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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Die Akademie, die ein i zu viel hat

Daniel Goldstein /  Manchmal ist ein englisches Wort praktisch, weil es kein entsprechendes deutsches gibt. Academe für die akademische Sphäre etwa.

In Bern gibt’s eine neue Akademie, die hat keine Adresse und keine Organe, sie gibt kein Fachgebiet an und ist nicht einmal im Internet zu finden. Sie ist zudem weder neu noch auf Bern beschränkt. Sie hiess bloss bisher nicht Akademie und hatte auch keinen anderen Namen, jedenfalls nicht nach aussen, soviel ich weiss. Jetzt aber ist sie mir auf einer einzigen Zeitungsseite gleich sieben Mal begegnet; einmal hat «der Dekan als höchste Person in der Akademie» sich selber so genannt.

Er beanspruchte die Höchststellung aber nur für die Akademie innerhalb des Inselspitals. Der Vorsteher der Medizinischen Fakultät an der Berner Universität sprach mit den örtlichen Tamedia-Ablegern (Abruf mit Login BZ / Bund) über die Zustände am Krankenhaus. Dabei ging es namentlich um die Rolle der Akademie in der Führung. Aus dem Zusammenhang wurde klar, dass das Gewicht von Lehre und Forschung gegenüber jenem von Behandlung und Pflege gemeint war – also das, was das Unispital von einem gewöhnlichen unterscheidet. Der Dekan forderte von der Spitalleitung: «Man muss verstehen, was eine Krankheit ist, was ein Patient ist, was Akademie heisst.»

Von Griechisch zu Englisch

Nach der Lektüre des Interviews verstand man wenigstens der Spur nach, was Akademie da heisst: die wissenschaftlichen Belange und das dazugehörige Personal. Im üblichen Sinn jedoch ist eine Akademie eine Institution der Lehre, Forschung oder auch Interessenvertretung und trägt eine nähere Bezeichnung im Namen, so die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften oder auch die Junge Akademie Schweiz. Viele kommerzielle Bildungsanstalten schmücken sich ebenfalls mit der Bezeichnung «Akademie», denn die ist nicht geschützt. Sie alle suchen den Glanz der altgriechischen Akademeia, wo Platon lehrte.

Als Wort für den ganzen akademischen Bereich, Belang, Betrieb oder auch personellen «Kuchen» (im Unispital oder weit darüber hinaus) wirkt Akademie auf mich befremdlich. Ich vermute den Ursprung im Englischen, nur weniger offensichtlich als so vieles im heutigen Wissenschaftsbetrieb, von Bachelor und Master bis Postdoc, von Paper und Peer-Review bis Rating. Hinter Akademie ohne Zusatz höre ich academe, nach einer Wörterbuch-Definition «the academic life, community, or world». Ähnlich wird auch academia verwendet – aber nur selten academy, das normalerweise eine Institution bedeutet, genau wie Akademie auf Deutsch.

Aussensicht auf die Akademe

Statt unser Wort auf die akademische Sphäre auszuweiten, fände ich es besser, Akademe als neues Fremdwort zu übernehmen. Die Betonung sollte nicht wie im Englischen auf dem Anfangs-A liegen, sondern auf dem ersten e, und das zweite e sollte auch hörbar sein. So klingt’s schon recht deutsch und nur ein Schelm wird trotzdem ans französisch auszusprechende Boheme denken. Wer stattdessen den sprichwörtlichen Elfenbeinturm bemüht, tut der Akademe zwar manchmal unrecht, trifft aber zuweilen doch einen wunden Punkt.

Das Adjektiv academic kann nämlich im Englischen auch «rein theoretisch» bedeuten oder gar «ohne nützlichen Sinn». Diese Bedeutung ist ebenfalls schon ins Deutsche übergeschwappt, wie der letzte Eintrag dazu im Online-Duden zeigt: «müßig, überflüssig; Beispiel: Wenn es bei diesem Preis bleibt, werden alle inhaltlichen Fragen sowieso akademisch.» Man könnte nun sagen, Fragen wie die erweiterte Bedeutung von Akademie interessierten nur die Akademe. Bloss kann man als Zeitungsleser plötzlich damit konfrontiert sein, auch wenn man kein Akademiker ist oder nur ein gewöhnlicher – also jemand, der nach der Ausbildung die Hochschule und ihr Umfeld wieder verlassen hat und somit nicht mehr zur Akademe gehört.

Weiterführende Informationen

  • Indexeintrag «Anglizismen» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3.
    In den Bänden 1 und 2 (Nationalbibliothek) funktionieren Stichwortsuche und Links nur im herun­tergeladenen PDF.
  • Quelldatei für RSS-Gratisabo «Sprachlupe»: sprachlust.ch/rss.xml; Anleitung: sprachlust.ch/RSS.html

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor ist Akademiker, aber weder in einer Akademie noch sonst wo in der Akademe.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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  • am 30.06.2024 um 00:19 Uhr
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