Sprachlupe: Na dann prost und guten Appetit!
«Die Einfuhr von zusätzlichen 20’000 Tonnen Speisekartoffeln sowie 20’000 Tonnen Veredelungskartoffeln» habe der Bund bewilligt – diese Meldung liess mir im Frühjahr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Hatte ich mich bisher schon gern an Speisekartoffeln gütlich getan, so lockte nun die Aussicht, veredelte Sorten zu geniessen. Wie man Obstbäume, Reben oder Rosenstöcke veredelt, so stellte ich mir vor, habe man nun auch einen Weg gefunden, den Kartoffelpflanzen edlere Triebe aufzupfropfen. Aber wie sollte das gehen, Pflanze für Pflanze und erst noch unterirdisch?
Noch skeptischer wurde ich, als sich herausstellte, dass aus derlei Veredelungskartoffeln Pommes frites oder Chips entstehen – wäre doch schade um mühsam gewonnene Edelknollen. Da dämmerte mir, dass der Name wohl gerade nicht auf adlige Qualität hindeutet, sondern im Gegenteil darauf, dass diese Gewächse der Veredelung bedürfen. Oder beweisen sie vielleicht doch schon herausragende Qualitäten, indem sie die industriellen Strapazen aushalten? Letzte, beruhigende Klarheit bringt ein Internet-Besuch bei der Branchenorganisation Swisspatat: Teurer, ergo marktwirtschaftlich gesehen edler, sind die Speisekartoffeln. Die andern werden auch, und schon viel länger, unter dem unedlen Namen Industriekartoffeln gehandelt.
Abfall im Regal
Verspeisen kann man sie auch dann, wenn man sie auf dem heimischen Herd veredelt. Sogar gänzlich unveredelt lassen sich, ich hab’s getan, Foodwaste-Orangen verzehren. Unter diesem unappetitlichen Namen bot, freilich nur einmal, meine Migros die gleichfarbigen Früchte an. Sie lagen appetitlich da und hatten offenkundig das Schicksal noch nicht erlitten, Foodwaste zu sein, also vergeudete Lebensmittel. Vielmehr sollte ihnen dieses Los eben gerade erspart bleiben, der Name mithin ans Gewissen appellieren, das die laufende Kampagne gegen Foodwaste hoffentlich geweckt hatte. Jedenfalls nehme ich nicht an, man habe mich zum Kauf animieren wollen, damit ich auch einmal etwas Essbares wegwerfen könne.
Es war nicht einmal nötig, die Orangen zu Direktsaft zu pressen. Wer nicht selber presst, aber ein ähnliches Getränk kaufen will, muss im Kleingedruckten auf das befremdliche Wörtchen achten. Denn wenn in einer Flasche «100 Prozent Fruchtsaft» steckt, kann es immer noch sein, dass dieser aus Konzentrat wiedergewonnen ist. Dann kommt der Wasseranteil vorwiegend aus der Röhre, nicht aus der Frucht. Davor schützt man sich nur, indem man Direktsaft kauft – oder macht.
Terrestrische Entfluchtung
Hat man mit Selbstveredelung (nicht seiner selbst, nur der Früchte) genug gespart, so lockt vielleicht der Besuch im terrestrischen Casino. Für eines im Weltraum wird der Sparbatzen ja nicht gerade reichen. Auf dem Boden zu bleiben, will uns die Branche freilich auch nicht nahelegen. Vielmehr geht es da um eine Spielbank, zu der man sich in Person hinbegeben muss, statt nur am häuslichen Bildschirm mitzuzocken. Hat man – so oder so – nicht alles verspielt, darf man sich einen Sparklassenwechsel gönnen. Damit gelangt man leider nicht in eine höhere Sparklasse, sondern nur für einen Tag zum Sondertarif in die erste Klasse bei den SBB. Fahren Sie so im August ans Eidgenössische Schwingfest in Pratteln, dann gibt es dort hoffentlich keinen Alarm mit Räumung des Areals: Das wäre offiziell eine Entfluchtung.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Vielen Dank für Ihre Glossen: sie müssten Pflichtstoff an den Schulen sein.
Manipulation und Sprachverluderung zeigen auf, dass insbesondere staatliche Institutionen und Massenmedien sich kaum für die Entwicklung der kritischen und mündigen Menschen interessieren…