Sprachlupe: Gerecht fürs Geschlecht, schlecht und recht
Von einem «Leitfaden für Grenzgängerinnen» höre ich und frage mich schon, ob er sich allein an Frauen richtet. Weil im Bericht abwechslungsweise auch Grenzgänger vorkommen, aber keine Anhaltspunkte für einen separaten Leitfaden, nehme ich an, die Männer seien bei den «Grenzgängerinnen» mitgemeint gewesen. Soll das ausgleichende Gerechtigkeit dafür sein, dass mit dem herkömmlichen generischen Maskulinum Personen beliebigen Geschlechts gemeint sein können? Auch manche grammatikalisch weiblichen Personenbezeichnungen werden oder wurden generisch verwendet, «Waise» etwa – doch ist «der Waise» nicht mehr selten. Kommt bald auch «der Person» oder «der Koryphäe»?
Verwedelte Weiblichkeit
Nimmt ein Wort hingegen die Endung «-in» an, so bezeichnet es eindeutig ein weibliches Wesen. Dieses darf sich sogar privilegiert fühlen, derartige eigene Benennungen zu haben, während mit der Form ohne «-in» je nach Zusammenhang nur die männlichen oder aber alle einschlägigen Personen gemeint sein können – jedenfalls solange der Sprachfeminismus dem generischen Maskulinum nicht völlig den Garaus gemacht hat. Falls es zwar weiterlebt, seinen Platz aber mit einem «gleichberechtigten» generischen Femininum teilt, das auf «-in» endet, so hat niemand etwas gewonnen: Die Frauen verlieren dann ihre eindeutige Bezeichnung, und wenn die derart verwässerte weibliche Wortform einmal einen Mann bedeuten soll, braucht sie eine zusätzliche Endung: «Lehrerinerich».
Das Abwechseln, das derzeit in vielen Medien aufkommt, dient weniger der Sprachreform als der Sprachökonomie. Nach deren ungeschriebenen, aber oft wirksamen Gesetzen hat die einfachere Ausdrucksweise bessere Überlebenschancen. Und die ebenfalls zunehmend praktizierte Doppelnennung («Lehrerinnen und Lehrer») ist zwar grammatikalisch wie gendermässig korrekt, aber eben nicht ökonomisch. Häufig liesse sich beides kombinieren («Lehrkräfte» oder modisch «Lehrpersonen»), oder man könnte statt von den Personen von der Tätigkeit reden («Unterricht»). Doch das erfordert ein bisschen mehr Nachdenken und kann wiederum kritisiert werden, weil so die Frauen «nicht sichtbar» seien.
Abwechslung macht das Lesen lustig
Nachdenken ist aber auch beim Abwechseln nötig. Unproblematisch ist es, Individuen oder Gruppen nur als Beispiele zu nennen, etwa so: Strapaziert werden derzeit viele Berufsleute, Ärztinnen wie Pfleger, Journalisten wie Virologinnen. Dass der Stress hier nicht geschlechtsspezifisch zuschlägt, versteht man ohne Mühe. Auf falsche Fährten jedoch führen der «Leitfaden für Grenzgängerinnen» oder der Untertitel «Nur Elektrikerinnen oder Verkäufer würden aufgeboten, versprach Bundesrätin Amherd.» Da deutet «nur» nicht auf Beispiele, sondern auf Festlegungen. Bleiben also die (zahlreicheren) Elektriker und Verkäuferinnen verschont, oder hat die Magistratin bloss selber unbedacht abgewechselt? Weder noch, vielmehr stand im Artikel als wörtliches Zitat: «Die Sanitätssoldaten arbeiten zivil als Elektriker oder im Verkauf.» Dass es auch Frauen sein können, dürfte allen Menschen guten Willens klar sein.
Beim Schreiben indes kann guter Wille zu Unsinn verleiten: «Wir verschlimmern Probleme mit dem Körperbild bei einem von drei Teenagerinnen», stand so in der verunglückten Übersetzung aus einem Facebook-Internum. Und da wurde gar eine olympische Böckin geschossen: «Die besten Skinationen dürfen nur noch 22 Teilnehmerinnen selektionieren, maximal 11 pro Geschlecht.»
Nachtrag 17.1.: Selbst Doppelnennungen können in die Irre führen: «Empfehlungen werden von Ärztinnen und Ärzten in der Schweiz oft zu wenig umgesetzt. Das führt zu einer Ungleichbehandlung von Patienten und Patientinnen, wie eine Nationalfonds-Studie zeigt.» Der letzte Satz lässt auf Geschlechterdiskriminierung bei der Behandlung schliessen. Gemeint ist aber, allen könne es widerfahren, dass sie nicht so verarztet würden, wie es empfohlen sei.
Unter dem Titel «Welch eine Überraschung!» greift auch ein «Sperberauge» das Thema auf.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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wie wäre es, das «generisches Maskulinum / Femininum» einfach als «generisches Geschlecht» zu verstehen, mit dem alle Geschlechter (nicht nur die beiden binären) gemeint sind?
Der Autor erwähnt eine Tatsache, die in alle den Diskussionen wenig beachtet wird, dass weibliche Wesen mit der Endung«-in» über eine privilegierte eigene Benennung verfügen. In diesem Zusammenhang kommt mir ein, obwohl nicht ganz ernst gemeinter, Beitrag eines satirischen Magazins in den Sinn.
Was damit gemeint ist, zeigt ein Beispiel: «Wenn ich sage, ich gehe zum Bäcker, ist noch völlig unklar, ob der Bäcker männlich oder weiblich ist. Wenn ich sage, ich gehe zur Bäckerin, weiss jeder Bescheid, dass es sich um eine Frau handelt.»
Daraus folgend wurde für männliche Berufe die zusätzliche Endung«-er» vorgeschlagen. Die folgenden Beispiele zeigen, wie die neue Maskulinendung für verschiedene Berufe aussieht (neutral/weiblich/männlich): Polizist-Polizistin-Polizister, Professor-Professorin-Professorer, Gynäkologe-Gynäkologin-Gynäkologer, Steinmetz-Steinmetzin-Steinmetzer, Chirurg-Chirurgin-Chirurger, Papst-Päpstin-Papster, Pilot-Pilotin-Piloter, Arzt-Ärztin-Arzter etc.
Quelle: Der Postillon
Das Ganze wird erst richtig absurd wenn man das -innen nicht mehr auf das Geschlecht (biologisch) sondern auf die Identität (psychologisch) zu definieren beginnt, wie der Schweizer Staat das offenbar auch schon propagiert. Dann ist Frau wer sich Frau fühlt, ohne zu definieren was für ein Gefühl denn Frau sein soll (oft werden primitivste Rollenbilder wie Rock tragen und schminken genannt). Dann muss Mutterschaftsurlaub spezifisch an Cisfrauen vergeben werden, da ja jeder Frau sein kann, und sich für 75 Franken gar wöchentlich umdefinieren kann.
Immer wieder wohltuend und erheiternd. Danke.
Wie hier eindrücklich von einem Sprachwissenschaftler dargelegt, schätze ich die Worte bei denen eine weibliche Endung gewünscht wird, auf 80-90% bei Berufsbezeichnungen.
Ob ich mich denn mit «Ärztin», «Lehrerin» oder «Verkäuferin» angesprochen fühle, fragte mich eine bestausgebildete Arbeitskollegin.
Und Logik macht wohl den ganz grossen Unterschied zwischen männlich und weiblich hier aus.
Würden nämlich die weiblichen Vertreterinnen bei Berufsbezeichnungen auf die einfachstmögliche Form bestehen, also z.B. «Lehrer», hätten Arbeitgeber auch keinen Grund mehr Lehrerinnen schlechter zu bezahlen als Lehrer.
Was diese Vertreterinnen nicht wollen, ist, dass man Worte wie «die Besoffeninnen» ins Weibliche überträgt. So bleibt Gleichberechtigung in den Grenzen der eigenen Möglichkeiten.
Vielleicht müssen wir uns «einen Ruck geben» und Alternativen versuchen, z.B. einfach die Endung «s» oder «es» an die Gattung hängen – ähnlich dem Französischen oder dem Lateinischen. Wir sagen ja bereits z.B. «oben wohnen die Meiers» und «da drüben die Müllers». Es würde dann heissen «alle Verkäufers und alle Pflegers sind eingeladen; oder «die Migrantes sind auf dem Weg…». oder «es waren Einbrechers am Werk».
Verstehe nicht, warum man, wenn die Mehrzahl genannt wird, auch noch beide Geschlechter nennen muss. „Liebe Ärztinnen und Ärzte“ geht doch auch mit „Liebe Ärzte“, bezieht ja alle ein.
Finde nicht, dass deshalb die Frauen gleichberechtigter sind. Da wären gleiche Löhne und gleich lang Mutter-/Vaterschaftsurlaub sehr viel zielführender.
betr. sprachliche gleichberechtigung, -in oder / oder sternli * oder tüpfli : oder lieber gar nichts
ehemals erschien mir völlig gebräuchlich und üblich: bäcker waren mannen und frauen, verkäufer waren frauen und mannen, demonstranten ware mannen und frauen, usw. die heutige endung -in betont das weibliche. aber, heute nun suche ich das -in, um an frauen zu denken. fehlt das -in, dann denke ich nur noch an mannen. heute also: bäcker sind nur noch mannen, lehrer sind nur noch mannen. die frauen, wenn nicht ausdrücklich mit -in hervorgehoben, sind verschwunden. zulasten der frauen, ein sprachlicher rückschritt in der unbefangenen gleichberechtigung.