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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Schnitzler ade – Helvetisches im neuen Duden

Daniel Goldstein /  In jeder neuen Auflage des Dudens kommen auch schweizerische Eigenheiten zur Geltung – exklusive oder grenzübergreifende.

Schnitzler ade! Nicht Arthur, der Schriftsteller, der bisher im Duden erst an zweiter Stelle vertreten war. Sondern der Erstplatzierte Schnitzler als Berufsmann, der sogar im Bundeshaus verewigt ist – standesgemäss in Holz, wie das Bild zeigt. Er verliert im Wörterbuch nicht nur seinen ersten Platz, wo sein Handwerk freilich zu wenig geehrt wurde: «schweizerisch für jemand, der schnitzt». Die Erwähnung fällt nun gleich ganz weg. Besonders bitter ist das für die Schnitzlerin, die weniger lang im Duden verzeichnet war. Online kommt das Wort noch vor, als Schweizer Synonym für Schnitzerin («weibliche Person, die schnitzt (a), Schnitzwerke schafft»). Den Schritt, «weiblichen Personen» gleich ausführliche Einträge zu geben wie dem Maskulinum, hat der Duden nur im Netz gemacht, das Buch wäre damit noch dicker geworden.

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Brienzer Zimmer im Bundeshaus

Beim bisherigen ersten Schnitzler-Eintrag zeigte «schweizerisch für» einen Helvetismus an. Ein Wort, das nur oder überwiegend in der Schweiz verwendet wird oder dort eine abweichende Bedeutung hat, ist ein Helvetismus, wenn es nicht nur im Dialekt vorkommt. Es ist also in der Schweizer Version jener Standardsprache geläufig, die gemeinhin Hochdeutsch heisst. Auch solche Wörter stehen nicht unbedingt im Duden, besonders dann nicht, wenn sie zu selten gebraucht werden. Bei neuen Auflagen wird jeweils «ausgemistet», aber mehr neue Wörter kommen dazu. Die 29. Auflage, diese Woche erschienen, ist insgesamt um 3000 auf 151’000 Einträge angeschwollen. Die Dudenredaktion hat eine Auswahl neuer und gestrichener Wörter veröffentlicht. Über solche Zu- und Abgänge ist in manchen Medien berichtet worden – über die Helvetismen darunter aber meines Wissens bisher nicht.

Was heisst da schweizerisch?

Sucht man in der elektronischen Version nach «schweizerisch», so findet man aktuell 2056 Einträge, bisher waren es 1945. Das bedeutet aber nur ungefähr, dass hundert neue Helvetismen dazugekommen sind. Zuoberst in der Liste, die nach Relevanz bezüglich des Suchbegriffs geordnet ist, steht das Wort «schweizerisch» selbst. Es ist natürlich nicht als schweizerisch gekennzeichnet, wohl aber das nächste: «gesamtschweizerisch», weil praktisch nur hierzulande gebräuchlich. Wiederum kein Helvetismus ist der neue Eintrag «deutsch-schweizerisch», denn so nennt man auch nördlich der Grenze die Beziehungen, Treffen und Verträge zwischen beiden Ländern. Fast alle weiteren Wörter in der Fundliste enthalten schweizerisch nicht selbst, sondern in der Umschreibung – es kann auch ein Orts- oder Eigennamen sein.

Meistens ist aber schon der Gebrauch gemeint, nur nicht unbedingt exklusiv: 395 Mal steht zusätzlich österreichisch, 190 Mal süddeutsch. (123 Mal steht beides, aber diese Wörter sind in den Einzelzählungen schon erfasst.) Wer solche zusätzlichen Gebietsangaben sucht, findet «Keib» (schwäbisch), «Alpfahrt» (vorarlbergisch), 55 Mal landschaftlich (regional), 16 Mal westösterreichisch, 4 Mal Luxemburger Deutsch und eventuell weitere. Unter dem Strich bleibt schweizerisch etwa 1400 Mal allein; um die Zahl der «reinen» Helvetismen zu erhalten, müssten noch die Namen weggerechnet werden. Ferner sind viele Wörter dabei, die bloss anders ausgesprochen werden oder einen anderen Artikel haben können (wie das Mail oder die Foto).

Glace ist nicht durchwegs ein Schleck

Der kleine Helvetismen-Duden «Schweizerhochdeutsch» umfasst 3000 Einträge, also auch solche, welche die Kriterien für den allgemeinen Duden nicht erfüllen, vorab wohl die Häufigkeit in elektronischen Textdatenbanken. So findet man «Glacé» zum Schlecken nur im Spezialband; im Duden «Rechtschreibung» steht es nur als «glänzendes Gewebe», «Glace» (ohne Akzent) dagegen als «Zuckerglasur; Gelee aus Fleischsaft; schweizerisches Speiseeis». Das ist ein Fehler im Duden, also eine absolute Rarität. Da sind Wort und Sache verwechselt worden. Das Wort sollte als Helvetismus mit «schweizerisch für Speiseeis» erklärt werden. Denn es kann keine Rede davon sein, dass wir allein «schweizerisches Speiseeis» mit der Bezeichnung Glace würdigen.

Die Dudenredaktion hat aber gerade bei «Glace» auch ein Lob verdient, es betrifft die Aussprache und wird in der nächsten «Sprachlupe» erklingen. Dort wird es auch um weitere neue Helvetismen gehen. Die zuständige Spezialistin in Berlin war so freundlich, mir eine Auswahl zur Verfügung zu stellen. Sie enthält auch Löschungen wie eben «Schnitzler». Das Wort wurde wohl einfach zu selten gebraucht, schliesslich heisst die «Schnitzlerschule», die einst das Brienzer Zimmer im Bundeshaus ausschmückte, bereits seit 2002 «Schule für Holzbildhauerei». Wie sie weiter mitteilt, wurde die Berufsbezeichnung «Schnitzler» sogar schon 1978 in «Holzbildhauer» geändert. Laut der amtlichen Datenbank gilt seit 1991 «Holzbildhauer/in».

Weiterführende Informationen

  • Duden – Die deutsche Rechtschreibung. Das umfassende Standardwerk auf der Grundlage der aktuellen amtlichen Regeln 2024. Dudenverlag Berlin, 29. Auflage, 1328 Seiten
  • Indexeintrag «Helvetismen/Hochdeutsch» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3. In den Bänden 1 und 2 (Nationalbibliothek) funktionieren Stichwortsuche und Links nur im herun­tergeladenen PDF.
  • Quelldatei für RSS-Gratisabo «Sprachlupe»: sprachlust.ch/rss.xml; Anleitung: sprachlust.ch/RSS.html

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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