Sprachlupe: CH-Lebensläufe von Schulhof bis Altenheim?
Wo haben Sie in Ihrer Schulzeit während der Pausen gespielt? Auf dem Schulhof wohl eher nicht, wenn Sie in der Deutschschweiz aufgewachsen sind. Weit wahrscheinlicher auf dem Pausenplatz, vielleicht auch auf dem Schulhausplatz, wenn nicht gerade eine Verkehrsfläche auf der Strassenseite so hiess. Vor einigen Jahren begannen mir aber in hiesigen Zeitungen «Schulhöfe» aufzufallen, und als ich im Medienarchiv SMD danach suchte, fand ich sie auch in älteren Pressejahrgängen recht oft. Das dicke «Variantenwörterbuch des Deutschen» belehrt mich, das Wort sei «gemeindeutsch», also im ganzen Sprachgebiet verbreitet.
Dieses Wörterbuch enthält nur regionale Besonderheiten. Schulhof steht daher nur als Ausgangspunkt für Verweise drin – zu Schulhausplatz, mit CH markiert, und zu Pausenplatz, auch noch in Süddeutschland zu finden. Dazu gibt’s in D und A noch Pausenhof. Diese Variante scheint nun in Schweizer Medien gegenüber Schulhof aufzuholen – vielleicht weil sie ans heimatliche Pausenplatz erinnert, aber «hochdeutscher» wirkt. Indes ist auch Pausenplatz hochdeutsch, im Duden als «schweizerisch» bezeichnet, aber ohne den Zusatz «mundartlich» oder «mundartnah».
Im Eldorado der Wortstatistik
Wer die geografische Verteilung genauer sehen will, findet Karten im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (dwds.de), jeweils in der rechten Spalte. Die Abbildungen zeigen eine Hochburg von Pausenhof in Bayern – aber sie ist weniger hoch, als es scheint. Klickt man die Grafiken auf der DWDS-Website an, so erscheint eine Detailansicht mit der Säulenskala. Auch die absoluten Zahlen sind angegeben, in PPM, also Vorkommen des jeweiligen Worts pro Million Wörter in der Datenbank. Ein Klick auf den Pfeil links oder rechts der unvergrösserten Karte ruft anstelle der Statistik nach Gebieten die erfassten Zeitungen auf, wiederum erweiterbar mit Details.
Damit die Pausenhof-Säulen gut sichtbar sind, werden sie im Vergleich zu jenen bei Schulhof 2,5-mal höher dargestellt – ähnlich wie eine Reliefkarte des Juras stärker überhöht sein muss als eine des Himalayas, damit man überhaupt ein Relief sieht. Pausenplatz kommt übrigens ganz flach heraus: Das DWDS führt das Wort nicht auf. Wer aber dwds.ch (statt .de) eintippt, gelangt zu einem Schweizer Textkorpus und wird fündig: Die Suche zeigt Pausenplatz weit vor Pausenhof, aber doch knapp hinter Schulhof. Dass hier Pausenhof mehr Rückstand hat als gemäss DWDS-Karte, dürfte an Auswahl und Alter der erfassten Texte liegen.
Die «Klassenfahrt» des Parlaments
Ähnliche Sprachreisen lassen sich auch für Schulreise anstellen, laut Duden schweizerisch für Klassenfahrt. Dafür aber wäre das CH-Pendant gemäss Variantenwörterbuch Schul- oder Klassenlager; unserem Wort Schulreise entspräche in D und A Wandertag. Die Helvetismen für schulische Reisen und Lager stehen nicht im DWDS, wohl aber im Duden, zumindest im Spezialband «Schweizerhochdeutsch». Die DWDS-Karten zeigen bei Wandertag und Klassenfahrt in der Schweiz ganz kleine Säulen. Das kann sich mit der Zeit ändern, denn diese (gemäss Fachsprache deutschländischen) Wörter gelangen aus nördlichen Quellen und Händen vermehrt in Schweizer Medien und damit ebenfalls in digitale Textsammlungen. Nähere Betrachtung zeigt, dass bisher die meisten «Wandertage» nicht Schulen betrafen, sondern etwa Vereine. Eine Zeitungskette feierte die «Klassenfahrt» einer Parlamentsdelegation nach Baselland zum diesjährigen «höchsten Schweizer».
Auch der weitere Lebenslauf nach der Schule kann – nochmals Fachsprache – zu Teutonismen führen, ob man sie als Bereicherung empfindet oder nicht. Trottoir hält sich vielleicht nur deshalb so gut gegen Bürgersteig, weil Bürgerinnen letzteres Wort nicht mögen. Gesamtarbeitsvertrag indes bekommt wegen seiner Umständlichkeit allmählich mediale Konkurrenz durch Tarifvertrag. Gering ist in der Schweiz das Risiko, ins Hospital statt ins Spital zu kommen oder schliesslich ins Altenheim statt ins Altersheim. Da ragen die DWDS-Säulen (samt absoluten Zahlen) für die helvetischen Varianten turmhoch über den importierten.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Pauseplatz, Schuelreis, Klasselager, auch Trottoir, Velo sind schon im schweizerischen Unterbewusstsein geläufig. Ich gebe immer acht, dass meine Enkelkinder die Dialektwörter brauchen. Ich korrigiere sie nicht, aber wiederhole das Wort, falls hochdeutsch ausgesprochen, im Dialekt.
Es gibt offenbar einen neuen Kinofilm mit dem schönen berndeutschen Titel: „Omegäng“. Leider kam ich bis jetzt noch nicht ins Kino.
Genau, auf Schweizerdeutsch soll man die genannten Wörter dialektal aussprechen. Redet man Hochdeutsch, so sind sie alle in hochdeutscher Aussprache ebenfalls korrekt. Sie müssen nicht einmal «so hochdeusch» klingen wie bei manchen im Duden angegeben. Dort wird «Velo» mit langem, geschlossenem (=spitzem) e ausgesprochen, daneben ist die hierzulande übliche Version mit kurzem, offenem e angeführt: auch ‹vɛ… Da der Duden das Wort als «schweizerisch» bezeichnet, sollte er unserer hochdeutschen Aussprache den Vorrang geben. Diese unterschlägt er bei «Trottoir» ganz und gibt nur an: …’to̯a:ɐ̯. In der elektronischen Ausgabe ist das in typisch deutschem Französisch zu hören, mit übertriebener Endbetonung; vom Schluss-r ist nichts zu hören. Wir dürfen dieses Lehnwort aber ungeniert unserem Sprachfluss anpassen, auch dem hochdeutschen, es also am Anfang betonen und am Schluss samt r aussprechen.
Sagt gestern doch mein vierjähriger Enkelbub beim Schuhebinden, dass ich noch einen Knoten machen müsse. Eltern und Grosseltern sind Deutschschweizer. Ich sage, dass sei ein „Chnopf“ oder sogar ein „Doppelchnopf“. Er besteht auf dem Knoten, ich auf dem Chnopf. Es war lustig, ich sage jeweils, „gäll, z vill Fernseh gluegt.“
Mehr als Schulpausen-Wortklauberei sollte uns bekümmern das Mobbing (für Begriffsdetaillisten: das scheint überall dasselbe Wort zu sein).
Nicht selten finde ich das Verhalten des «Umfelds» alias Publikums quasi noch verstörender als das der Täter, wenn das überhaupt zu toppen ist.
1) heute.at: «Schule ignoriert Warnung – Schülerin ins Koma geprügelt», 20min.ch (4.4.2024): «Schule wusste von Gefahr: Jugendliche prügeln Samara (14) ins Koma»
2) blick.ch (5.4.2024): «15-Jähriger nach Unterricht totgeprügelt»
3) blick.ch (2.4.2024): «Auf Schultoilette – Schülerin wird von Mitschüler (13) zu Oralsex gezwungen»
Schulleitung sei der Geschädigten kaum entgegengekommen. Erst als der Täter in den polizeilichen Einvernahmen alles [ zugeben musste aufgrund Chats], sei der Tochter geglaubt worden. «Nachdem meine Tochter einige Wochen nicht zur Schule gegangen war, forderte man sie auf, wieder am Unterricht teilzunehmen. Und das in derselben Klasse, in die der Täter nach wie vor geht!»
Mehr als Schulpausen-Wortklauberei sollte uns bekümmern das Mobbing (für Begriffsdetaillisten: das scheint überall dasselbe Wort zu sein).
Nicht selten finde ich das Verhalten des «Umfelds» alias Publikums quasi noch verstörender als das der Täter, wenn das überhaupt zu toppen ist.
1) heute.at: «Schule ignoriert Warnung – Schülerin ins Koma geprügelt», 20min.ch (4.4.2024): «Schule wusste von Gefahr: Jugendliche prügeln Samara (14) ins Koma»
2) blick.ch (5.4.2024): «15-Jähriger nach Unterricht totgeprügelt»
3) blick.ch (2.4.2024): «Auf Schultoilette – Schülerin wird von Mitschüler (13) zu Oralsex gezwungen»
Schulleitung sei der Geschädigten kaum entgegengekommen. Erst als der Täter in den polizeilichen Einvernahmen alles [ zugeben musste aufgrund Chats], sei der Tochter geglaubt worden. Mutter: «Nachdem meine Tochter einige Wochen nicht zur Schule gegangen war, forderte man sie auf, wieder am Unterricht teilzunehmen. Und das in derselben Klasse, in die der Täter nach wie vor geht!»
Ja, richtig: Mobbing ist was grauenhaftes! Es geschieht auf dem Pausenplatz, auf dem Schulweg etc. Ich hab‘s nicht erlebt, war einigermassen resistent, und es war noch nicht so aktuell wie heute. Meine Schwester hat mir viel später einmal gesagt, dass man mit mir nicht über andere hätte tratschen können. Sie hat es dann aber von selber eingesehen, als sie zu zweit mal ein drittes Gschpöhnli ausgeschlossen hatten, und sie eines Tages zu unserer Mutter sagte, dass sie es nicht mehr machen wolle, es sei gemein. Ich glaube, es braucht viel elterliches Feingefühl, um Kinder gegen Mobbing resistent zu machen. Feingefühl und Gschpüri für was läuft.