Sprachlupe: Ist diese Kolumne schlicht und recht verfasst?

Daniel Goldstein /  «Rechtschreibung ist nicht so wichtig», sagt ein Sprachdozent. Recht hat er – aber nur, wenn man ihn richtig versteht.

Reicht es, wenn ein Text schlecht und recht geschrieben ist? Für viele Zwecke schon: Wer ihn liest, soll verstehen, was gemeint ist. Aber bereits eine simple SMS-Nachricht übermittelt neben ihrem Inhalt auch etwas über ihre Quelle: Wer «kome hoite» schreibt, hat im Schulunterricht, sofern deutschsprachig, nicht gut aufgepasst – oder will originell wirken. Vielleicht auch so: «Ich kündige das geplante Ende der Reise, die mich zu euch führen soll, auf den späteren Verlauf des heutigen, mithin angebrochenen Tages an.» Damit sind alle formellen Regeln eingehalten, sogar die Länge von 140 Zeichen, aber passend ist der Satz nur als Scherz für jemanden, der dafür empfänglich ist.
Sagen wir heute «schlecht und recht», so meinen wir laut Duden «so gut es geht», mit «mehr schlecht als recht» sogar «nicht besonders gut», also eigentlich gar nicht gut. Als aber Luther in seiner Bibelübersetzung Hiob «schlecht und recht» dastehen liess, klang damit keinerlei Schlechtigkeit an; in der neuen Lutherbibel ist der Mann denn auch «fromm und rechtschaffen» – und damit nahe an Zwinglis «redlich, fromm», in der heutigen Zürcher Bibel «schuldlos und aufrecht» oder in der (katholischen) Einheitsübersetzung «untadelig und rechtschaffen».
Schlechtgemachtes Wort
Dem Wort «schlecht» ist es also schlecht ergangen: Von «untadelig» wurde es zum Gegenteil von «gut». Einst bedeutete das mittelhochdeutsche «sleht ‹in gerader Fläche oder Linie, eben, glatt, leer, einfältig, gut, schlicht, einfach›. Seit dem 15. Jh. gerät schlecht ‹einfach› in Gegensatz zu ‹kostbar, wertvoll, ausgezeichnet› und entwickelt die Bedeutung ‹geringwertig, nicht gut›, während die alte Verwendungsweise auf schlicht übergeht» (Wolfgang Pfeifer, dwds.de). Schauen wir heutige Schriftstücke an, so ist «schlicht und recht» eine bessere Messlatte als das redensartliche «schlecht und recht», bei dem «schlecht» sich ein gutes Stück von der einstigen Bedeutung «gut» wegbewegt hat.
«Kome hoite» wirkt zwar schlicht, aber diese Einfachheit ist dahin, wenn man es nicht auf Anhieb versteht. Recht geschrieben, ist die Nachricht besser verständlich: «komme heute». Da stimmt die Rechtschreibung – und sogar die Grammatik, wenn man sich das am Anfang fehlende «Ich» dazudenkt. In der obenstehenden, gestelzten Ankunftsverheissung mit 140 Zeichen «stimmt» zwar alles, aber sie ist nicht stimmig, weil ihr die Schlichtheit fehlt: Sie enthält viel Ballast, welcher der Selbstdarstellung des Absenders oder der Unterhaltung der Empfängerin dienen mag, aber vom Inhalt ablenkt.
Regelrecht geniessbar
Nun eignet sich nicht jede Mitteilung für den Telegrammstil, und es gibt gute Gründe, mit einem Text nicht nur einen Sachverhalt mitzuteilen, sondern eine Stimmung mitschwingen zu lassen, einen Lesegenuss zu bereiten, Schönheiten der Sprache zur Geltung zu bringen. All das kann man aber so schlicht wie möglich tun, also ohne unnötige Erschwernisse – und zu derlei Erschwernissen gehören auch Abweichungen von den Regeln, weil dadurch der Lesefluss stockt. Je geübter das Auge, desto störender der Fehlgriff – es sei denn, es stecke eine «reizende» Absicht dahinter, etwa eine Zweideutigkeit.
«Rechtschreibung ist nicht so wichtig. Jedenfalls nicht, wenn man sie in Relation zu anderen sprachlichen Fertigkeiten setzt.» Das schreibt der ehemalige Sprachdozent Werner Schäfer im neuen «Sprachspiegel» und kommt zum Schluss: «Gute Rechtschreibung ist weniger ein Selbstzweck als ein Symptom: Wer viel liest, schreibt besser – und richtiger.» Was natürlich voraussetzt, dass von dem vielen Gelesenen das meiste auch schon richtig geschrieben war, oder eben: schlicht und recht. Denn, wie es Johannes Wyss (Autor des Buchs «Richtig oder falsch?», NZZ Libro) im gleichen Heft sagt: «Mit dem korrekten Deutsch im Rucksack fängt die Arbeit erst an.»

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

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