Sprachlupe: So tönt künstlich intelligentes Schweizerdeutsch

Daniel Goldstein /  Was tut, wer Schweizerdeutsch hört oder liest und nicht versteht? Das Gegenüber fragen – oder neuerdings das Programm Textshuttle.

Deutsche Sprak – schwere Sprak. Diese Erfahrung kann auch machen, wer Deutsch zur Muttersprache hat und von einer Ecke des Sprachgebiets in eine andere umzieht, zum Beispiel aus Norddeutschland in die Schweiz. Um sich darauf vorzubereiten, hat die Radiojournalistin Hannah Krug zu einem Hilfsmittel gegriffen, das seit Mai allgemein zugänglich ist: zum Übersetzungsprogramm Text­shuttle. Für ihren SRF-Testbericht liess sie sich Mani Matters «Alls wo mir id Finger chunnt» übersetzen.

Das Resultat war zumindest verständlich, bis auf diese Zeile: «Da hat meine Mutter gerade zu Hause ein Suppengschir verheitlicht.» Als ich das Experiment wiederholte, hatte sich das Programm minim verbessert und schrieb «verheitet». Das Wort anzuklicken, förderte weitere Vorschläge zutage; darunter passte «zerfetzt» am besten. Das liess ich einfügen, und im Prinzip hat Textshuttle daraus etwas gelernt. Dafür bot es mir in der nächsten Zeile ein Rätsel, vor dem die deutsche Kollegin verschont geblieben war: «Und seither ist mein Herz los bis an mein Lebensende.» Statt «Herz» wählte ich den Vorschlag «hartes», und schon war «Los» automatisch grossgeschrieben.

Premiere auch für Rätoromanisch

Wie Textshuttle funktioniert und wie es zustande gekommen ist, beschreibt neben der zitierten eine weitere SRF-Sendung (ab 7. Minute). Auch sind diverse Presseartikel erschienen, meist mit ansprechenden Versuchen. Zwei meiner eigenen Müsterchen stehen unten in einem Kasten. Das bis vor Kur­zem nur für Firmen erhältliche Programm ist das erste, das Schweizerdeutsch anbietet (wahlweise Zürcher oder Berner Dialekt).

Es ist auch das erste mit Rätoromanisch (dazu Besprechungen bei Engadiner Post und Tamedia, beide mit Login). Da heutige Übersetzungsprogramme vor allem auf grossen Mengen bereits übersetzter Texte beruhen und dort die wahrscheinlichste Wiedergabe von Wortfolgen ermitteln, ist ein Hauptproblem, dass es vergleichsweise wenige Mundarttexte gibt, die samt Übersetzung elektronisch greifbar sind. Also dürften manche Mängel Kinderkrankheiten sein, denn Textshuttle lernt laufend dazu und benutzt zudem ein Verfahren, das mit weniger umfangreichen Vorlagen auskommen soll.

Handy- und Handarbeit

Für Übersetzungen, die stimmen müssen, braucht es – wie schon beim zuerst veröffentlichten DeepL – eine Nachbearbeitung durch jemanden, der die Arbeit auch allein erledigen könnte, vielleicht aber mit der maschinellen Rohfassung Zeit spart. Wer indessen unvorbereitet mit schriftlichem Schweizerdeutsch konfrontiert wird, ist möglicherweise froh, vom neuen Automaten zumindest auf eine plausible Spur gesetzt zu werden.

Eingewanderte – auch aus den Gebieten unserer lateinischen Landessprachen – gelangen wahrscheinlich bald einmal in den Genuss getippten Dialekts, etwa in Handybotschaften oder Mitmachmedien. Der Versuchung, ihre Antworten automatisch vermundarten zu lassen, sollten sie allerdings widerstehen. Nicht nur würden sie oft missverstanden – sie leisteten auch dem Deutschschweizer Trend Vorschub, hochdeutsche Kommunikation zu verschmähen.

Dialektsammlung trägt Früchtchen

Ganz in diesem Trend liegt der Versuch, Computern beizubringen, Toneingaben auf Schweizerdeutsch entgegenzunehmen, zu übersetzen und auch im Dialekt zu beantworten. Diesem Zweck diente eine Online-Dialektsammlung; die «Sprachlupe» hat vor zwei Jahren darüber berichtet. Inzwischen liegen erste Resultate vor, einerseits mehrere Forschungsberichte, anderseits Demoversionen, um Texte einzutippen oder zu diktieren und sie übersetzen sowie vorlesen zu lassen. Der Link dazu und Müsterchen stehen im nachfolgenden Kasten.

Die Versuche sind nicht gerade dazu angetan, meine damalige Skepsis zu überwinden. Auch wenn Verbesserungen zu erwarten sind – die Sinnfrage bleibt: Müssen denn Computer unbedingt Schweizerdeutsch können? Und wenn ja: Muss man in Kauf nehmen, dass dadurch unsere Mundarten zunehmend vereinheitlicht werden – um nicht zu sagen «verheitet»?

Es choge Züüg mit dene Merängge

«heit dr o scho ne merängge zhingerscht im ämmitau gha?» Als Übersetzung schlägt mir Textshuttle vor: «hast du auch schon ne Manänge zu hinterst im Moment gehabt?» Der Klick auf «Manänge» öffnet eine Auswahl an Ersatzwörtern, unter denen «Menge» noch am ehesten essbar ist, und bei «Moment» wird zuoberst «Emmental» vorgeschlagen. Zu vermeintlich guter Letzt wähle ich noch «haben» statt «hast»; darauf ersetzt das Programm höflich «du» durch «Sie» – aber zugleich «Menge» durch «mengengengengen» und «Emmental» durch «mitmalen». Beides lässt sich rückgängig machen, nur die Meringue ist (noch) nicht im Angebot.

Aus «es isch es choge züüg mit dene cheibe bräme» wird «es ist ein gekommenes Zeug mit diesen kleinen Bremsen». Statt «kleinen» wäre «komischen» zu haben, aber ich ersetzte zuerst «gekommenes» durchs ursprüngliche «choge», faute de mieux – da wird aus dem «Zeug» ein «Zeuge», und für die Bremsen habe ich «komischen» nicht mehr zur Verfügung, sondern nur noch ganz Unpassendes.

Speech AI for Swiss German beruht auf der im Haupttext erwähnten Online-Dialektsammlung; das Programm schiesst nach mehrfachem Mikrofondiktat den Vogel ab, mit dieser hochdeutschen Textausgabe: «Es ist ein Augenzeuge mit den Krähenbrämen.» Für den Satz mit den Meringues bekomme ich als beste Version: «Hatten Sie auch schon das hinterste im Emmental Märchen?». Lasse ich umgekehrt einen eingetippten hochdeutschen Satz im Dialekt wiedergeben und wähle aus den acht angebotenen Kantonen BE, so erhalte ich «Het irä au scho zuehinterscht im Emmatal Meringues gha?». Die Lautsprecherausgabe klingt auch im Tonfall nicht sehr bernisch. Die zurzeit verfügbare Demoversion bietet keine Korrekturen an.

Eine Zusammenarbeit zwischen diesem Dialektprojekt und Textshuttle läge auf der Hand; sie besteht aber nicht. (dg)

Weiterführende Informationen

  • Indexeintrag «Helvetismen/Hochdeutsch» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3
  • Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift «Sprachspiegel» gilt der Stellung der Schweiz im deutschen Sprachraum. Das Heft enthält auch einige frühere «Sprachlupen». Es ist gratis erhältlich:probeheft@sprachverein.ch, Vermerk D-A-CH

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war früher Redaktor des «Sprachspiegels».
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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