Sprachlupe – Lehrerich an alle: So wird’s gut!
Der Lehrer soll ein Vorbild sein. Diesen Satz versteht man als allgemeingültig, ungeachtet des Geschlechts der Lehrkraft, selbst falls das innere Auge einen Mann vor sich sieht. Das «Mannsbild» wird indes bestimmend, wenn der Satz so weitergeht: aber meiner hat heute in der Nase gebohrt. Der Unterschied liegt an der Doppelfunktion des grammatischen Maskulinums: im ersten Fall ist es generisch gemeint, also für alle im Lehrerberuf, im zweiten Fall spezifisch für den nasebohrenden Berufsmann. Das Gendern, egal in welcher Spielart, soll diese Doppelfunktion beenden.
Im deutschen Sprachraum lancierte die Linguistin Luise Pusch mit ihrem Buch «Das Deutsche als Männersprache» (1984) den Sprachfeminismus, der dem generischen Maskulinum als Ausdruck des Patriarchats den Kampf ansagte. Pusch wollte und will es durch das generische Femininum ersetzen, zumindest für eine geraume Zeit der ausgleichenden Gerechtigkeit. In einigen Fällen gibt es diese geschlechtsneutrale weibliche Form bereits, so Geisel, Waise, Lichtgestalt. In den andern Fällen müsste die Endung -in gemäss Pusch nicht mehr nur Weiblichkeit anzeigen, wie es ihre angestammte Rolle ist, sondern zudem auch Allgemeingültigkeit: Die Lehrerin soll ein Vorbild sein (auch wenn sie ein Mann ist).
Soll Lehrer immer einen Mann bedeuten …
Statt dieser Umpolung der Doppelfunktion verlangt das – in letzter Zeit stark verbreitete – Gendern, das Maskulinum nur noch dann für Personen zu verwenden, wenn sie männlichen Geschlechts sind. Geht es aber um Leute, deren Geschlecht unbekannt ist oder keine Rolle spielt, dann waltet der bekannte Erfindungsreichtum mit Sonderzeichen oder die durchgehende Doppelnennung: Lehrer und Lehrerinnen (zuweilen abwechslungsweise, aber jeweils generisch gemeint). Seltener nimmt man sich lesefreundlich die Mühe, ein geschlechtsübergreifendes Wort wie Lehrkraft zu wählen oder anstelle der Person die Tätigkeit zu nennen: Wer unterrichtet, soll …
Was der aktuellen Gender-Praxis fehlt, ist eine einfache generische Form, die ohne Kunstgriffe auskommt. Um den Mangel zu beheben, sind schon viele Vorschläge gemacht worden – und Papier geblieben. Manche enthielten eine neue Endung für generischen Gebrauch, teilweise eine weitere für Männer, um diesen das «Privileg» der Endungslosigkeit zu nehmen. Ganz ohne Geschlechter-Endungen kommt der 2018 publizierte Vorschlag des Schweizers Felix Sachs aus, der Maskulinum und Femininum anders benennen will und das sprachhistorisch begründet.
… oder nie ein Geschlecht bezeichnen?
Seit Kurzem gibt es die Website Gendern2-0.de, die verschiedene Varianten einer Sprache mit endungslosen generischen Formen präsentiert und sie dem «Gendern 1» entgegenstellt, also den bisherigen Formen. Den Vorzug gibt der Initiant, der deutsche Berufsschullehrer Bernhard Thiery, den unveränderten Grundwörtern als generische Bezeichnungen. Soll das Geschlecht der Personen genannt werden, dann bekommen Frauen weiterhin die Endung -in, die Männer neu -ich, wie in Lehrerich. Da es die Endung schon gibt (Wüterich, Enterich), nennt die Website ihren Vorschlag «klassisches Gendern».
Ohne diesen Namen habe ich die Idee auch schon in einer Sprachlupe von 2020 vorgebracht und bemerkt, sollte sie sich «im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen, so würde ich mich wohl anschliessen». Ich fand auch nicht, die generischen Formen müssten dann ins Neutrum gesetzt werden (das Lehrer); vielmehr könnten sie «gut sprachliche Maskulina bleiben; im Plural bekommen sie ja den ‹weiblichen› Artikel die». So flapsig lässt sich natürlich der erwartbare Aufschrei nicht besänftigen, da wolle einer (einich?) das generische Maskulinum retten.
«Klassisches Gendern» tritt auf
Thiery dagegen argumentiert in einem Video-Interview, der Artikel habe «viel weniger Power» als die Endung und werde nach einigen Jahren kaum noch beachtet, wenn sich die endungslose Form als stets generisch durchgesetzt habe, unabhängig vom grammatischen Geschlecht. Auch für nonbinäre Personen hat er eine Lösung: Sie sollten sich auf eine eigene Endung einigen. Am Ende der langen Begründung einer Online-Petition räumt er ein, falls sich die sprachliche Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern nach vielen Jahren nicht aufgelöst hätte, müsste man zudem noch das generische Neutrum verallgemeinern (auch etwa das Geisel). Keine Eingriffe sind bei Pronomen und Adjektiven vorgeschlagen.
Demnächst erhält das «klassische Gendern» seinen ersten Auftritt in amtlichem Rahmen: Es wird dem Ortsbeirat von Gimmeldingen vorgestellt, einem Dorf mit 2500 Einwohnern, das zu Neustadt an der Weinstrasse südwestlich von Mannheim gehört. Auch ein namhaftes deutsches Medium hat seine Teilnahme angekündigt. Es könnte also sein, dass Website und Petition plötzlich Zulauf erhalten. Doch selbst bei viraler Verbreitung im Internet dürfte der «Marsch durch die Institutionen» auf grosse Widerstände stossen – besonders weil das bisherige Gendern die Idee in viele Köpfe gehämmert hat, das endungslose Maskulinum gelte nicht generisch, sondern immer nur spezifisch für Männer.
Wohlwollen bei Sprachfeministin Pusch
Indes hat sich sogar Luise Pusch für «Gendern 2.0» erwärmt und laut der Website diesen Namen selber vorgeschlagen. Einer Schweizer Maturandin schrieb sie letztes Jahr (und erlaubte mir freundlicherweise das Zitieren): «Wir sollten uns in Richtung generisches Femininum entwickeln. Wenn wirkliche Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern erreicht ist, auch mit Hilfe einer gerechten Sprache – aber natürlich gehört viel mehr dazu –, dann sollten sich Frauen, Diverse und Männer an einen Tisch setzen und eine Sprache aushandeln, die gerecht und bequem ist. Der leider 2015 verstorbene Sprachforscher Matthias Behlert hat dafür schon interessante Vorschläge gemacht. Ausserdem arbeiten inzwischen viele gesellschaftliche Gruppen weiter an diesen Fragen und machen interessante Vorschläge.» Dazu verwies sie auf die genannte Petition und einen Lexikon-Eintrag.
Pusch kann man so verstehen, dass das generische Maskulinum mit feministischem Fieber ausgeschwitzt werden müsse, bevor «gerechte und bequeme» Sprache ausgehandelt werden könne. Dazu würde eine einfache generische Form gehören, doch das bisherige Gendern hat hier wohl das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Alle Gemeinten müssen nach heutigem Trend «inkludierend» statt nur generisch sicht- und hörbar sein. Daher dürfte es ein temporäres generisches Femininum noch schwerer haben als der direkte Weg, den die 2.0-Website zeigen will, «heraus aus der Sackgasse, in welche uns Gendern 1 bringt». Wie auch immer: Sprachwandel entzieht sich der Planung, auch dem Aushandeln; vielmehr resultiert der Wandel aus dem kollektiven Sprachgebrauch. Es steht dabei allen frei, für eine bestimmte Veränderung zu werben, solange sie nicht auf Zwang setzen.
Weiterführende Informationen
- «Luise F. Pusch heute genderkritisch» (NZZ am Sonntag)
- Matthias Behlert, 1998: «Die Häsis und die Igelin»
- Cyril Robert Brosch, 2021: «MISS: Minimalinvasiv, sexussymmetrisch»
- Indexeintrag «Geschlechter» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3.
In den Bänden 1 und 2 (Nationalbibliothek) funktionieren Stichwortsuche und Links nur im heruntergeladenen PDF. - Quelldatei für RSS-Gratisabo «Sprachlupe»: sprachlust.ch/rss.xml; Anleitung: sprachlust.ch/RSS.html
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Es gibt Leute (vor allem Frauen), die nicht mit Widersprüchen leben können, zumal in der deutschsprachigen Welt. Dabei ist das Leben voller Widersprüche. Damit leben zu müssen, ist Kunst und nicht Genderei…
Die Ideen und Vorschläge für einen Ausweg aus der Sackgasse des Genderns sind löblich und interessant, doch sie überzeugen nicht und werden den Weg in den allgemeinen Sprachgebrauch nicht finden, weil uns diese Gendermanie von oben – von den Behörden, den Medien und Schulen – aufgedrängt wird. Ohne generisches Maskulinum sind gewisse Aussagen gar nicht mehr möglich. Leider hat das systematische Gendern der genannten Organe diese früher völlig klare und einfache Form bereits nachhaltig beschädigt.
Ich wundere mich darüber, dass der abenteuerliche Versuch Matthias Behlerts in etwas vereinfachter Form eine Neuauflage erleben soll. Behlert selbst hat seinen Vorschlag 1998 in seinem Büchlein «Die Häsis und die Igelin» vorgestellt und nicht einmal gewagt, die ausführliche Begründung in der vorgeschlagenen Form zu schreiben, sondern in so übersetzten 15 Grimmschen Märchen vorgestellt. Luise F. Pusch war davon schon damals angetan und hat den Vorschlag in ihrem Buch «Die Frau ist nicht der Rede wert» (1999) publiziert. 2011 soll Behlert selbst bekannt haben, er warte seit 13 Jahren darauf, dass sich jemand in seinem geschlechtergerechten Deutsch unterhalte (mirija-weber.ch, Menü «Sprache», am 10.11.22 so zitiert hier gefunden, heute leider im gleichen Zusammenhang gelöscht). Wir schliessen daraus, dass nicht einmal Pusch selbst mit ihm in dieser manipulierten Sprache in einen Dialog zu treten wünschte. Und jetzt will sie sich wieder dafür erwärmen?
Das angeführte Behlert-Zitat ist bei Mirija Weber durchaus noch zu finden, samt einer nützlichen Übersicht über weitere Vorschläge und Praktiken: https://mirija-weber.ch/geschlechtergerechte-sprache-ist-eine-utopie/
„ Lehrer und Lehrerinnen. Seltener nimmt man sich lesefreundlich die Mühe, ein geschlechtsübergreifendes Wort wie Lehrkraft zu wählen oder anstelle der Person die Tätigkeit zu nennen: Wer unterrichtet, soll …“ Damit bin ich voll zufrieden. Mitte der 90-Jahre wurde ich evt dank Louise Pusch vom Bürger zur Bürgerin. Ich mag nicht ‚mitgemeint‘ sein. Aber alles weitere Gendern finde ich ziemlich blöd und etwas engstirnig.