Sprachlupe: Das interessiert Sie, weil Sie lesen es

Daniel Goldstein /  Oft wird die verkehrte Satzstellung nach «weil» als Zeichen der Verluderung angesehen. Aber Forscher gewinnen ihr Interessantes ab.

Richtig, im Titel ist etwas falsch! Oder doch nicht? Denn die Korrektur der Satzstellung wäre eine Verschlimmbesserung: «Das interessiert Sie, weil Sie es lesen.» Lesen kann doch erst nach Beginn Interesse wecken. Viel plausibler wäre die Umkehrung: «Das lesen Sie, weil es Sie interessiert.» Damit ist das Interesse als Grund fürs Lesen genannt. So ist der Titel aber nicht gemeint, sondern umgangssprachlich so, wie es mit einem eingeschobenen Doppelpunkt oder Gedankenstrich einigermassen der Schulgrammatik entspräche: «Das interessiert Sie, weil: Sie lesen es.»
Das Satzzeichen als Kunstpause nach «weil» signalisiert: Die Aussage im Hauptsatz – «das interessiert Sie» – wird jetzt dann gleich begründet. Hier wird aber nicht der Grund für das behauptete Interesse angegeben, also nicht: «Das interessiert Sie deshalb, weil …». Das wäre eine kausale Begründung (von causa, lateinisch für Ursache). Vielmehr geht es um den Grund fürs Behaupten: «Das interessiert Sie, und ich erkenne dies, weil …». Sprachwissenschafter nennen eine solche Begründung epistemisch (von episteme, altgriechisch für Wissen).

«Gesprochenes Standarddeutsch»

«Die Konjunktion weil wird im geschriebenen Standarddeutsch als unterordnende Konjunktion verwendet», steht im Duden 9 (Zweifelsfälle, 2007), also zur Einleitung eines Nebensatzes und daher mit dem Verb am Schluss: «… weil Sie es lesen». Im «gesprochenen Standarddeutsch» aber komme die Konjunktion auch «nebenordnend» vor, also zur Einleitung eines weiteren Hauptsatzes, mit entsprechender Satzstellung, in unserem Beispiel eben «weil Sie lesen es». Der Duden hält fest, nur in dieser mündlichen Ausdrucksweise könne «weil» auch im epistemischen Sinn verwendet werden.

«Weil» als Einleitung eines Hauptsatzes habe sich «zumindest in der gesprochenen Sprache weitgehend durchgesetzt», schrieben Kirstin Casemir und Christian Fischer 2013 in ihrem Buch «Deutsch. Die Geschichte unserer Sprache» und führten kausale wie auch epistemische Sätze an; in letzteren seien «Satzverbindungen ermöglicht, die andernfalls komplizierter ausgedrückt werden müssen». Im Duden 9 steht ein Beispiel dazu, gesprochen: «Da muss wohl eine Baustelle geplant sein, weil – da wurde schon eine Umleitung eingerichtet.» Korrekt geschrieben aber: «Ich glaube, dass hier eine Baustelle geplant ist, denn schliesslich wurde schon eine Umleitung eingerichtet.»

Es ging schon bisher einfach

Das Duden-Exempel enthält einen – nicht beabsichtigten – Hinweis, dass sich auch eine epistemische Begründung ohne Umschweife und ohne grammatikalische Neuerungen ausdrücken lässt: «Das interessiert Sie, denn Sie lesen es.» Behaupte ich das, so merkt man leicht, dass ich vom Lesen aufs Interesse geschlossen habe. «Denn» konnte also schon bisher so verwendet werden, epistemisch eben. In der Wikipedia steht unter «Konjunktion»: «Das epistemische weil ersetzt im Zuge eines Sprachwandels in der gesprochenen Sprache die Konjunktion denn». «Denn» ist eine nebenordnende Konjunktion, daher folgt ein Verb in Hauptsatz-Stellung. Den Nebensatz «…, denn Sie es lesen» wird man höchstens von Deutschlernenden hören. Denn sie wissen nicht, was sie tun.
Sätze wie «er kam zu spät, weil er hatte den Bus verpasst» würden bald Eingang in die Schriftsprache finden, vermuteten Casemir/Fischer. In der Neuauflage des Duden 9 von 2016 ist aber die klare schriftsprachliche Unterscheidung unverändert geblieben: Hauptsatz nach «denn», Nebensatz nach «weil». Etabliert sich dagegen im schriftlichen Standard «weil» als mögliche Hauptsatz-Einleitung, so gilt die Formulierung im Titel neu als richtig – vielleicht auch nur, weil «weil» dort epistemisch verwendet wird. Deutschlernende müssten sich dann auch noch einprägen, dass eine solche Angabe des Erkenntnisgrunds allein mit dem nebengeordneten Hauptsatz gelingt, nicht mit dem Nebensatz in: «Das interessiert Sie, weil Sie es lesen.» Interessiert es Sie jetzt, weil Sie es gelesen haben?
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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