Kommentar

kontertext: Kunstleben statt Kunstmarkt

Silvia Henke ©

Silvia Henke /  Eine Datenanalyse verspricht die Mechanismen des «freien» Kräftespiels auf dem Kunstmarkt freizulegen. Mit welchen Konsequenzen?

Das Monopol, ein innovatives «Magazin für Kunst und Leben» bittet in seiner neuesten Ausgabe jemanden zum Gespräch, der über Erfolg auf dem Kunstmarkt Auskunft geben kann. Der Ökonom Magnus Resch hat in seiner Doktorarbeit eine halbe Million (!) KünstlerInnen im Hinblick auf ihr Erscheinen auf dem Kunstmarkt über 36 Jahre zurückverfolgt. Ein gigantisches, mit Hilfe von drei Datenwissenschaftlern erarbeitetes Sample zum Galerien- Auktions- und Ausstellungsbetrieb weltweit ist entstanden – wobei sich auch mit diesem riesigen Sample die Kunstwelt in Amerika und England konzentriert: Sie bestimmen den Kunstmarkt. Die Studie «Quantifying reputation and success in art» ist kürzlich im Magazin Science publiziert worden und bestätigt, dass das, was man in schon überschaubaren Feldern beobachtet, sich auch mit grossen Datenvolumina bestätigen lässt: der Erfolg ist extrem ungerecht verteilt, wenige erhalten alles. Dass der Markt nicht demokratisch ist, erstaunt insofern nur den Verfasser der Studie: «Ich war erstaunt, wie undemokratisch der Kunstmarkt ist.»

Networking und Markenbildung

Welche Faktoren entscheiden also darüber, ob jemand kurz auftaucht und nach einer Ausstellung wieder weg ist, und welche darüber, ob jemand wieder und wieder gezeigt und bei Auktionen entsprechend verkauft wird? Für Magnus Resch ist klar: Entscheidend ist nicht Talent oder künstlerische Qualität, sondern einzig und allein das Netzwerk, in das jemand gerät, wenn er von Anfang an in einer Top-Institution gezeigt wird. Damit ist die Marke gemacht und setzt sich dann bald als Label durch, weil er (manchmal, selten, auch sie) in die Netzwerke der entscheidenden Player gerät. Wer in New York oder bei Gagosian in London beginnt, hat schon halb gewonnen. Späteinsteiger und Neuentdeckungen sind absolute Ausnahmen. Man kann diesen Befund der Studie ergänzen mit der Funktion der Vermittlung. Medien, Jurys und auch Kunstwissenschaft greifen auf und validieren, was bereits validiert ist.
Was tun? Es gibt zwei Massnahmen, die der Autor der Studie vorschlägt: einmal staatliche Interventionen zur Umverteilung: zum Beispiel Auszeichnung von Ausstellungshäusern, die mit sogenannten «blind auditions» unbekannte KünstlerInnen mit tiefem Marktrating oder per Lotterie ausstellen. Per Lotterie heisst, wenn man es weiterdenkt, dass Kuratoren auch einem Algorithmus weichen können. Der andere Vorschlag des Kunstökonomen: Da es nicht auf die Kunst und deren Qualität ankomme, muss sich jeder seine Networking-Strategie von Anfang an ausdenken. Kunstmanagement sollte in den Ausbildungsgängen statt Aktzeichnen angeboten werden.
Diese enge Verknüpfung von Kunst und dem weltweiten Markt findet viel Beachtung. Klar denkt man, so geht es und man hat es immer schon geahnt: «The winner takes it all» und Erfolg ist immer ungerecht. Ohne Amerika und Gagosian geht gar nichts. Sogar die Leiterin des Studiengangs «Bildende Kunst» an einer grossen Kunsthochschule postet die Studie ohne weiteren Kommentar. Die Ausrichtung junger Künstler und Künstlerinnen auf die Frage des Erfolgs ist Trend; Ausbildungsgänge sollen so legitimiert werden. Auch das neue Kunstforum international tendiert in eine ähnliche Richtung in seiner Empfehlung an Frauen, die in diesem Kunstmarkt noch immer weit hinter den Männern zurückliegen: Im neuen Feminismus ginge es demnach darum, «gross» zu denken und teure Projekte in Angriff zu nehmen – Landschaftsparks und grosse Spielanlagen etwa. Es mag sein, dass Frauen oft zu klein und zu bescheiden denken. Doch: Die Anpassung der eigenen künstlerischen Entwicklung an diesen engen Kunstmarkt ist verheerend und sinnlos, wenn man sie vom Sinn einer künstlerischen Arbeitsweise abkoppelt. Insofern ist die Studie gerade auch durch ihre quantitativ überwältigende Datenanalyse nicht nur fragwürdig und trostlos, sondern auch gefährlich.

Kritik, die auf den Markt schielt

Zunächst: Man kann quantitative Analysen nicht an die Stelle von qualitativen setzen, sonst kann man das Denken gleich ganz aufgeben. Was die Studie dennoch zu denken gibt: In allen künstlerischen Sparten finden mächtige Konzentrationen statt: Galerien und Verlage gehen ein, Kulturförderungen und Museumsbudgets werden eher gestrichen als aufgestockt und immer mehr setzt sich das Prinzip, dass wenige sich alles teilen, auch in Binnenstrukturen durch. Traurig und besonders ärgerlich ist, dass auch die Kulturkritik in dieser Ökonomie der Aufmerksamkeit mitzieht. Sie ist damit kein Korrektiv zum Markt, sondern arbeitet mit an Labelbildung und Kanonisierungen. So werden zum Beispiel für einen neuen Film, der sich noch formale und inhaltliche Freiheit bewahrt (Thomas Imbach, Glaubenberg) gleich in zwei Leitmedien (TA und az) Kriterien des Marktes angewendet: Logischer Plot und Sozialrealismus werden gefordert. Das heisst mehr oder weniger direkt: Schweizer Filme können nur Erfolg haben, wenn sie die Schweiz mit launiger Vernunft abbilden. Die Liste der zehn besten, sprich erfolgreichsten Schweizer Filme bestätigt dies.
In der Literatur kann man ein ähnliches Zusammengehen von «Kritik» und Markt beobachten. Wenn sogenannte «Erfolgsautoren» ein Buch schreiben, kommen sie in der «Tagesschau, im «Blick» und im Kulturteil der seriösen Tageszeitung. Die Bücher der «Erfolgreichen» werden dadurch nicht interessanter, nur die Frau und der Mann bekannter. Insofern reproduziert jeder Binnenmarkt die gleichen Mechanismen wie der globale und schaltet die unabhängige Funktion der Kritik oft selbst bei jenen aus, die sich ihr eigentlich verpflichtet fühlen müssen.

Selbstorganisation und Lebensqualität

Was also jungen KünstlerInnen raten, wenn sie das Spiel mit dem Markt nicht eingehen wollen?
Der erste Ratschlag lautet: Das Phantasma des grossen Marktes aufgeben zu Gunsten eigener Netzwerke, die auf Selbstorganisation, Interesse und gegenseitiger Wertschätzung beruhen. Das ist keineswegs utopisch, sondern gelebte Realität für die grosse Mehrheit der KünstlerInnen. Die Kunstwissenschaftlerin Rachel Mader hat zu Formen von kollektiver Arbeit und zu neuen Organisationsformen der zeitgenössischen Kunst wichtige Forschungsarbeit geleistet; sie zeigt auf, dass aus dem künstlerischen Arbeiten längst neue Arbeitsformen und Galeriemodelle kommen, die es verdient haben, ernst genommen und unterstützt zu werden. Just am kommenden Mittwoch (28. November) findet dazu eine Diskussion im Kunstmuseum Luzern statt. Natürlich führt dies oft zu Lebensverhältnissen, die mit (zu) wenig Geld auskommen müssen. Umso mehr verdienen diese neuen Off-Off-Szenen Unterstützung, weil aus ihnen auch Existenzweisen kommen, von welchen sich die Gesellschaft etwas abschauen können: Nachhaltigkeit, Solidarität, Improvisationstalent, Kreativität und Gemeinschaft prägen diesen Lebensstil – neben der noch immer stattfindenden Konkurrenz. So hat eine kleine Studie von mir zu AbgängerInnen von Kunsthochschulen gezeigt, dass die Lebenszufriedenheit bei KünstlerInnen mit niedrigem Einkommen noch immer höher ist als bei durchschnittlichen Angestellten im gleichen Alter. Der Grund könnte sein: weil sie etwas können, was über die eigene Markenbildung hinausgeht. Auf keinen Fall darf deshalb das Handwerk und die Fähigkeit zu eigenem Design- oder Kunstdenken zu Gunsten von Kunstmanagement für «creative industries» zurückgestellt werden in Kunstausbildungen. Im Gegenteil: Sie müssten sogar im Lehrplan der Schulen aufgewertet werden.

Resonanz und Sinn

Der zweite Ratschlag muss lauten: Auf Resonanz setzen statt auf Erfolg. Während man Erfolg «haben» kann, ist Resonanz etwas, was sich durch Austausch und Interaktionen ergibt. Der Soziologe Hartmut Rosa umschreibt in seiner Studie Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung die Kraft der Kunst durch ihre ästhetische Resonanzfähigkeit – und meint damit die immer wieder unglaubliche eigene Gesetzmässigkeit eines Werkes, der sich sowohl der oder die Kunstschaffende wie auch die Kunstrezeption gegenübersieht. Resonanz ist somit etwas, das zu einen Echoraum schafft: Es ist das Gegenteil vom markttauglichen und stromlinienförmig Aneinander-vorbei-Produzieren. Wer künstlerische Arbeit ernst nimmt, hält deshalb fest an ihrer konkreten physisch-materiellen und ästhetischen Herausforderung eines immer wieder neuen Sinnzusammenhangs. Resonanz ist somit eine Form der Kommunikation mit dem Werk, aber auch eine Form von Gesprächen mit anderen über Werke, die so spezifisch sind wie die Werke selber. Wer einmal an einem solchen Gespräch teilgenommen hat und Teil dieser Resonanz war, weiss: Es kommt auf jedes Detail an. Das heisst, man muss den Empfehlungen der zu Beginn erwähnten Studie von Magnus Resch heftig widersprechen und sagen: natürlich kommt es auf Qualität an – und mit ihr um die singuläre Verwandlungskraft, die aus einem Bild, einer Installation, einem Film oder einem Buch auf einen zurückkommt. Die Dimension der Resonanz anstelle von Erfolg setzen heisst auch, für die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst, Literatur und Film eintreten. Das können die Kunstschaffenden oft selber nicht. Sie brauchen aber keine eigene Wirtschaft, keine neuen Manager, keine Marktstudien. Sie brauchen Ernsthaftigkeit und professionelle Vermittlung, die den Sinn der Arbeit einschätzen und in die Gesellschaft tragen kann. Und es braucht umgekehrt Formen der gesellschaftlichen Resonanz, die nicht nach dem Markt gehen.
Letztlich geht es um den Erhalt von Formen ästhetischen Denkens, die sich nicht in Kreativworkshops kaufen lassen – bis hin zu einer Ästhetik der Existenz, die manchem Managerleben an Sinnhaftigkeit überlegen ist.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Silvia Henke ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und Publizistin. Sie unterrichtet an der Hochschule Luzern Design & Kunst u.a. Kunst und Politik und visuelle Kultur. Forschungsschwerpunkte sind Kunst & Religion, künstlerisches Denken, transkulturelle Kunstpädagogik. Sie interessiert sich grundsätzlich für die Widersprüche der Gegenwart, wie sie auch in der Medienlandschaft auftauchen, und veröffentlicht regelmässig Texte und Kolumnen in Magazinen und Anthologien.

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

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Eine Meinung zu

  • am 28.11.2018 um 13:23 Uhr
    Permalink

    Herzlichen Dank für diese Ausführungen, welche mir so nah sind. Mit dem Anthropologen Carel van Schaik liesse sich weiter belegen, dass Kunst und Kultur nicht ein ’nice to have› sind, sondern uns als Homo Sapiens eigentlich erst besonders macht. Dieses Besondere an sich ist aber nicht – und war nie! – ein marktfähiges Produkt. Hier liegt der Kunstmarkt falsch. Wir kastrieren uns also als Menschen, wenn wir stets im Raster des finanziellen Erfolges denken, denn Erfolg ist, wie gezeigt, nicht von Qualität abhängig, sondern von dominanten Netzwerken. ‹To think outside the box› ist also angesagt, nicht nur in der Ausbildung, sondern auch in der Vermittlung. Es ist aber so, dass sich dies viele nicht mehr getrauen. So weit sind wir schon! Wir haben zwar viele Parallelwelten unter uns, aber mit deren wohlwollenden Existenz ist das ‹anders gedenken› nicht getan. Die auseinander driftende Gesellschaft hat also Kunst und Kultur für ihren Zusammenhalt nötiger denn je, aber vermutlich ist das gar nicht so gewollt, denn auseinander dividierte Subjekte sind leichter zu beherrschen. Umso mehr wäre also ‹techne› gefragt, dass wir wieder vermehrt die Gesellschaft zu gestalten vermögen als gegenwärtig möglich ist.

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