Sprachlupe: So kommt der Teufel vom Detail ins Gros

Daniel Goldstein /  Wer die Lupe zückt, richtet den Blick aufs Kleine. Doch dabei soll’s nicht bleiben: 144 «Sprachlupen» als E-Buch weiten die Sicht.

«Wil’s Detail bruucht für Ganzes z’mache, het K&W vil tuusig Sache.» So etwa lautete der Werbespruch einer Berner Eisen­warenhandlung vor vielen Jahrzehnten. Den Detailhandel hat sie inzwischen andern überlassen und sich aufs Engrosgeschäft zurückgezogen. Ihr Motto bleibt Anregung für einen sprachlichen Rückblick. Im Wort «Detail» steckt «tailler», also schneiden. Das Gros dagegen, ebenfalls aus dem Französischen, ist zwar nicht gerade das Ganze, aber entweder der Hauptteil (etwa einer Truppe) oder aber eine Masseinheit für den Handel mit grösseren Mengen: Das «kleine Gros» umfasst ein Dutzend Dutzend, also 144 Stück, und gehört laut Wikipedia noch zum Einzelhandel; Grossisten nennen das Zwölffache davon ein «grosses Gros».
Auch in der Sprache braucht’s Details, um Ganzes zu machen. Die Kolumnen, die ich seit meiner Pensionierung als Redaktor beim «Bund» dort alle zwei Wochen veröffentliche, gelten meistens einem Detail, in dem der Teufel steckt – auch wenn ich mich bemühe, nicht in kleinliche Sprachkritik zu verfallen, sondern erhellende Sprachbeobachtung zu treiben. Das erste Gros, 144 «Sprachlupen» aus den Jahren 2009 bis 2015, habe ich nun in einem E-Buch vereint und mit einem anklickbaren Index versehen, damit hinter den Details einige grosse Linien greifbar werden.

Kommt Zeit, kommt Wort

Dabei geht es mir um Entwicklungen, die ich für zeittypisch halte. Soweit sie in Form von Fehlern auftreten, sind das oft solche, die früher oder später durch eine Anpassung der Regelwerke Absolution erhalten. Oft handelt es sich aber um neue Wörter oder Ausdrucksweisen, die sich – weil neu – nicht einfach als richtig oder falsch einstufen lassen. Eher kann man sich dann über die Nützlichkeit oder die Schönheit auslassen, zum Beispiel beim Trend zu Anglizismen – seien es einzelne Wörter wie eben «Trend» oder ganze Redewendungen wie «zurück auf Feld 1». Dorthin muss man zum Umlernen beim Wort «Detail», denn wenn es den Handel betrifft, ist heute häufiger von «Retail» die Rede. Beides sind Fremdwörter – mit dem Wechsel von Französisch zu Englisch ist kaum je etwas gewonnen, aber in der Schweiz ein Stück landessprachliche Verbundenheit verloren. So bleibt mir das Diner lieber als das Dinner; Letzteres hat weniger Niveau, auch wenn es auf höchstem Level zubereitet wird.
Ein weiteres Reizthema dieser Jahre ist die Geschlechtergerechtigkeit – genauer: die Forderung von Sprachfeministen (belie­bigen Geschlechts), das Maskulinum nicht mehr generisch als Personenbezeichnung ohne Ansehen des Geschlechts einzusetzen, sondern immer neutrale Bezeichnungen zu verwenden oder dann beide Genera bzw. eine typografische Mischform. Solche Regeln stur und durchgehend anzuwenden, erschwert das (Vor-) Lesen enorm, aber ebenso stur auf die (richtige) Feststellung zu pochen, grammatisches und biologisches Geschlecht seien nicht dasselbe, bringt die Diskussion auch nicht weiter. Viel inte­ressanter scheinen mir Bemühungen, Gerechtigkeit und Geniessbarkeit miteinander zu vereinbaren.

Schnabelwuchs und Schriftsprache

Ein Dauerthema sind auch die Besonderheiten des Hochdeutschen in der Schweiz: Wie viel Dialekteinfluss darf in welcher Art von Schriftstücken sein? Und wie lassen sich die – als standardsprachlich anerkannten – Helvetismen erhalten, wenn deutsche Medien und deutsche Medienschaffende in der Schweiz immer mehr Einfluss auf die hiesigen Sprachgewohnheiten nehmen? Unversehens werden bei all diesen Themen aus den Teufelchen im Detail des täglichen Sprachgebrauchs Teufel im Gros der Gegenwartssprache. Und so hoffe ich, dass sich diese Sammlung von Tageszeitungs-Kolumnen auch als Überblick über Entwicklungen des Deutschen im frühen 21. Jahrhundert nutzen lässt.
Das E-Buch «Sprache im Gros und im Detail (I)» finden Sie unter issuu.com/sprachlust. Sollten Sie darin Fehler entdecken, melden Sie diese bitte an dg@sprachlust.ch, damit ich bei der National­bibliothek (E-Helvetica) ein bereinigtes E-Buch einreichen kann.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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3 Meinungen

  • am 11.07.2020 um 12:09 Uhr
    Permalink

    Verdienstvoll, Herr Goldstein, danke! Trostvoll, dass sich bei all der Sprachverluderung noch jemand um Sprache bemüht. «Sprache im Gros und im Detail», hoffentlich nicht nur als E-Book, hoffentlich.

  • am 20.07.2020 um 14:50 Uhr
    Permalink

    So, nun bin ich mal dazu gekommen, auf die Sprachlupen zu gehen.

    Mit Windows Explorer sind die Dokumente gar nicht angezeigt worden; aber mit Firefox doch. Dann brauchte es ne Lupe, um den Text lesen zu können (kein Download), hab’s dann geschafft bis auf Ganzbildschirm-Anzeige zu gehen.

    Das ist aber doch einiges an Stoff und Seiten. Da brauche ich peu a peu doch schon etwas mehr als nur etwas an Zeit.

    Aber eine Sprachlupe habe ich mal angelesen, um auf den Geschmack zu kommen: 4. Wenn der Spaten als längerer Hebel sticht.

    Das hat nicht nur ‹Schweizer-Deutsch› und ‹Deutsch›, sondern beim Wort ‹betucht› auch eine Etymologie in weiteren Sprachen (von welchen ich die eine in der modernen Version mal etwas gelernt hatte und das Wort auch noch kenne, nur als ‹betach›).

    Und ich hab mir gedacht, ‹wow›, das ist ja in ‹eigener› oder ‹Schweizer› Rechtschreibung und Grammatik, also in eigener Sprache: wie soll ich da ggf. Fehler entdecken?

    Ich spreche Hochdeutsch auch nur als erste Fremdsprache (und die ‹Muttersprache› wie ‹Der Loddar›), aber das möchte ja gar kein Hochdeutsch sein bzw. Hanoveraner Dialekt. Auch wenn Herr Goldstein hier angibt, zum Duden gegriffen zu haben: beim einzelnen Wort, als en detail.

    Aber dann erleichtert: ‹Ein Blick auf die Schuhe lässt allerdings zweifeln, ob früher alle betucht oder eben beschuht war›. Das muss heissen: ‹waren› oder ‹ob man früher…war.›

    Nennen Sie mich nun ‹Trüffelschwein›? Evtl. weitere Findings dann an die Mailadresse. Merci.

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 20.07.2020 um 22:39 Uhr
    Permalink

    Ich gratuliere Michael Schmidt zum ersten Fehlerfund und danke ihm dafür. Er bekommt ein Vorab-PDF zum leichteren Weitersuchen, und das soll auch für alle anderen gelten, die mir Fehler mitteilen.
    Zu Helvetismen und Hochdeutsch steht im Themenverzeichnis des Buchs ein Eintrag mit Sprungverweisen, ebenso zu Schweizerdeutsch (das etwas anderes ist).

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