Kommentar
kontertext: Bilanz nach einem Jahr Trump?
Es ist das Markenzeichen der Talk-Sendung «Club», dass zu wichtigen und aktuellen Themen mit Sachverstand und aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert wird. Analytisch, argumentativ, faktengestützt. Das ist nicht selten ein Vergnügen. Die Vorzeichen für die Sendung in der vergangenen Woche waren gar nicht schlecht. Da sassen mit Borwin Bandelow von der Uni Göttingen ein international renommierter Psychiater und Angstforscher, mit der schweizerisch-amerikanischen Doppelbürgerin Priscilla Imboden die ehemalige USA-Korrespondentin von SRF, mit Claudia Franziska Brühwiler eine Staatswissenschaftlerin von der Wirtschaftskaderschmiede HSG, mit Manfred Elsig der Stellvertretende Direktor des World Trade Institute der Uni Bern in der von Karin Frei moderierten Runde – und dass auch noch ein bekennender Trump-Bewunderer mit von der Partie war, der gleich zu Beginn der Sendung dem US-Präsidenten für seine bisherigen Leistungen eine glatte 5 ausstellte, hätte sich durchaus als Gewinn erweisen können, denn auf seine Argumente konnte man ja gespannt sein (Club: «Ein Jahr nach der Wahl»).
Leider kam es anders, und das hat gewichtige Gründe auf drei unterschiedlichen Ebenen: Inhalt, Verhalten, mediale Präsentation.
Der Winkelried-Vergleich – und andere Seltsamkeiten
Es ist hier nicht möglich, alle inhaltlichen Ausreisser des Trump-Bewunderers aufzulisten, es sind schlicht zu viele. Ein paar Müsterchen müssen genügen. Trumps Narzissmus, so sein Apologet, entfalte eine unglaublich positive Wirkung: Wie Winkelried ziehe er alle Speere auf sich, so dass sein Kabinett in grosser Ruhe arbeiten könne. Hat man je eine brillantere Verkehrung des alteidgenössischen Mythos von der Selbstlosigkeit im Kampf um die Heimat gehört? Vielleicht spürt die geneigte Leserin, der aufmerksame Leser bereits hier, dass es sich bei diesem Trump-Versteher um einen studierten Historiker handeln muss.
«Gerrymandering» ist ein in den USA seit Langem gängiger Trick, Wahlbezirke manipulativ so zuzuschneiden, dass die eigene Partei dadurch bevorzugt wird. Die Republikaner betreiben diese Methode besonders intensiv. In einzelnen Bundestaaten ist diese Manipulationsform inzwischen gesetzlich verboten. Die entsprechenden Argumente von Manfred Elsig kontert der Trump-Gänger mit dem Hinweis, auch bei uns drifteten Stadt und Land ja immer mehr auseinander. Ein eigenständiger soziografischer Selbstläufer soll plötzlich das Gleiche sein wie eine bewusste parteipolitische Manipulation? (Und warum widerspricht niemand in der Runde?)
Sag mir, wo die Rassisten sind
Zur «Black Lives Matter»-Bewegung, die sich dezidiert gegen die Gewalt gegen Schwarze einsetzt, meint unser Amerika-Kenner wörtlich: «Das sind die grössten Rassisten, die herumlaufen in Amerika. Jeden Weissen, jeden Cop soll man töten, sagen die. Das sind Faschisten.» Geht es noch etwas pauschalisierender? Serena Williams, die mehr als 1100 schwarzen Professoren, die sich mit BLM solidarisiert haben, die Hunderttausenden von BLM-Demonstrierenden weltweit, alles Rassisten und Faschisten? Mit Verlaub, das ist eine breite neue Bürgerrechtsbewegung, und klar, da gibt es sicher auch einige radikale Ausreisser. Aber gleich alle in den gleichen Topf schmeissen? Da wird unser Trump-Versteher, der im Studio offensichtlich die Contenance verliert, zum plumpen Trump-Nachahmer.
Als es dann um die wirklichen und selbsterklärten Rassisten und Faschisten in den USA geht, Stichwort: Charlottesville, übt sich unser Rechts-Experte im Nebelkerzenwerfen. Die rechtsextreme Seite sei ja «so klein», kein Mensch käme auf die Idee, in diesem Sumpf zu wühlen, um Stimmen zu gewinnen. Dass Trump genau dies einen ganzen Wahlkampf lang gezielt praktiziert hat und auch als Präsident den tödlichen Hass von Charlottesville bewusst verharmlost, es ist unserem Welterklärer kein Nachdenken wert. Wie gross und wie medial gut vernetzt die Rechtsaussen-Szene in den USA in Wirklichkeit ist, beweist unter anderem auch eine kürzliche Harvard-Studie, die in der NZZ vom 11.11.2017 kommentiert wurde: «Kult, Kommerz und Kampagne». Die Studie nennt 120 meist im Internet anzutreffende Medienportale, von denen einzelne bis zu 160 Millionen Besuche pro Monat generieren.
Den Rechtsextremismus zu verharmlosen und sich gleichzeitig als Sammelbecken für Unzufriedenheiten aller Art anzubieten, das ist natürlich keineswegs eine Trump-Erfindung. Die grösste Partei der Schweiz – und die ihr zugewandte Publizistik – funktioniert schon lange nach diesem Prinzip.
Wo bleibt das Komische?
Unser Trump-Kenner hat aber auch Lustiges zu bieten. Der Egomane, Dauer-Twitterer und Frauenbegrapscher in der Rolle des US-Präsidenten beschädige das Ansehen des hohen Amtes? Weit gefehlt. Unser Gewährsmann findet es ausgesprochen gut, dass Trump «das Royale dieses Amtes» etwas abbaue. Haben wir uns verhört? Es kann ja nicht sein, dass das ganze trivial-monarchische Gehabe, die in lauter Gold, Glanz und Gloria versinkende Einrichtungsmanie seiner Luxustempel, die erklärtermassen auf göttlicher Sendung beruhende Mission dieses Vulgärfürsten unserem Polit-Experten entgangen sind. Es ist ein nicht selten zu beobachtendes Phänomen, das manch ein Fan mit dem von ihm verehrten Helden teilt: Realitätsverlust.
Auch eher ins komische Fach gehört die Begeisterung, in die unser Sportsexperte angesichts von Trumps Aufreger über die aus Protest knienden Football-Spieler in den USA gerät. Er findet es genial und «sagenhaft, wie er gemerkt hat, dass das Publikum sich darüber ärgert, dass die Spieler bei der Nationalhymne knien statt stehen. Das hat er aufgegriffen und damit total gewonnen!» Wann haben wir je ein so herzhaftes Bekenntnis zu reiner Symbolpolitik und zur Ablenkung von den wirklich wichtigen politischen Problemen, die es zu lösen gälte, gehört? Die Schweizer Grosspartei lässt wieder grüssen.
Im Gegensatz zu den übrigen Experten, die unaufgeregt viel Erhellendes zum Thema beitragen, wirkt unser fünfter Mann wie ein Flipperkasten, der auf Reizwörter nur Superlative und Verallgemeinerungen ausspucken kann. Wie steht’s mit den weltweiten Institutionen, zum Beispiel der Unesco (aus der Trump ausgetreten ist)? «Das ist eines der einseitigsten Gremien, die es überhaupt gibt. Die haben nichts anderes gemacht, als die ganze Zeit Israel zu bekämpfen.» Man versteht gut, dass die Übrigen in der Runde keine Lust haben, auf diesem Brachial-Niveau zu diskutieren.
Wie steht man zu Trumps erratischem Verhalten in Konfliktzonen, zum Beispiel im Kontext Nordkorea? «Ich finde diese Unberechenbarkeit von Trump sehr gut. Es ist das Beste, das man einem Diktator entgegenstellen kann. Trump ist ein Querulant. Das ist auch seine Stärke, die sehr viel Gutes bewirken kann.» Nun ja, da kippt das Komische schon mehr ins Gruselige.
Alles nur Stilfragen?
Wir haben noch eine zweite Beobachtungsebene versprochen: das Verhalten als Diskussionsteilnehmer. Der «Club» hat es ja bisher recht gut verstanden, sich in der Anlage und im Diskursniveau abzugrenzen von der «Arena». Hier soll es eben nicht um einen Schlagabtausch, ums reine rhetorische Punkten gehen, sondern um den Austausch von Argumenten aus verschiedenen Perspektiven. Es geht nicht ums Siegen, sondern ums Nachdenken. «Club»-Tauglichkeit ist deshalb etwas anderes als «Arena»-Tauglichkeit. Ist jemand «Club»-tauglich, der – als Einziger – den anderen zwanzigfach ins Wort fällt? Der die Moderatorin übertönen will? Der mit erhobenem Zeigefinger die Diskutanten und ihre Voten dutzendfach zensiert? Hier ein gönnerhaftes «Sie haben recht», da ein schneidendes «Sie haben nicht recht» und dort ein zurechtweisendes «Das ist ja eine völlig absurde Übertreibung!». Warum spielt da einer den Oberlehrer, der selber nicht zur Differenzierung fähig ist?
Ist jemand «Club»-tauglich, der seine eigene politische Agenda immer und überall wie eine Monstranz vor sich herträgt? Es geht hier um die USA, ein aussenpolitisches Thema mit weltweiter Ausstrahlung. Unser Trump-Freund nutzt aber jede Möglichkeit, das Gespräch auch auf sein innenpolitisches Kampffeld zu ziehen (Deregulierung! Bürokratie! Rot-grüne Städte!). Ist einer «Club»-tauglich, der immer wieder Behauptungen in den Raum stellt, die sich als faktenfrei erweisen und von den anderen, die über echte Expertise verfügen, richtiggestellt werden müssen? Wäre die Diskussionszeit nicht für Sinnvolleres zu nutzen?
Wie nützlich ist ein Diskutant, der ständig fuchtelt und feixt und seltsam hämisch grinst, seine Voten mit geballter Faust in die Runde trommelt, mit dem Eifer eines Predigers, nicht eines Nachdenkers? Braucht es einen, der sich immer wieder kokett («Soll ich jetzt etwas sagen?») und mit pausbäckiger Selbstgefälligkeit («Ich bin natürlich mit allem hier nicht einverstanden!») in Szene setzt? Der «Club» wäre gut beraten, solch eitle Töter eines echten Diskurses aussen vor zu lassen.
Wer kommt zu Wort? Wer kommt ins Bild?
Aber das ist fürs Schweizer Fernsehen wahrscheinlich gar keine Option, denn eine solche Personenwahl hat offenbar System. Dieser Diskurs-Töter wurde im Internet-Auftritt – entgegen der Alphabet- oder Kompetenz-Logik – als Erster genannt. Er bekam in der Diskussion auch als Erster das Wort und konnte gleich seine Trump-Duftmarken setzen. Und, es wird Sie nicht überraschen, er bekam in der Sendung auch 50 % mehr Redezeit als der Zweitplatzierte.
Nicht genug damit. Die Kameraregie nahm diesen Selbstdarsteller und inhaltlichen Schwachpunkt der Diskussionsrunde gleich vier Mal (!) mehr ins Bild, wenn er gar nicht am Reden war, als die andern. Wie ist eine solch eklatante Asymmetrie zu erklären?
Die eine Erklärung ist eine innermediale. TV-Kameras fokussieren, fast wie nach dem pawlowschem Reflex, auf Bewegung, auf Action, erst recht in einem bewegungsarmen Kontext mit nichts als Talking Heads. Unser Trump-Freund kasperte in der Sendung am meisten herum, schüttelte besserwisserisch den Kopf, verdrehte die Augen, grinste, schmollte, kicherte, kurz, er lieferte Kamerafutter. Auch wenn sich das Verhältnis von Getue und Gehalt als umgekehrt proportional erwies. Die Moderatorin Karin Frei konnte einem leidtun. Sie wirkte wie eine Lehrerin, die ihren Klassenflegel in Zaum und gleichzeitig bei Laune halten muss. Ach, wie hat das der Flegel genossen!
Freie Fahrt für plumpe Populisten
Die andere Erklärung ist eine politische. Die SRG liegt im «No Billag»-Fieber. Noch mehr als sonst schon biedert sie sich bei den Rechtskonservativen an. Ausgewogenheit, liberale Grundhaltung, professionelle Distanz, inhaltliche Kompetenz, das war früher. Jetzt will man auch den Populisten gefallen, die für Elefanten im Porzellanladen schwärmen. Und falls das nicht stimmen sollte, dann nenne man mir bitte einen Grund, warum man in diesen «Club» einen derart undifferenzierten Ideologen eingeladen hat, dem bezüglich Amerika-Expertise alle übrigen Diskutanten so haushoch überlegen waren, dass es nur ihm selber nicht peinlich war.
Sie wollen wirklich noch wissen, wer dieser so unbedarfte wie grossspurige Klassenflegel war? Er outete sich vor sieben Jahren selber als «Statthalter Blochers», als er aus der «Weltwoche» heraus zum Schriftleiter der «Basler Zeitung» befördert wurde. Inzwischen ist er zu einem Drittel auch Verleger dieses Kampfblattes. Und das Schweizer Fernsehen bietet ihm offenbar gerne weitere Plattformen zur Verbreitung seiner dünnen Botschaften. Sein Name: Markus Somm.
Mindestens den Abspann dieser jüngsten «Club»-Sendung sollten Sie sich vielleicht noch anschauen. Der Ton ist schon weg, Somm kaspert wieder herum, hüpft wie ein Kobold fast rüber auf den Platz von Karin Frei, schnellt zurück, schlägt sich auf die Schenkel, wiehert vor Vergnügen. Imitiert er jetzt Donald Trump? Oder parodiert er sich selber? Wir wissen es nicht. Das Schönste an solchen Sendungen sind doch diese stummen Rätsel.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Alfred Schlienger, Theater- und Filmkritiker, u.a. für die NZZ; ehem. Prof. für Literatur, Philosophie und Medien an der Pädagogischen Hochschule; Mitbegründer der Bürgerplattform RettetBasel!; lebt in Basel.
- Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.
Die Meinung von Martin Somm teile ich sehr selten, aber was Alfred Schlienger hier verlangt, ist tief undemokratisch: er möchte schlicht und einfach das Auftreten von ihm nicht genehmen Akteuren verhindern. Dafür ist er sich nicht zu schade, ganz tief in die rhetorische Kiste zu greifen und Somm auch äusserlich (Gestik, Motorik) zu diskreditieren. Das ist ein gefährlicher Weg, auf dem unsere Nachbarn im Norden schon einiges weiter sind: nur schon öffentlicher Widerspruch gegen die herrschende staatliche Doktrin bringt nicht mehr nur den medialen Tod, Ausgrenzung und den Hass der «Progressiven» und der selbsternannten «Gutmenschen» ein, die nach eigener Einschätzung ja gar nicht falsch liegen können, nein, heute sind bereits Gesetze in Kraft, die solches unterbinden (Migration, Gender etc.); Deutschland ist wieder so weit, dass Menschen gewaltsam daran gehindert werden, ihre Meinung auszudrücken. Wozu denn zuhören? Und wir? Wer sich die Zustände an unseren Universitäten anschaut, wo wie an der PH Bern Student/innen angehalten werden, entgegen den vom Duden festgelegten Regeln «genderkorrekt» zu formulieren (Das Mädchen hat einen Hund = es ist ihr Hund, nicht «sein» – das wird verlangt), oder erfahren muss, wie in Vorlesungen und Seminaren an der Uni ZH Leute am Sprechen gehindert werden, Dozent/innen ihre Ideologie vor wissenschaftlichen Erkenntnissen stellen und die Student/innen unter Druck setzen, ja richtiggehend nötigen, kommt nicht umhin, sich ernsthaft Sorgen zu machen.
Rassismus ist die eine Seite, wachsende Kriegsgefahr die andere Seite.
siehe auch
"Kriegsgefahr. „Die Trump-Revolution marschiert“"
http://www.nachdenkseiten.de/?p=40519
@Moretto: Ich lese den Artikel anders. Der Autor betont ja bereits im ersten Abschnitt, dass in einer solchen Sendung prinzipiell nichts gegen die Teilnahme eines Trump-Bewunderers spricht – soweit er rational nachvollziehbar argumentiert. Dass dies bei Markus (nicht Martin!) Somm nicht der Fall ist, wird bestätigen können, wer die Sendung selber gesehen hat. Und: Verhaltensweisen in einem Gespräch sind durchaus keine Äusserlichkeiten. Sie bestimmen Verlauf und Ertrag einer Diskussion ganz zentral. Somm verstösst mit seinem unmöglichen Verhalten wiederholt gegen die grundlegendsten Standards für ein konstruktives Gespräch. Klar, TV-Talks sind keine Knigge-Schule, aber manchmal wünschte man sich, eine Gesprächsleitung verfügte über gelbe und rote Karten wie der Schiedsrichter im Fussball, damit zumindest die primitivsten Regeln eingehalten würden. Ein öffentlich-rechtlicher Sender hat eine erhöhte Verantwortung bezüglich der Auswahl der Diskussionsteilnehmer und der Aufrechterhaltung einer Gesprächskultur.
Ausgewogenheit à la SF: 4:1. Und dem Autor ist auch noch der 1 zu viel. 4:1 ist nahe bei 5:0. Dann bräuchte es die SRG definitiv nicht mehr.