Cahn

Kunst von Frauen muss man in vielen Museen suchen: Hier Miriam Cahn im Kunstmuseum Bern 2019 © Screenshot SRF «Tagesschau»

Schweizer Museen zeigen wenig Kunst von Frauen

Alexandra Kohler und Céline Stegmüller, swissinfo.ch /  In grossen Kunstausstellungen dominieren Werke von Männern. Einige Schweizer Museen sind daran, das Missverhältnis zu korrigieren.

2019 scheint das Jahr der Künstlerinnen zu sein: Das Museum Tate in London zeigt seit Ende April die Kunst weiblicher britischer Künstlerinnen der letzten 60 Jahre. Die Werke der Männer wurden für einmal abgehängt. Die Sichtbarkeit von Frauen in der Kunst ist weltweit ein wichtiges Thema. Eine Studie in den USA hat ergeben, dass gerade einmal 12 Prozent aller Künstler in Ausstellungen Frauen waren. Auch in der Schweiz ist das Geschlechterverhältnis in der Kunst ein grosses Thema. Die Situation wurde hierzulande noch nicht untersucht – bis jetzt.
Swissinfo.ch und Radio Télévision Suisse (RTS) haben in 125 Schweizer Kunstmuseen nachgefragt, welche Künstlerinnen und Künstler sie von 2008 bis 2018 ausgestellt haben. Über 60 Prozent der Institutionen haben geantwortet, und so liegen Ergebnisse für 80 Museen vor (Datengrundlage und Methodik). Die Recherche ergab, dass nur 26 Prozent aller Einzelausstellungen Frauen gewidmet wurden. Bei den Gruppenausstellungen ist das Verhältnis ähnlich, aber etwas besser zugunsten der Frauen.

(Grafik: Angelo Zehr/Swissinfo)
Schaut man sich die Museen genauer an, offenbaren sich grosse Unterschiede. Am meisten Frauen ausgestellt hat das Musée Alexis Forel in Morges im Kanton Waadt. Der dortige Direktor Yvan Schwab sagt, er habe keine Frauenquote oder etwas in diesem Sinne, aber er berücksichtige die Arbeit von Frauen besonders.

(Grafik: Angelo Zehr/Swissinfo)
Bei einigen Museen tut sich etwas in der Schweiz: In den letzten Jahren gab es einige reine Frauenausstellungen. Das Musée des Beaux-Arts in Le Locle im Kanton Neuenburg beispielsweise widmete von Februar bis Mai die Ausstellung «Eine Saison für Künstlerinnen» den Frauen. Während eine Frauenausstellung zwar die Statistik verbessert, lenkt sie die Aufmerksamkeit aber nur für einen Moment und nicht langfristig auf das Thema.

Insgesamt haben nur acht Museen in ihren Einzelausstellungen mehr Frauen als Männer gezeigt – das sind 10 Prozent. Unter den grösseren Institutionen sticht die Kunsthalle Basel heraus: 53 Prozent der Einzelausstellungen stammten von Frauen. Die Kunsthalle Basel stellt ausschliesslich zeitgenössische Kunst aus – der Anteil der weiblichen Künstler ist hier viel grösser als bei moderner Kunst oder bei historischen Positionen.

Kaum Frauen in den grossen Museen

Die grossen Kunstmuseen geben ein klares Bild ab: Die meistbesuchten Museen der Schweiz haben bei den Einzelausstellungen einen Frauenanteil von gerade einmal durchschnittlich 15,1 Prozent. Es liegen uns Daten für sieben der zehn grössten Museen vor, darunter das Kunstmuseum Bern, das Kunsthaus Zürich und die Fondation Beyeler. Die meisten Frauen unter den grössten Museen zeigte das Château de Chillon im Kanton Waadt.

*Das Musée d’art et d’histoire (MAH) in Genf hat vier Ausstellungsorte. Mit dem hier erwähnten MAH ist der Hauptstandort gemeint. (Grafik: Angelo Zehr/Swissinfo)
Beim Kunsthaus Zürich ist man sich des Missverhältnisses bewusst. Mediensprecher Björn Quellenberg sagt: «Unser Museum spiegelt den Kunstkanon der vergangenen 600 Jahre – da gab es eben viel mehr Männer. Bei Ausstellungen zur Gegenwartskunst setzen wir aber auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis.»
In den Einzelausstellungen des Kunsthauses Zürich fallen immer wieder bekannte Namen auf – Pablo Picasso, Ferdinand Hodler, Félix Vallotton. Von weiblichen Künstlerinnen kaum eine Spur. «Wenn man das Publikum fragt, welche Kunst es sehen möchten, hören wir sehr oft die Namen dieser bekannten männlichen Künstler», sagt Björn Quellenberg.
Beim Kunstmuseum Bern steht das Thema Ausgleich beim Geschlechterverhältnis weiter oben auf der Agenda. Nina Zimmer, Direktorin am Kunstmuseum Bern sagt, sie bemühe sich sehr, gleich viele Frauen wie Männer zu zeigen und generell die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden. Zimmer ist erst seit 2016 in Bern tätig, und hat seither viele Frauen ins Programm gebracht.
2019 zeigt sie zwei Künstler einzeln, und sie hat bewusst einen Mann und eine Frau gewählt: Johannes Itten und Miriam Cahn. «Wir kaufen auch bewusst Kunst von Frauen für die Sammlung – wir müssen aufholen», sagt Zimmer.
Denn vor allem die Sammlungen der Museen sind stark männerdominiert. Eine Recherche des «Guardian» ergab, dass in der Tate in London nur 15 Prozent der Sammlung von weiblichen Künstlerinnen stammt.

Kunstakademien schlossen Frauen lange aus

Dass Frauen in der Kunst lange gar nicht oder kaum vorkamen, hat vor allem kulturelle und historische Gründe. Lange war Frauen der Zugang zu den europäischen Kunstakademien verwehrt. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde in Europa die Ausbildung der europäischen Künstler immer professionalisierter. Nicht aber für weibliche Kunstschaffende: Männer durften sich professionell bilden, Frauen konnten das allerhöchstens im privaten Umfeld tun – und auch nur dann, wenn sie es sich leisten konnten.

Als Frauen endlich Kunst studieren durften, waren sie dennoch nicht sichtbar: «Die Frauen wurden in der Kunstkritik ihrer Zeit oft vergessen, weil die Kritiker immer Männer waren», sagt Mara Folini, Direktorin am Museum für Moderne Kunst in Ascona, die sich in ihrer Institution stark für die Sichtbarkeit von Frauen einsetzt. Kein Wunder also, dass das Publikum sich bekannte Namen von Männern wünscht, wenn es nur diese kennt.
Heute sieht es zumindest in der Bildung anders aus: Meistens studieren mehr Frauen Kunst als Männer. An einer der renommiertesten Kunsthochschule des Landes, der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK), haben im Jahr 2018 55 Prozent Frauen studiert. Ähnlich sieht es an den Schweizer Universitäten im Studium der Kunstgeschichte aus. Auch die Schweizer Kuratoren sind häufiger Frauen als Männer, wie die Recherche ergab.

Aufschluss über den Anteil Frauen und Männer im Kunstberuf in der Schweiz gibt das Lexikon Sikart. Insgesamt ist der Katalog, der Schweizer Künstlerinnen und Künstler und jene, die regelmässig in der Schweiz ausstellen, männerdominiert. Der Frauenanteil wird aber über die Jahre grösser. Unter den Kunstschaffenden, die 89 Jahre oder jünger sind, gibt es 38 Prozent Frauen. Von jenen, die 49 Jahre alt oder jünger sind, sind bereits 46 Prozent Frauen.

Wenn ein Museum zeitgenössische Kunst zeigt, hat es also zumindest in der Theorie die Wahl zwischen fast gleich vielen Frauen wie Männern.

Provokation wird bei Männern eher akzeptiert

Warum aber sind diese Frauen nicht sichtbar in Ausstellungen? Wie die Recherche gezeigt hat, sind die Schweizer Museen von Ausgeglichenheit noch weit entfernt. Der Soziologe Olivier Moeschler von der Universität Lausanne vermutet als einen der Gründe: «Kunst muss heute provokativ sein und nicht mehr nur ästhetisch. Bei Männern wird Provokation von der Gesellschaft viel eher akzeptiert, bei Frauen viel weniger.» Die Verantwortung liegt somit also nicht nur im Kunstbetrieb, sondern bei der gesamten Gesellschaft.

Dieser Beitrag ist zuerst auf swissinfo.ch erschienen.


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2 Meinungen

  • am 30.07.2019 um 12:34 Uhr
    Permalink

    Oh glückliche schweiz die keine echten probleme mehr hat! Aber wir könnten ja suchen, irgendwo finden wir sicher noch ein problemchen……

  • am 1.08.2019 um 10:40 Uhr
    Permalink

    Der Artikel zeigt grundsätzlich in die richtige Richtung, lässt aber entscheidendes aus. Dass die meisten grossen Museen heute verpflichtet sind, viel Publikum zu generieren, sollte gerade in dieser Diskussion nicht vergessen werden. Denn wie die Autorinnen argumentieren, scheinen sie schlichtweg keine grosse Ahnung habe, wie der Kunstmarkt beschaffen ist, und es wäre gerade heute falsch anzunehmen, dass Museen nicht dazu zu zählen sind. Zum Markt gehört auch, dass Zeitpunkt und Angebot stimmen sollten. Mit welchen weiblichen Künstlerinnen kann amn heute eine Blockbuster-Ausstellung machen? Da gibt es wenige. Nehmen wir ein Beispiel: Mit Pipilotti Rist kann man in der Schweiz wohl eine gut besuchte Ausstellung machen, aber nicht so wie deren Ausstellung in Syndey, wo die Besucher Schlange gestanden sind.
    Ganz sicher wäre es auch von Vorteil gewesen, wenn die Autorinnen die Luzerner Studie «Frauen und Männer auf der Kunstlaufbahn: ein Forschungsbericht zur sozialen Situation von Abgängerinnen und Abgängern der Kunsthochschule Luzern» gelesen hätten. Es zeigt sich in der Studie, dass der Erfolg im Kunstmarkt nicht genderabhängig ist, sondern ob jemand emotional oder instrumentell handelt. Es unterscheiden sich diejenigen, die Kunst herstellen, atypisch von vielen Vergleichsgruppen. Solches Wissen gehört eben auch dazu, wenn System und Struktur angeklagt werden. Daten alleine sagen nichts aus, ihre Kontextualisierung entscheidet. Darum: Tant de bruit pour une omelette.

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