Sprachlupe: Velofahrende, die nicht fahren, sind keine

Daniel Goldstein /  Wenn demnächst die Berner Kirchenfeldbrücke saniert wird, muss Sprachstudien betreiben, wer sie mit einem Fahrrad überqueren will.

Wer die sanierungsbedürftige Berner Kirchenfeldbrücke überqueren will, und sei es auch nur ganz schonend zu Fuss, wird ab 23. Juli vor schier unlösbaren Problemen stehen. Denn Tafeln warnen jetzt schon: «Während dieser Bauphase kann die Brücke nur von zu Fuss Gehenden sowie von Velofahrenden, die ihr Gefährt schieben, passiert werden.» Ist man sprachlich nicht schon ganz abgebrüht, so muss man ins Grübeln geraten: Wie kann jemand zugleich velofahrend sein, also gerade Velo fahren, und sein Gefährt schieben? Eine Lösung wäre, ein zusätzliches Vehikel mitzuführen, um es zu schieben, aber dazu müsste man das Fahrrad einhändig lenken, was ja auch verboten wäre. Oder man könnte sich mit einem Fuss auf ein Pedal stellen und mit dem andern «angeben», also sein Gefährt «zu Fuss» schieben. Aber liessen das die Ordnungshütenden zu – Zivilpersonen mitgemeint, die sich gerade zum Ordnungshüten berufen fühlen?
Derart sinnierend, liefe man Gefahr, sein Rendez-vous auf der andern Brückenseite zu verpassen – nur im Laufschritt gäbe es noch eine Chance. Bloss: «zu Fuss Gehende» zeichnen sich doch gewiss dadurch aus, dass sie gehen und nicht laufen oder gar rennen. Nichts zu machen, unverrichteter Dinge trottet man diesseits der Brücke von dannen und macht sich seine Gedanken über die amtlichen Sprachkünste.
Gerechtigkeit aus dem Computer
Bei den städtischen Behörden gibt es, so stellt man sich vor, eine Liste von Wörtern, die als geschlechterungerecht gelten, und bei jedem solchen Wort steht der amtl. bewill. Ersatz bequem im Computer zum Abruf bereit. Klar, dass auf so eine Liste Personenbezeichnungen gehören, die ein anderes grammatikalisches Geschlecht als das sächliche haben, meistens eben das männliche. Egal, dass unter den Fussgängern ohnehin auch Frauen sein können – sie müssen als Fussgängerinnen sichtbar gemacht werden, sogar für Frauenblinde. Oder noch besser, es braucht eine Formel auch für Leute, die geschlechtlich anders oder gar nicht festgelegt sein wollen: «zu Fuss Gehende» können auch sie sein. Passt ja: Es geht ums just passierende Gehen über die Brücke. Aber gerade nicht ums (Velo-)Fahren.
Die Tafeln, so mag sich die formulierende Amtsperson gedacht haben, richten sich an Menschen, also müssen die ausdrücklich erwähnt werden, natürlich mit neutralen Bezeichnungen – und seien diese noch so unnatürlich und unklar. Dabei wäre die eleganteste Version in der Medienmitteilung auf der städtischen Website zu finden gewesen: «Die Brücke kann während der Intensivbauphase nur zu Fuss passiert werden.»
Trottinettelnde mitgemeint?
Falls man sich von Amtes wegen noch Sorgen macht, jemand lasse sein Velo einfach stehen, weil das Schieben nicht ausdrücklich erlaubt ist, so setzt man dazu: «Gefährte sind zu schieben.» Dann wäre auch gleich für die Trottinettelnden gesorgt, für die Kinderwägelnden, die Segwayenden und was der Beräderten mehr sind. Die werden sich nämlich vor den Tafeln stauen und rätseln, ob sie ebenfalls «ihr Gefährt schieben» dürfen, obwohl nur «Velofahrende» vorgesehen sind. Ob Trottinette nur handgeschoben zulässig sind, muss der gesunde Menschenverstand entscheiden.
«Velofahrende», so wird sich die zuständige Amtsstelle denken, seien auch solche, die gerade nicht fahren, schliesslich seien die Fahrenden auch nicht immer unterwegs. Da hat sich in der Tat das Partizip «fahrend» zum eigenständigen Substantiv gemausert, abgeleitet vielleicht von «fahrendes Volk». Mag sein, dass sich auch das Wort «Velofahrende» so im allgemeinen Sprachgebrauch festsetzen wird. Aber die Wortprägung ist, anders als die Münzprägung, keine Staatsaufgabe – auch nicht in wohlmeinender Absicht und schon gar nicht, wenn darunter die hier offenkundige Aufgabe leidet: dem Publikum möglichst knapp und präzis mitzuteilen, wie es über die Brücke kommt.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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5 Meinungen

  • am 22.06.2019 um 13:01 Uhr
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    Lieber Herr Goldstein, gratuliere, dass Sie das gemerkt haben! Vier Semester Nachhilfe für Text-schreibende Amtspersonen, würde das reichen? Ob die Regierung das bewilligen würde? Und wie sehen Sie das mit der Übersetzung des Originaltextes in die vier Landessprachen, wenn der Kanton Bern zuständig ist? Missverständnisse auf der Kirchenfeldbrücke wären ja nicht ganz ungefährlich! Aber Sprache entwickelt sich ja sowieso mehr und mehr zum Werkzeug für Analphabeten. Eine Computer-App wird da helfen und durch Bildlegende den Text ersetzen. Für ältere Semester wäre dann ein Bildschirm am Eingang der Brücke besser als die von Ihnen kritisierte Tafel. Online verbunden mit der Redaktion «Sprachspiegel» und überwacht von der Amtsstelle, versteht sich, Kontrolle muss sein!

  • am 22.06.2019 um 15:10 Uhr
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    Ganz knifflig wird es für Rollschuh-Fahrende: Gelten diese als «Fahrende» oder «Zu- Fuss-Gehende», oder müssen sie ihre «Fahrzeuge» ablegen und in Socken die Brücke überqueren?

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 23.06.2019 um 18:09 Uhr
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    Vielen Dank, Herr Leuzinger; der Leitfaden kann nun auch bei den «weiterführenden Links» unten am Artikel abgerufen werden.

  • am 25.06.2019 um 16:04 Uhr
    Permalink

    Die mit den Rollschuhen wären dann Zu-Fuss-Fahrende 😉

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