Sprachlupe: Auch von einem «Es» kann man respektvoll reden
They fände es schön, so bezeichnet zu werden, wenn von them die Rede ist – auf Deutsch und für eine Einzelperson. Their Name lautet Kim de l’Horizon. Für their «Blutbuch» in der Schweiz und in Deutschland preisgekrönt, schlägt they für sich (und wohl für andere nonbinäre Personen wie them selbst) das englische Mehrzahl-Pronomen vor. Von «their» steht in their jüngsten Tamedia-Kolumne zwar nichts, aber logischerweise müsste auch dieser englische Plural zu their Wünschen für die Verwendung im Deutschen gehören.
Für hier: genug der Wunscherfüllung. Im Englischen ist die Verwendung der Pluralform they für eine Einzelperson zwar schon lange informell üblich, wenn man das Geschlecht nicht kennt oder ihm keine Bedeutung zumisst. Wörterbücher wie Oxford und Merriam-Webster erinnern daran, dass auch die Höflichkeitsform you ursprünglich ein Plural war. So ist’s ebenfalls beim deutschen Sie, aber nun geht’s ja nicht um die Anrede, sondern ums Reden über jemanden. Die dritte Person Mehrzahl lautet sie wie die weibliche Einzahl, lässt somit das Geschlecht nicht offen, wenn ein Individuum gemeint ist.
Es geht auch ohne englische Einsprengsel
Also englische Pronomen importieren, samt der Schwierigkeit, das th in die deutsche Sprechweise einzufügen? Auf dem Instagram-Konto wünscht de l’Horizon «keine pronomen oder dey/dem». Ich vermute, dey wäre auszusprechen wie ein berndeutsches Ei, nicht wie ein hochdeutsches. Aus Deutschschweizer Mündern klingt they/them ja oft ungefähr wie dey/dem, aus deutschen eher wie sey/sem. Anstelle der einen oder anderen pseudodeutschen Form ist also vielleicht die englische Schreibweise doch vorzuziehen, Aussprache hin oder her.
Aber braucht es diesen Wortimport überhaupt? Schliesslich geht es ja den Nonbinären darum, dass sie sich weder als weiblich noch als männlich verstehen und darum auch nicht mit einer entsprechenden Form bezeichnet werden wollen. Genau dafür haben wir im Deutschen das Neutrum; die lateinische Bezeichnung bedeutet wörtlich «Nicht-eines-von-beiden». Das Pronomen es hat allerdings in nonbinärer Sicht den Nachteil, dass es im Genitiv und im Dativ gleich lautet wie das männliche: seiner/ihm. Und gewichtiger noch: Es werde «von den meisten als beleidigend empfunden» und sei oft herabschauend gemeint, sagte ebenfalls in den Tamedia-Blättern (Abruf mit Login*) Marcos Cramer, Professor für Wissensverarbeitung in Dresden und «Erstey Vorsitzendey» des Vereins für Geschlechtsneutrales Deutsch.
«Respektvoll sprechen» – auch mit einst verpönten Wörtern
Der Verein hat in Umfragen ermittelt, das von ihm vorgeschlagene geschlechtsneutrale Pronomen en sei beliebter als dey. Cramer gab als Beispielsätze an: «En ist nicht binär und wünscht sich, dass ens Geschlecht und ense gewählten Pronomen berücksichtigt werden. Es bereitet em Freude, wenn Leute respektvoll über en sprechen.» Der letzte Satz klingt für Deutschschweizer Ohren vertraut, allerdings wenn von einem Mann die Rede ist.
Ich fände es schön, wenn aus den munter spriessenden Vorschlägen für den sprachlichen Umgang mit nonbinären Leuten einer hervorginge, der von den meisten Betroffenen akzeptiert würde. Betroffen sind indes nicht nur die Menschen, um deren Bezeichnung es geht, sondern auch alle andern, die gebeten werden, solche Bezeichnungen zu verwenden. Noch schöner fände ich es, wenn anstelle der englischen Zungen- und Grammatikverrenkung oder neu erfundener, deutsch klingender Pronomen das schlichte es zu neuen Ehren käme. Dass man beleidigend gemeinte Ausdrücke zurückerobern kann, haben Schwule, Lesben und andere Queere vorgemacht: Wer ihnen anständig begegnet, kann sie auch mit diesen Wörtern bezeichnen, die sie nun selber meistens verwenden.
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*Wer ein Tamedia-Login hat, aber nicht für den «Bund», kann nach dem Anklicken des Abruf-Links in der Adresszeile des Browsers «derbund» durch den Namen des abonnierten Blattes ersetzen.
Weiterführende Informationen
- Indexeintrag «Geschlechter» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3.
In den Bänden 1 und 2 (Nationalbibliothek) funktionieren Stichwortsuche und Links nur im heruntergeladenen PDF. - Quelldatei für RSS-Gratisabo «Sprachlupe»: sprachlust.ch/rss.xml; Anleitung: sprachlust.ch/RSS.html
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Sehr schöne Herleitung und Argumentation. Ich bin ganz Ihrer Meinung!
Ich gehöre zu einer Minderheitsgruppe von Menschen, die aus anderen Gründen ein anderes Leben führt als Normbürger. Ich mache die Erfahrung, dass Normbürger versuchen, für mich zu sprechen. Das ist gut gemeint. Herr Goldstein, ich gehe davon aus, dass Sie binär sind. Ich schreibe hier jetzt für mich selbst und meine eigene Minderheitsgruppe, und nicht für die Gruppe der nicht binären Menschen.
Sie haben selbstverständlich Meinungsfreiheit, ich ebenso. Es kommt aber schräg an. Vielleicht hätte es Sinn gemacht, «Zur Klarstellung: Ich gehöre selbst nicht zu dieser Minderheitsgruppe und äussere mich als Aussenstehender» oder so etwas zu schreiben. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Sie mit Ihrer Meinung die Minderheitsgruppe verärgern. Zwar nicht ganz so extrem wie wenn Sie sich fürs Theater schwarz geschminkt hätten, um einen Schwarzen zu spielen, aber es geht schon in die Richtung einer Appropriation. Ihre Klarstellung hätte geholfen.
Danke für Ihre Stellungnahme, die Sie auch «im Namen Ihrer eigenen Minderheitsgruppe» abgeben. Das klingt, als hätten Sie dazu ein Mandat, das über Ihre blosse Zugehörigkeit zu dieser Gruppe hinausgeht, und ich erführe gern mehr darüber. Da ich selber nicht beansprucht habe, in einem anderen Namen als meinem eigenen aufzutreten, sehe ich keinen Grund, meinen Text mit Angaben zu Identitätsmerkmalen geschlechtlicher oder anderer Art zu versehen. Ferner bestreite ich, dass solche Merkmale automatisch eine Gruppenzugehörigkeit begründen. Kim de l’Horizon wandte sich mit seinem Wunsch über Pronomen in persönlicher Sache (ohne Gruppenanspruch) an die Allgemeinheit. Dieser anzugehören, beanspruche ich nun tatsächlich. Wenn es eine Minderheitsgruppe verärgern sollte, dass ich kein Bekenntnis darüber abgebe, ob ich ihr angehöre oder nicht, dann bedaure ich das, muss es aber in Kauf nehmen. Ich weise den Vorwurf zurück, ich hätte so etwas wie «Appropriation» betrieben, mir also etwas zu eigen gemacht, das mir nicht zusteht.
Luise F. Pusch plädierte in ihrem Standardwerk «Das Deutsche als Männersprache» (1984) «mit aller Entschiedenheit für die Forcierung» des -in, um ihre «ursprünglich diskriminierende Funktion» zu «neutralisieren». Was ist in den 40 Jahren bis heute passiert? Wurde das -in neutralisiert? In einem vielbeachteten Artikel im Tagesspiegel (2020) beschreibt Nele Pollatschek, wie sie das -in erlebt. Sie schreibt Bücher und nennt sich «Schriftsteller» (ohne -in). Ein Kollege «erinnert sie daran, dass sie aufgrund ihres Geschlechts niemals Schriftsteller sein kann, sondern immer nur Schriftstellerin, eine Ableitung, eine Form, die eine Grundform braucht, um überhaupt existieren zu können.» Neutralisation gelungen? Männlicher Herrschaftsanspruch in Reinkultur! Mit dem «es» wird die Operation kaum besser gelingen. Die ganze Genderei dient mehr den vielen (nicht allen) Binären, die sich lieber ein «gerechtes» Mäntelchen» verpassen wollen, als den Nonbinären echt anständig zu begegnen.
Betreffend Mandat: Ich habe keines. Wenn ich mich als Betroffener einsetze, kann es sich von selbst ergeben, dass es andere gleichartig betroffene Menschen zugute kommt. Ein Beispiel: Eltern eines körperbehinderten Kinds organisieren, dass es die Regelschule besuchen kann. Wenn das klappt, ist es gut für Menschen mit Körperbehinderung.
Betreffend Zugehörigkeit: Das ist etwas kompliziert. Es hängt davon ab. Ich würde aber nicht so pauschal behaupten, dass überhaupt kein Automatismus vorliegt. Zum Beispiel Zugehörigkeit zur Allgemeinheit. Das muss man eigentlich gar nicht betonen, weil es tautologisch ist. Wir alle sind Allgemeinheit. Zieht das jemand bloss in Zweifel, wäre das Ausgrenzung (auf Englisch «othering»).
Man sollte doch erst einmal die Begriffe auslüften: woher kommen die Bezeichnungen «binär» und «nonbinär» und können sie in ihrem scheinbaren Antagonismus überhaupt auf Bezeichnungen des sozialen Geschlechts angewendet werden. «Binär» kommt aus der Mathematik und bezeichnet ein duales Zahlensystem, das später den Einsatz von digitalen Schaltungen und damit Computern ermöglichte – inwiefern hat das etwas mit Biologie, mit Geschlechtern zu tun? Männer und Frauen haben viel mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede, nix «binär» also. Genauso verhält es sich mit den Unterschieden der sexuellen Orientierung: mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede, wieder nix mit «binär». Die Mathematik kennt auch keinen Antagonismus des Binärsystem zur anderen Zahlensystemen (dezimal, hexagesimal), wie er hier gesellschaftlich behauptet wird; es sind Übertragungen von beliebigen Werten in nur zwei Zustände. Warum wird also immer das scheinbar Trennende zwischen den Menschen betont, und nicht das Gemeinsame?
Gesellschaftlich gesehen, bin ich völlig einverstanden. Im heutigen deutschen Sprachgebrauch aber ist es bei Personenbezeichnungen oft nicht möglich, in einfacher Art der Festlegung auf männlich oder weiblich zu entgehen. Dass eine zunehmende Zahl von Leuten Unbehagen mit dieser Zwangslage zeigt, hat gewiss mit zunehmender Offenheit zu tun, vermutlich aber auch mit Geschlechterklischees. Waren diese – etwa bei Bébékleidern, Spielzeug oder auch Erwachsenenberatung – gegen Ende des 20. Jahrhunderts im westlichen Mitteleuropa eher verpönt, werden sie heute mit zunehmender Penetranz wieder verbreitet, so in der Werbung oder den – auch in dieser Hinsicht asozialen – Social Media. Gesellschaftlich gesehen, bin ich völlig einverstanden. In heutigen deutschen Sprachgebrauch aber ist es bei Personenbezeichnungen oft nicht möglich, in einfacher Art der Festlegung auf männlich oder weiblich zu umgehen. Dass eine zunehmende Zahl von Leuten Unbehagen mit dieser Zwangslage zeigt, hat gewiss mit zunehmender Offenheit zu tun, vermutlich aber auch mit Geschlechterklischees. Waren diese – etwa bei Bébékleidern, Spielzeug oder auch Erwachsenenberatung – gegen Ende des 20. Jahrhunderts im westlichen Mitteleuropa eher verpönt, werden sie heute mit zunehmender Penetranz wieder verbreitet, so in der Werbung oder den – auch in dieser Hinsicht asozialen – Social Media. Da mögen sich manche denken: So ein Mann oder so eine Frau, wie sie da als Ideal hingestellt werden, will ich lieber nicht sein.