Sprachlupe: Die Fauxpas bei der Wörter-Rochade

Daniel Goldstein /  Knapp vorbei ist auch daneben. Das gilt ebenso, wenn der Gebrauch eines Wortes die herkömmliche Bedeutung verfehlt. Es sei denn, …

Die Fauxpas häufen sich, und das hat seinen guten Grund: Sie begehen sich neuerdings sozusagen selber. Zum Beispiel so: «Eine Ärztin fand sich nach einem Fauxpas vor dem Bezirksgericht Meilen wieder.» Es ging darum, dass sie ein Medikament mit zu hoher Dosis angeschrieben hatte, weswegen sie der fahrlässigen Tötung angeklagt wurde. Ein gravierender Fehler also, und obwohl er mit einer Etikette zu tun hatte, betraf er nicht die Etikette im Sinn von Anstandsregeln. Die verletzte eher die Redaktion, indem sie hier pietätlos von «Fauxpas» redete. Denn das Wort bedeutet nur «Verstoss gegen gesellschaftliche Umgangsformen, Taktlosigkeit» (duden.de).

Die Redaktion bei Meilen ist mit der Ausweitung des Ausdrucks auf beliebige Fehler nicht allein. Ein anderes Blatt entschuldigte sich gar für einen eigenen «Fauxpas», der sich «im Artikel ‹Mit Murren und Zähneknirrschen› eingeschlichen» habe: Beim «Zähneknirrschen» (sic!) ging es um eine Abstimmung, die nicht wie berichtet deutlich, sondern eben knapp ausgegangen war. Dann: auf ÖV-Bildschirmen wurde an einen «Fauxpas» erinnert, der einst Blocher und nunmehr Rösti widerfahren sei: von einem Podest zu stolpern. Schliesslich: Quer durch Deutschschweizer Zeitungen hiess es: «Darum passiert den Schweizern nicht der gleiche Fauxpas wie Österreich», nämlich beim Ski-Nationalteam den Nachwuchs zu vernachlässigen.

«Unbotmässige» Verwendungen

Nicht nur bei «Fauxpas» häufen sich selbige – die aber keine sind, sondern bloss gewöhnliche Fehler. Das zeigt, dass man Wortbedeutungen nicht mehr kennt und sich die falsche Verwendung gegenseitig abschreibt. Bei «mitunter» ist der Geisterzug wohl nicht mehr aufzuhalten: Statt für «manchmal, bisweilen, gelegentlich, von Zeit zu Zeit» wird das Wort so häufig für «unter anderem» verwendet, dass wohl auch diese Bedeutung ins Wörterbuch geraten wird und mitunter Leserinnen mitunter rätseln müssen, was nun gemeint sei. Sogar auf Schweizerdeutsch, wo es nun wirklich nichts verloren hat, habe ich so ein «mitunter» schon gehört.

Auch «unbotmässig» wird längst nicht nur wörterbuchmässsig verwendet, also für «sich nicht so verhaltend, wie es [von der Obrigkeit] gefordert wird». Da attestiert etwa ein Kritiker einem Film, der erzähle «ohne unbotmässige Hast». Also wohl ohne unpassende, ungebührliche Hast – oder vielleicht doch: nicht schneller, als die Polizei erlaubt. Und wem wird im folgenden Beispiel gehorcht? «Es ist nicht davon auszugehen, dass unsere Volksvertreter die Initiative mit unbotmässiger Strenge umsetzen werden.» Schon fast lustig; ebenso hier, über eine Frau auf Obdachsuche: «Ihr Mitbewohner sei handgreiflich geworden, nennt sie als Grund für ihre wohnliche Notlage.» Wohnlich! Mitunter wird gar aus Lob ungewollt Kritik: «Bestseller-Autor Karl Lüönd berichtet süffisant aus fünf Jahrzehnten, wie unser Land zur besten Sterbehilfe der Welt gekommen ist», stand in einer durchaus wohlwollenden Buchbesprechung; gemeint war wohl «süffig», aber man wollte es gediegener sagen.

Popanze zum Anfassen

Auf Abwege ist auch «Popanz» geraten: Das Wort für «künstlich hergestellte [Schreck]gestalt, besonders ausgestopfte Gestalt, Puppe» wird zwar meistens im übertragenen Sinn verwendet, wirkt aber hier, in einer von Berlusconis Villen, befremdlich: «Ein kleines Anwesen, fünf Schlafzimmer nur, der übliche Popanz im Dekor» – ist etwa der Hausherr mit abgebildet? Auch die Künstlerin Simone Meier würde selber als Bildvorlage taugen: «Sie saugt Popkultur, Mode-Popanz und Medien-Phänomene mit allen Poren ein.» Allerdings gibt es eine sehr weit übertragene Bedeutung, mit welcher «Popanz» sogar in diesen Beispielen zu retten ist: «etwas, was aufgrund vermeintlicher Bedeutung, Wichtigkeit Furcht, Einschüchterung o. Ä. hervorruft oder hervorrufen soll».

Fast könnte man sagen, Wortbedeutungen vollzögen eine Rochade – aber man läge daneben, wenn auch in zahlreicher Gesellschaft. Gar manche Umbesetzung wird heute als Rochade bezeichnet, auch wenn sie keinerlei Ähnlichkeit mit dem Doppelzug im Schach hat. Dort ziehen König und Turm (mittelhochdeutsch: Roch) aneinander vorbei auf neue, benachbarte Plätze. In einem Unternehmen oder Sportteam muss es ja nicht ganz genau eine solche Bewegung sein, damit man von Rochade reden kann – aber mindestens zwei Personen sollten schon dabei sein und auch bleiben. «Rochade: Direktor muss gehen» kommt nicht hin. Ade Direktor – und Rochade ade!


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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2 Meinungen

  • am 11.03.2023 um 11:37 Uhr
    Permalink

    Lieber Herr Goldstein,
    Was habe ich doch schon alles aus Ihrer Kolumne erfahren und lernen dürfen! Herzlichen Dank dafür.
    Mich stört in letzter Zeit vermehrt der Begriff «zeitnah» und ich frage mich, wie es geschehen konnte, dass dafür altvertraute Begriffe wie «bald», «demnächst» (auch nicht gerade hübsch) entsorgt wurden.

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