Sprachlupe: Man kann es sich bei «gleichwohl» wohl sein lassen

Daniel Goldstein /  «Gleichwohl» sei «doof», rügt ein TV-Kritiker. Geschmacksfragen beiseite, ist an diesem Wort nur der falsche Gebrauch auszusetzen.

«Wem tut das nicht in den Ohren weh?», fragt Andreas Kunz in der «SonntagsZeitung» (5. 5.). Es geht um das in seinen Ohren «doofe» Wort «gleichwohl» bei SRF-Fussballreportern, denn: «Niemand, der schönes Deutsch spricht, sagt ‹gleichwohl›. Im gesamten deutschsprachigen Fernsehen sagen sie das Wort vielleicht zweimal pro Jahr – bei euch hörte man es an einem Fussballabend schon zehnfach.» Es folgen die Beispiele für die rhetorische Frage nach dem Ohrenweh: «Gleichwohl Messi in Topform ist, hat Barcelona noch nicht gewonnen.» Oder: «Die Spieler sind müde, gleichwohl stürmen sie nach vorn.»
Mit Verlaub: Der zweite Satz tut mir in den Ohren überhaupt nicht weh; er ist höchstens «zu schönes» Deutsch für eine Fussballreportage. Der Duden stuft «gleichwohl» als «selten» ein, daneben als «landschaftlich» – was nicht heisst, auf dem Land gebräuchlich, sondern in bestimmten Regionen. Damit könnte auch die Schweiz gemeint sein, aber weil das Wort im Dialekt nicht vorkommt, verwenden es wohl vor allem Leute, die besonders hochdeutsch klingen wollen. Kunz findet es gar «rufschädigend», wenn Schweizer in Deutschland Anlass zum Argwohn geben, wir brauchten das «doofe» Wort oft.
«Trotzdem» und «obwohl» unterscheiden
«Doof» ist aber nicht das Wort an sich, sondern allenfalls sein Missbrauch im ersten Beipielsatz: «Gleichwohl Messi in Topform ist, …». Der tut auch mir in den Ohren weh, aber das täte er ebenfalls, wenn er mit «trotzdem» begänne. Denn da liegt das Langohr im Pfeffer: Mit «trotzdem» fängt in gepflegtem Stil stets ein Hauptsatz an, und hier geht es um einen Nebensatz. Der Hauptsatz folgt erst: «… hat Barcelona noch nicht gewonnen.» Darum muss am Anfang stehen: «Obwohl Messi …» oder ein Synonym wie «obschon», «wiewohl», «wenngleich». An dieser Stelle «trotzdem» zu verwenden, bezeichnet der Online-Duden als «umgangssprachlich»; der gedruckte verzichtet auf diese Einstufung.
Umgangssprache passt nicht schlecht zu Fussball, aber ein «seltenes» Wort wie «gleichwohl» in einer umgangssprachlichen Satzkonstruktion zu verwenden, ist schon paradox. Doch auch «Trotzdem Messi in Topform ist …» sollten die Reporter vermeiden, denn sie pfuschen damit jenen Lehrkräften ins Handwerk, die ihren Schulkindern noch den Unterschied zwischen «trotzdem» und «obwohl» beibringen wollen. Im Dialekt wird «trotzdem» auch gebraucht, um einen Nebensatz einzuleiten: «Trotzdem de Messi …». Also muss man eigens lernen, dass das in gutem Hochdeutsch nicht geht.
Trotzdem kein Fall für Kafka
Der umgekehrte Fehler wäre: «Die Spieler sind müde, obwohl stürmen sie nach vorn.» Er kommt kaum vor, weder in der Schule noch im TV-Fussball. Denn mit «obwohl» kann kein Hauptsatz beginnen, weder in Mundart noch in Schriftsprache. Und hier sind zwei Hauptsätze aneinandergereiht; es könnte auch ein Punkt dazwischen stehen. So oder so muss der zweite Satz mit «trotzdem» oder etwa «gleichwohl» beginnen. Anders, wenn es ein Nebensatz wäre: «Die Spieler sind müde, obwohl sie eine Woche Pause hatten.»
Der belesene Redaktionsleiter Kunz weiss, dass Franz Kafka oft «trotzdem» an den Satzanfang stellte, und er findet, das klinge «zuerst ebenfalls manieriert. Im Gegensatz zu ‹gleichwohl›, das schon zu Kafkas Lebzeiten niemand benutzte, wird ‹trotzdem› irgendwann aber: ziemlich cool. ‹Trotzdem Fussball-Kommentatoren originell sein wollen, gebrauchen sie stets das falsche Wort›, hätte Kafka geschrieben.» Dass er Nebensätze mit «trotzdem» einleitete, gilt laut einem Fachartikel als «Pragismus bzw. Austriazismus», also als regionale Besonderheit. Exklusiv ist sie nicht, wie die Schweizer Beispiele zeigen. Wer Hochdeutsch regional, umgangssprachlich oder auch «cool» reden und schreiben will, mag es tun – und andern den (oft korrekten) Gebrauch von «gleichwohl» lassen. Der steigt gemäss Google Books seit 1960 wieder an; bis 1890 war er noch häufiger. Kafka lebte von 1883 bis 1924, also gerade am Anfang der «Gleichwohl»-Baisse.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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