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Andreas Thiel tritt auf: ein Glas Champagner in der Hand und Provokationen im Mund. © SRF (Giacobbo/Müller)

«Ein anständiger Mensch wird nicht Politiker»

Urs Zurlinden /  Der Kabarettist Andreas Thiel (41) lässt niemanden kalt. Man liebt ihn, und man hasst ihn. Er selber sieht sich als Anarchist.

Herr Thiel, fallen Sie gerne auf?
Andreas Thiel: Das mag sein. Als Teenager trug ich Cowboy-Boots, und ich bin immer zu spät zur Schule gekommen. Wenn man das Klassenzimmer betritt, nachdem der Unterricht schon angefangen hat, ist das, als würde man eine Bühne betreten, und das Publikum ist schon da. Und die Absätze meiner Boots machten in den leeren Gängen jeweils tak, tak, tak, so dass man schon von weit her hören konnte: Jetzt betritt dann gleich der Thiel die Bühne. Das Auffallen ist ein Teil meines Lebens.
Ihre Frisur ist nicht zu übersehen. Wie lange braucht die Coiffeuse dafür?
Eine Dreiviertelstunde.
Lässt sich der Kamm wegklammern zum Schlafen?
Ich habe ihn jetzt seit rund drei Monaten – und diese Frage wird mir etwa fünf Mal am Tag gestellt….
Was sagt Ihre Frau dazu?
Sie ist begeistert.
Wie sind die Reaktionen von Passanten auf der Strasse?
Grossartig, nur smile, smile, smile! Vom kleinen Kind über den Banker bis zur alten Dame im Pelzmantel und zu den Junkies schauen alle hin und smilen.
Es gibt sicher auch Leute, die Ihre Punkfrisur schrecklich finden.
Na und? Ich muss mir ja auch all die grauen Scheitelfrisuren der anderen anschauen. Denken Sie, das sei lustig?
Wie kamen Sie darauf, sich zum Pink Punker zu verwandeln?
Pure Lebensfreude.
Schon als 17-Jähriger trugen Sie einen Irokesenkamm. War das ein spätpubertärer Protest?
Ich hatte schon immer einen Hang zum Nonkonformismus. Mit 17 hatte ich einen Coiffeurlehrling als Freund, der mir gratis die Haare schnitt. Dafür sagte ich ihm, er könne machen, was er wolle. Da hat er mir einen Irokesenkamm gemacht mit einem seitlich einrasierten Schachbrettmuster.
Was halten Sie von den heute 17-Jährigen?
Es erschreckt mich, wie normal die sind.
Auf der Bühne tragen Sie einen rosaroten Anzug mit passender Krawatte und trinken Champagner. Suchen Sie bewusst den Kontrast?
Die Zuckerwattefarben sind ein Kontrast zur schwarzen Satire.
Was ist für Sie Satire?
Satire ist, über das Böse zu lachen, anstatt sich zu ärgern.
Gibt es eine spezifisch schweizerische Satire?
Da die Satire politisch ist, ist sie per se sehr helvetisch. Wenige Völker sind in diesem Ausmass politisiert, wie wir es sind.
Kurt Tucholsky vertrat die These: «Was darf Satire? Alles!» Gibt es keine Grenzen?
Mit Worten darf man alles. Selbstverständlich darf der Satiriker nicht Politiker erwürgen oder das Bundeshaus in die Luft sprengen. Aber darüber schreiben und reden darf er. Das Gesetz setzt gewisse Einschränkungen, und wenn jemand Lust hat, kann er ja wegen Verleumdung oder Ehrverletzung klagen.
Wurden Sie noch nie eingeklagt?
Nein. Es ist auch schwierig, mich einzuklagen, da ich ja nur die Wahrheit sage.
In Ihrem aktuellen Programm reden Sie in einem Satz über Tierversuche im Labor und medizinische Experimente an Juden in Auschwitz. Was ist daran zum Lachen?
Nichts – das ist zum leer Schlucken.
Worin besteht die Kunst des schwarzen Humors?
Die Kunst besteht darin, das Publikum aufs Glatteis zu führen, ohne dass es einbricht.
Gibt es ein Rezept für die gute Pointe?
Ein Rezept gibt es nicht. Aber es gilt: Keine hässlichen Worte wählen, nicht unter die Gürtellinie hauen, keine Blasphemie, nicht lügen.
Ihr aktuelles Programm trägt den Titel «Macht». Was ist denn so übel an der Macht?
Macht heisst: über andere bestimmen, die Freiheit anderer einschränken. Das ist übel, das ist böse.
Sind alle Machthaber a priori schlechte Menschen?
Auf dieser Welt schon. Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber diese Ausnahmen sind eher bei einem König Salomon in der Bibel zu suchen als bei einem unserer Bundesräte. Macht korrumpiert. Wer Macht hat, missbraucht sie – in der Diktatur um sich zu bereichern – in der Demokratie um seine eigenen Ansichten durchzusetzen. Deswegen hat Gandhi ihm angetragene politische Ämter abgelehnt. Auch der Dalai Lama gehört zu den wenigen Ausnahmen. Wenn hingegen eine Bundesrätin meint, ein mehrheitsfähiger Irrtum sei eine politische Vision, dann wird sie ihre Macht dazu missbrauchen, anderen diesen Irrtum aufzuzwingen. Machtmissbrauch entspringt nicht nur schlechtem Vorsatz. Selbstüberschätzung reicht auch schon.
Sie bezeichnen sich als Anarchisten und behaupten, ein Leben ohne Gesetze wäre besser. Das klingt nach «Love, Peace and Happiness» der Hippies?
Das ist der Kontrast zur Überregulierung. Wir könnten alle Gesetze abschaffen und neu beginnen. Die zehn Gebote genügen als Grundlage.
Wie werden Sie bei der Abzocker-Intitiative abstimmen?
Ich bin sowohl gegen die Initiative wie auch gegen den Gegenvorschlag. Jedes zusätzliche Gesetz ist ein Gesetz zu viel.
Also dürfen die Abzocker weiter machen wie bisher?
Die Abzockerei beginnt für mich bei 40 Franken Parkbusse. Vasella hingegen hat mir noch nie etwas weggenommen. Die Abzocker sitzen im Staat. Niemand zwingt mich, UBS-Aktien oder Novartis-Produkte zu kaufen. Der Staat hingegen bedient sich hemmungslos in den Taschen der Bürger.
Gibt es überhaupt einen Schweizer Politiker, den Sie gut finden?
Wer in die Politik geht, muss grundsätzlich ein komischer Mensch sein. Das Parlament ist eine einzige Schmierenkomödie. Ein anständiger Mensch wird nicht Politiker.
Welche Schweiz stellt sich der Satiriker vor?
Eine Schweiz ohne Politessen. Wenn ich einmal zu viel Zeit habe, lanciere ich eine Volksinitiative, die in der Verfassung festschreibt: Mit jedem neuen Gesetz müssen zwei alte gestrichen werden. Dies so lange, bis wir wieder bei den zehn Geboten sind. Ferner gäbe es in der idealen Schweiz keine Berufspolitiker. Und: Wer mehr vom Staat erhält, als er via Steuern einzahlt, hat kein Stimmrecht. Schliesslich: Wer beim Staat angestellt ist, kann nicht gewählt werden.
Geht Ihnen nie der Stoff aus?
Solange es Menschen gibt, gibt es Stoff für den Satiriker. Das ist wie beim Coiffeur.

———

Andreas Thiel wurde in Bern geboren, absolvierte eine Lehre als Bauzeichner und besuchte die Schauspielschule. 1995 machte er seinen Abschluss an der Desmond Jones School of Mime and Physical Theatre in London. Sein erstes Programm führte er 1997 auf, seither trat er auch ausserhalb des deutschen Sprachraums auf und gewann Auszeichnungen wie den «Salzburger Stier», den «Schweizer Kleinkunstpreis» und den «Prix Walo». Er schreibt Kolumnen in der «Berner Zeitung», im «Nebelspalter» und in der «Weltwoche». Thiel ist verheiratet und lebt zur Zeit in Indien.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine. Das Interview mit Andreas Thiel erschien zuerst in der "Südostschweiz am Sonntag".

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3 Meinungen

  • am 22.01.2013 um 13:53 Uhr
    Permalink

    Dem Tea-Party-Anarchist fehlt nur noch der Colt! Oder hat er noch nicht bemerkt, dass die Welt seit den Zeiten des Wilden Westens komplizierter geworden ist?

  • am 18.02.2013 um 02:58 Uhr
    Permalink

    Dass Menschen, die mehr vom Staat erhalten, als sie Steuern zahlen, kein Stimmrecht haben sollen, ist ja wohl das Letzte.
    Diese reaktionäre Furzidee träfe z.B. junge Familien mit einer verdienenden Person und einem Lohn von 4000.-/Monat. Völlig zu Recht erhält sie die ganzen Krankenkassenprämien bezahlt, womit sie nach Thiel schon vom demokratischen Prozess ausgeschlossen würde.
    Vielleicht will der Mann ja auch nur provozieren – Provokation um der Provokation willen aber langweilt.

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