Kommentar
kontertext: Als gäb’s kein Morgen. Eine Ausstellung als Essay
Das kleine Rehmann-Museum in Laufenburg ist noch immer ein Geheimtipp. Zur Zeit sind unter dem Titel «Als gäb’s kein Morgen» erstmals Holzskulpturen und Installationen von Anna Schmid zu sehen – sie sind eine Entdeckung. Es ist, als ob die Skulpturen nur zufällig im Museum Halt machten, elegant und doch verloren zwischen verschiedenen Welten. Der von Anna Schmid dazu gewählte Titel ist vieldeutig und eindeutig zugleich: Kein Morgen, das verspricht auch eine Feier der Gegenwart. Die Dinge bei Anna Schmid sind aber nicht feierlich: Sie markieren eine Gegenwart auf der Kippe. Damit lässt sich die ganze Ausstellung als Essay über die Zukunft lesen – und gehört in die Reihe zum Essay bei kontertext.
Als ob
Anna Schmid nennt ihre Ausstellung nicht Essay, das ist im Kunstkontext unüblich. Doch beginnt das «spielerische Nachdenken» des Essays (vgl. Mettler) schon mit dem Titel: Wer «als ob» sagt, meint nämlich Versuch und Irrtum: Was wäre, wenn es kein Morgen gäbe? Diese Frage, die Umweltwissenschaften, Politik und Gesellschaft umtreibt, stellt Anna Schmid zuerst im Raum und im Material der Kunst, das aus verblüffend arrangierten Fundstücken aus billigem Industriematerial, aus Bronze, aus fein gesäuberten Knochen, Gips, aber vor allem aus ihrem wichtigsten Werkstoff Holz besteht.
Die Titel ihrer enigmatischen Holzskulpturen entsprechen den jeweiligen Formen: Wellenräder, Himmelsruder, Pilzblume, Babylon, unser Haus, letzte Stadt. Sie verweisen also auf disparate Sphären, auf Organisches, Mechanisches, Pflanzliches, Tierisches und Menschliches. Ihre verblüffend filigrane und elegante Erscheinung auf dem schwarzen Boden des Museums lässt offen, ob es sich um Ruinen der Vergangenheit, Ergebnisse einer langsamen Transformation oder Restbestände von Natur und Zivilisation in einer postapokalyptischen Landschaft handelt. Einsam und schön, den Zeiten, Herkünften und Bestimmungen entzogen, stehen sie als Komposition und auch als je einzelne auf der Kippe. Weil wir uns in der Ausstellung im Jetzt befinden, können wir nicht anders, als diesen Kipppunkt auf die Gegenwart zu beziehen. Eine Gegenwart, welche die Zukunft imaginiert: Die Gruppe der Installationen aus Stühlen, Schuhen, Schirmgestänge und anderen Objekten heisst entsprechend «Nachsaison». Dazu sagt Anna Schmid: «Nachsaison entsteht aus meiner Vision, wie es auf der Welt aussehen könnte, wenn die Natur die Menschen überwunden haben wird. Lärm und künstliche Farben werden verschwunden sein. Objekte unserer Zivilisation werden übrigbleiben – Dinge werden in ihrer Zweckbefreiung und Verlassenheit eine eigene, ungestörte und verlangsamte Schönheit entwickeln.»
Undurchschaubare Gegenwart
Mit dem Futurum exaktum «werden verschwunden sein» ist ein Fait accompli formuliert, das als Melancholie der letzten Dinge über dem Ausstellungsraum liegt. Wenn die Arbeiten am Abend ausgeleuchtet werden, wird der Raum temporär zur Bühne, die Figuren leuchten und werfen wunderbare Schatten, bevor sie wieder für sich sind. Die ganze Aufmerksamkeit fällt auf das sorgfältig bearbeitete und ausgelegte Material dieser letzten Dinge. Die planetare Beunruhigung, die aus den Installationen und den Skulpturen spricht, ist weder plakativ noch explizit. Anna Schmid macht keine Klimakunst, nicht Bilder von Katastrophen und Müllbergen, wie wir sie auch kennen in der zeitgenössischen Kunst. Ihre Beziehung zur Ökologie wird leise und indirekt lesbar in einer ästhetischen Komposition, welche die Zeiten verschlingt und undurchschaubar macht.
Dabei kommt die Denkbewegung des Essayistischen als Komposition zum Zuge. Denn Kom-Positionen sind konkret, materiell, ästhetisch und diskursiv. Der verstorbene Umweltphilosoph Bruno Latour sieht im Prinzip der Komposition eine Möglichkeit, sich vom Wachstumsgedanken zu verabschieden und im Zeitalter des Auf-der Erde-Ankommens zu verorten. Auf einem Planeten, der sich nicht mehr in Natur, Umwelt und Technologie aufteilen lässt und der strikt ökologisch gedacht werden muss. Nur wenn wir es schaffen, uns mit allem Irdischen neu in Beziehung zu setzen, nur wenn wir die Frage der Korrelation aller Lebewesen und Dinge in ihrer Bedeutung für uns erkennen, so Latour, werden wir sagen können: Wir sind auf der Erde angekommen.
In diesem Licht ist die Arbeit von Anna Schmid auch ökologisch und politisch lesbar:
Die Skulpturen mögen noch so schön, lakonisch und formal perfekt sein, sie sind absolut fragwürdige Gebilde aus Menschlichem und Nicht-Menschlichem, Natürlichem und Technischem, Prähistorischem und Zukünftigem. Anna Schmids Arbeiten mögen hier und da dem Surrealen verpflichtet sein, aber was heisst das schon, wenn Wirklichkeit kaum mehr zu fassen ist? Angesichts dieser Unfassbarkeit sind sie Ergebnis eines essayistischen Denkens, in welchem Material und Gestalt miteinander auf einen Kipppunkt gebracht werden und die Form uns Fragen stellt: Die Menschen sind abwesend, der Sonnenschutz fehlt, die Saison ist vorbei – aber kommt sie jemals wieder? Was ist los mit dem Planeten?
Kinderschuhe, ein Skelett und sterbende Pferde
Veranschaulicht wird die Frage des Aussterbens seit jeher am deutlichsten durch das Skelett, die erst nach dem Tod freigelegte Grundstruktur des Körpers. Ein solches Skelett, monumental und aus den Plastikstühlen des Museums geformt, liegt in der Schedhalle im oberen Stock des Gebäudes. Als Gegenstück zu ihm steht eine Parade von bunten Kinderschuhen auf der Verbindungstreppe, Schuhe in verschiedenen Grössen, die auf ihre Besitzer:innen warten – oder eben hinterlassen wurden. Allein mit dieser Komposition tritt das Essayistische zu Tage, ein Zusammenschluss von Zeiten und Funktionen, eine Gleichzeitigkeit von Leben und Tod, in welcher sich die Frage nach dem Sterben oder Gestorbensein in einer flüchtigen Leichtigkeit und gleichzeitig in existentieller Schwere stellt: Wo sind die Ausgestorbenen? Und wo die Kinder? Sind nicht jene, die das Leben noch vor sich haben, der grosse Widerspruch zum frivolen Titel der Ausstellung? Hierzu nochmals Bruno Latour, der in seinem Memorandum zum Verhältnis der Generationen aus der Perspektive der sogenannten Klimajugend schreibt: «Von der Zukunft zu leben hat zur Konsequenz, die Lösung gegenwärtiger Probleme den nachfolgenden Generationen aufzubürden. Daraus erklärt sich der Eindruck, man sei von den Alten verraten worden und finde sich im buchstäblichen Sinn ohne Zukunft wieder. Die Zukunft ist im Voraus verschlungen worden.»
Auf der Kippe stehen, wie es die Ausstellung von Anna Schmid inhaltlich und formal vorführt, bedeutet demnach auch, am Nexus zwischen den Generationen zu rütteln.
Zwischen den verlassenen Kinderschuhen und dem Plastik-Skelett sind sechzig kleine weisse Gipsreliefs mit Pferden zu entdecken. Man assoziiert prähistorische Höhlenmalereien, in welchen die Pferde einmal verewigt wurden in Zeichnungen, die eine Jahrtausende alte Verehrungs- und Liebesgeschichte zwischen Pferden und Menschen erzählen.
Doch die Pferde von Anna Schmid sind das Flüchtigste und Magerste in der Ausstellung überhaupt: Auf Striche reduziert, schnell von Hand mit Gipsbandagen modelliert, erscheinen sie wie ein Totentanz der letzten Kreaturen: krank, gebeugt, fliehend, moribund, stürzend, verletzlich, sterbend. Vieles scheint zu Ende zu kommen in Anna Schmids künstlerischem Universum. Und steht doch nochmals zur Disposition für ein seltsames Gefühl, nämlich, wie die Dinge einmal gewesen sein könnten. Wie die im Garten zur Tribüne formierten und leicht in den Rasen versinkenden Plastikstühle, die bereit wären für ein Spektakel, erwartungsvoll dem Rehmann-Museum zugewandt. Aber wer wird hier jemals etwas sehen – und was? Die Ausstellung lohnt einen Besuch in Laufenburg.
Gespräch mit der Künstlerin
Am 21. April findet anlässlich des Erscheinens des Katalogs zur Ausstellung ein Gespräch mit der Künstlerin statt: ALS GÄB’S KEIN MORGEN – ANNA SCHMID, Hrsg. Stiftung Erwin Rehmann, Laufenburg.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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