Sprachlupe: Im Korsett der Korrektheit

Daniel Goldstein /  Im Namen von Gruppen, denen der herkömmliche Sprachgebrauch Unrecht tue, werden laufend neue Regeln verlangt.

«Gendern gibt es im ganzen Band nicht, und auch bei der Rede von ‹farbigen Menschen› stockt der Atem.» Das stand in einer Besprechung von Peter Fahrs Essayband «Der Atem der Worte» und gehörte offenbar zur «Zumutung», als welche die Rezensentin die Lektüre erfahren hatte. Sie stellt, nicht als Einzige, sogar an literarische Texte den Anspruch gesellschaftlicher Korrektheit. Die Liste der geforderten Rücksichten auf bestimmte Gruppen wird zusehends länger. Wer schreibt, kann darauf beruhende Kritik entweder hinnehmen oder aber so weit darauf eingehen, wie es das eigene Sprachgewissen zulässt.

Wer akzeptiert, dass Personenbezeichnungen im Maskulinum nur noch für Männer gelten sollen, hat viele Möglichkeiten, ein beliebiges Geschlecht zu meinen: Doppelnennungen, Wörter im Neutrum, Sternchen und dergleichen. Egal, wie tief man in diesen Werkzeugkasten greift: Es wird einigen sprachlich missfallen und anderen inhaltlich, vielleicht weil sie sich immer noch übergangen fühlen. Ähnliche Gefahr läuft, wer ‹farbige Menschen› durch das praktisch gleichbedeutende neudeutsche «People of Color» ersetzt. Sollte dereinst ein anderer Ausdruck als noch korrekter gelten, so müssten die Texte rückwirkend geändert werden. Aber selbst damit dürfte die Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe nicht verschwinden. Auch mit der gerade als korrekt geltenden Bezeichnung kann man Gemeinheiten sagen, und das ist weit schlimmer, als in einer an sich respektvollen Aussage ein verpöntes Wort zu verwenden.

Xier, das sind jetzt wir hier

Dass auch beim Gendern längst noch nicht alle Varianten erschlossen sind, zeigt sich neuerdings bei den Pronomen. So heisst es auf dem Instagram-Kanal Srfwemyselfandwhy von SRF: «Nicht jede als Mann gelesene Person ist ein ‹er›», dito bei Frau/sie. Deshalb gebe es nun auf Deutsch «Neopronomen»: «they», «hen» und «xier». Der Plural aus dem Englischen wird dort im Alltag auch als neutraler Singular verwendet, «hen» wurde im Schwedischen eigens erfunden und «xier» soll die deutsche Entsprechung sein. «Es» kommt bei den Ratschlägen nicht vor, vielleicht weil allzu geschlechtslos.

Xier müsse halt beim Kennenlernen sagen, oder man müsse xien fragen, wie xies Pronomen lauten solle, empfiehlt Srfwemyselfandwhy. Entsprechend gilt beim «unkommerziellen Kultur- und Begegnungsraum Zentralwäscherei» in Zürich die Hausregel, sich mit Namen und Pronomen vorzustellen. Die aus dem Englischen übernommene Regel erübrigt sich im Schweizerdeutschen, ausser wenn «der Urs», «d Eva» oder «s Dominique» ein Fürwort wünscht, das vom Artikel abweicht. Hauptsache, man beherzigt das letzte der Zentralwäscherei-Gebote: «Wer sich sexistisch, rassistisch, homophob, ableistisch oder sonst wie menschenfeindlich verhält, fliegt raus.»

Verstehen Sie «ableistisch»?

Ableistisch? Hat tatsächlich, aber nur zufällig etwas mit der Leistungsfähigkeit zu tun, denn es kommt vom englischen «able» (fähig) und bedeutet die Diskriminierung von «disabled» Menschen – also solchen, denen bestimmte Fähigkeiten fehlen. Im Englischen ist allerdings «disabled» heute ähnlich umstritten wie im Deutschen die Bezeichnung «Behinderte». Ableismus könnte ein weiterer Kandidat für die Ausweitung der Antirassismus-Strafnorm werden. Als möglicher Anlass für strafbare Diskriminierung ist dort zuletzt die sexuelle Orientierung aufgenommen worden.

Jetzt will eine Kommission des Nationalrats das Geschlecht als schutzwürdige Eigenschaft hinzufügen. Statt den Katalog ständig zu erweitern, könnte man indes den Gesetzesartikel einer Zentralwäsche unterziehen und einfach «menschenfeindliches Verhalten» ächten. Was das bedeutet, müsste menschenfreundlich definiert werden. Nach der letzten Volksabstimmung habe ich vorgeschlagen, pauschal mit Strafe zu bedrohen, «wer öffentlich gegen eine oder mehrere Personen wegen einer angeblichen oder tatsächlichen Gruppenzugehörigkeit oder -eigenschaft zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft». Wxier sagt’s griffiger?

Weiterführende Informationen

  • Indexeinträge «Geschlechter» und «Korrektheit» in den «Sprachlupen»-Sammlungen, Abruf bei der Nationalbibliothek: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2.
  • Stichwortsuche und Links funktionieren nur im heruntergeladenen PDF (linke Spalte, ganz unten) oder in der Online-Anzeige bei Issuu (issuu.com/sprachlust).

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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5 Meinungen

  • am 2.07.2022 um 14:35 Uhr
    Permalink

    Es gibt eine nachhaltige Lösung zum Problem: Nichts mehr schreiben und nichts mehr sprechen. Und zusätzlich zum Schutz als Opfer: Nichts mehr lesen und nichts mehr hören.

  • am 2.07.2022 um 14:51 Uhr
    Permalink

    Das Wort ‹Eskimo› ist verboten, stattdessen muss ‹Inuit› gesagt werden, obwohl dieses Wort nicht in allen ‹Eskimosprachen› existiert, sondern nur in Inuiktitut und ‹Mensch› bedeute.
    Alle Nicht-Inuit (Schweizer, Deutsche usw.) sind demzugolge keine (!) Menschen, ist somit menschenverachtend aber kein Problem.

    Früher war die falsche Begründung des Verbotes, ‹Eskimo› würde ‹Rohfleischfresser› heissen, aktuelle Begründung ist, dass ‹Eskimo› eine Fremdbezeichnung sei. Womit der Ausdruck ‹Inuit› für ‹Eskimos› welche nicht Inuiktitut sprechen, ebenfalls eine Fremdbezeichnung ist und sie sich – trotz Verbot – weiterhin als ‹Eskimo› bezeichnen.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 2.07.2022 um 17:04 Uhr
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    «People of color» = `?

    Offenbar sind andere einfach «farblos».

    Als ich nach zwei Jahren in Ostafrika nach Europa in die Ferien fuhr, hatte ich den Eindruck, dass viele Leute eher «pink» als weiss erschienen, dass aber die meisten irgendwie einen krankhaften Teint hatten.

    Das erinnerte mich an eine Reise im Niltal, als mir ein Ägypter erklärte, dass seine Hautfarbe dem Kanon der alten Ägypter entspräche und somit als beste Farbe der Menschheit zu gelten hätte.

    Ich fand das sehr schön und wünschte ihm viel Glück.

    Ein paar Jahre später hatte ich zwei Hunde. Einer der Brüder war schwarz wie die Nacht, der andere weiss wie Schneewittchen. Ich glaube immer noch, dass der weisse Hund glaubte, dass alle Hunde schwarz seien und umgekehrt. Ist wohl auch hier im wesentlichen ein Problem der Perspektive.

  • am 2.07.2022 um 21:57 Uhr
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    Die Franzosen haben ein neues Pronomen, neben il und elle gibt es neu ‚iel‘.
    Die Stadtpräsidentin von Zürich hat kürzlich im “Tagblatt“ von einem „Geschlecht, das einem bei der Geburt zugewiesen wurde“ geschrieben. Ich frage mich, wie die geschlechtsneutralen Menschen denn zur Welt kommen. Vielleicht so wie die ‚Gummibäbi‘, denen man in einem Bäbischoppen Wasser geben kann, das unten zu einem Löchlein rauskommt.
    In der Zürcher Altstadt hat es ein Haus, das seit 1443 „zum Mohrenkopf“ heisst. Die Stadt will den Namen aus vermeintlich „rassistischen“! Gründen tilgen. Ein wahrer Bildersturm. Schliesslich haben Zwingli und unzählige andere das vorgemacht. Man könnte das Haus auch umbenennen in „Mohrenköpf*In“.

  • NikRamseyer011
    am 4.07.2022 um 22:24 Uhr
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    Danke für diese Darlegungen! Die Woke-TheoretikerInnen meinen ja, sie seien total «inklusiv». Dabei betreiben sie mit ihrem immer feineren Finassieren zwischen «benachteiligten» oder «nicht mitgemeinten» Minderheiten genau das Gegenteil: Jene Segregation nämlich, die wir endlich überwinden sollten. Und ihre Sprach-Säuberungen sind sehr oft hilflose, billige Ersatzhandlungen rund um Schein- oder Luxusprobleme – man tut irgendwas, wo es leicht geht und wenig kostet.
    Denn wie in Tansania, so gilt fast überall:
    «Dans ce pays les plutôt maigres
    sont normalement les petits noirs.
    Cette poésie ne rime par trop?
    D’accord: Y manque un petit mot.
    Les mots pourtant sont vite changés.
    Plus dur se change la réalité.»
    Kurzum: Was nützt es den Schwulen, wenn man sie «Gay» nennt – sie aber weiterhin verachtet? Diese lang diskriminierte Gruppe hat den Trick mit den neuen Wörtern durchschaut. «Wir sind meinetwegen Schwule» sagten sie irgend mal. «Aber jetzt behandelt uns anständig und respektvoll!»

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