Bundesamt für Statistik ins Unermessliche: Es erfasst immer nur diejenigen unter den Studenten und Studentinnen (wenn es letztere überhaupt gibt, da bin ich mir nach Ihren Ausführungen unsicher), die gerade im Moment studieren https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bildung-wissenschaft/erhebungen/sahs.html ? Offenbar fallen dann diejenigen, die gerade einem Broterwerb nachgehen, aus der Statistik heraus. Wie die das so sauber erfassen!
Lese diese Beiträge immer gerne. Beim Wanderer musste ich schmunzeln. Seit einiger Zeit bezeichnet man Frauen, die wandern (resp. rudern oder klettern) konsequent als Wanderinnen (resp. Ruderinnen und Kletterinnen). Das macht den Genderstern oder das Binnen-I problematisch 🙂
Eine Frau, welche wandert, nennt man Wanderin. Das Wort Wanderer meint aber weder wandernde Frauen noch Männer, sondern die abstrakte Rolle des Wanderer (Nomen Agentis vom Verb wandern). Die Rolle Wanderer kann von Menschen, von Tieren, von (Wander-) Dünen oder z.B. von Tagebaubagger ausgeübt werden. Die Rolle hat im Gegensatz zum Menschen kein Geschlecht, Wanderin ist nicht als symmetrisch zu Wanderer zu betrachten, sondern hierarchisch. Die spezielle Kategorie Wanderin wird vom abstrakten Wanderer kategorisiert. ‹Wanderer und Wanderin› ist eine grammatikalische Fehlleistung, weil analog ‹Möbel und Sessel›.
Das wäre eine saubere, logische Unterscheidung, nur kann sie nicht zur Regel erhoben werden, denn sie stimmt nicht mit dem gängigen Sprachgebrauch überein: «Wanderer» wird je nach Zusammenhang als Personen- oder als Rollenbezeichnung verwendet. Sage ich, mir sei ein Wanderer begegnet, so darf man ohne weiteres annehmen, er habe männlich ausgesehen. Rede ich aber über eine Gruppe von Wanderern, so sage ich nichts deren Geschlecht(er) aus; freilich würden heutzutage manche behaupten, ich schliesse damit Frauen aus. Könnte «ein Wanderer» keine konkrete Person bedeuten, so müsste man einen solchen Mann immer «Wandersmann» oder gar «Wanderich» nennen.
‹Sage ich, mir sei ein Wanderer begegnet, so darf man ohne weiteres annehmen, er habe männlich ausgesehen.›
Nein, das ist die neuere Unterstellung, welche aber eben nur Unterstellung und nicht die korrekte Interpretation ist. Korrekt ist: Sage ich, mir sei ein Wanderer begegnet, schliesst das weder Tier, Düne, noch wandernde Frau aus. Sage ich, beim Wandern fand ich eine Leiche, nimmt niemand an, es wäre eine tote Frau. Es kann auch eine tote Maus oder eben ein toter Mann sein.
Das war in der deutschen Sprache über knapp 200 Jahre immer klar. Das generische Nomen, auch das feminine wie Geisel, oder das neutrale wie Genie, meint ohne zusätzliche Attributierung immer exklusiv die Rolle. Will ich herausstellen, einem männlichen Wandere begegnet zu sein, muss ich das genau so sagen, z.B. mit dem Wort ‹Wandersmann›. Der Wanderer ohne Zusatz ist aber immer die Rolle, nie der Mann. Ohne diese Regel ist es nicht möglich, sicher zwischen Rolle und Rolleninhaber zu unterscheiden.
200 Jahre? «Im Krug zum grünen Kranze, da kehrt’ ich durstig ein. Da sass ein Wandrer drinnen …» (Wilhelm Müller, 1794–1827)
Wir hatten einmal im Jahresbericht des Schulpräsidenten die Anrede
«Liebe Mitgliederinnen und Mitglieder unserer Schulgemeinde» lesen dürfen….
Es ist leider modisch, mit kurliger Wortakrobatik das eigene Engagement um die Gleichberechtigung der Geschlechter überhöht zu betonen.
Vielleicht werden manche Redaktoren nach Anzahl der verwendeten Worte bezahlt?
«die Einwohnerinnen und Einwohner von Bondo» ist wertvoller als
«die Menschen von Bondo».
Ist das die Motivation?
Weshalb gibt es eigentlich am Radio in den Strassenverkehrswarnungen nie Falschfahrerinnen?
Ich finde das i.O., kann auch verstehen, dass dies weder Menschinnen noch Menschen interessiert, auch nicht solche, die sonst doch so gender-gerecht und kompliziert argumentieren.
In dem Falle sind es ja ganz klar Falschfahrende, da müsste selbst Herr Goldstein zustimmen.
Es sind allenfalls «falsch Fahrende» – ein Verb «falschfahren» kann man zwar konstruieren, aber ich möchte nicht zu seiner Verbreitung beitragen. Dank dem Adverb «falsch» ist hier keine Verwechslung mit «Fahrenden» im landläufigen Sinn möglich. «Falschfahrer» wiederum ist eine zwar etablierte, aber unglückliche Wortprägung: Das müssten ja Leute mit dem Wesensmerkmal sein, falsch zu fahren.
Wieder einmal zu spät, Herr Goldstein. Die Igel sind bereits an der Ziellinie «falschfahrenden» z. B. https://bast.opus.hbz-nrw.de › files › FbVHeft3.pdf Evtl. sollte der Hase ein neues Ziel avisieren.