Dürrenmatt und sein schönes Schriftdeutsch
Wir waren zufällig ins Gasthaus «Zum Kantonsschild» in Gempenach (BE) gekommen. Und merkten bald, dass es für unser Budget als Studenten wohl obere Limite sein könnte. Was soll ‘s: Wir bestellten Fisch, Pommes Alumettes und grünen Salat. Dazu einen Halben weissen Neuenburger. Und dann hörten wir plötzlich diese kehlige Stimme.
Was der Mann mit seinen BegleiterInnen drei Tische weiter hinten in der Gaststube diskutierte, konnten wir nicht genau hören. Aber doch, dass er in diesem typischen Schweizer Schriftdeutsch sprach, das wir alle von der ersten Klasse an in der Volksschule reden, lesen und schreiben gelernt hatten – manche spielerisch schon vorher. Und dann sagte Annemarie plötzlich: «Das ist doch der Dürrenmatt.» Er war es. Wir dachten uns damals in diesen beginnenden Siebzigerjahren nichts Besonderes dabei. Freuten uns über den feinen Fisch – und als wir zahlten, war Dürrenmatt schon weg.
Mundart, Schriftdeutsch, Bühnendeutsch
Seine Sprache jedoch blieb uns in Erinnerung. Friederich Dürrenmatt, der weltbekannte und wohl bis heute prominenteste Schriftsteller deutscher Sprache aus der Schweiz, sprach stets ein «Schriftdeutsch» mit deutlich hörbarem Berner Zungenschlag: Es ist dies unsere zweite Sprache in der Deutschschweiz nach unseren Muttersprachen – den Mundarten von Bärn- über Züri- bis zum Walliser-Dütsch. «Schriftdeutsch» liegt hierzulande zwischen den Dialekten und der geschliffenen Hochsprache, dem Bühnendeutsch.
Dieses Bühnen- oder Hochdeutsch sprach der weltweit gefeierte Dramatiker, der von sich selber sagte, er sei «ein begeisterter Kleinstaatler», nie. Wie Dürrenmatts Deutsch tönte, zeigt sich etwa in seiner legendären «Gefängnis-Rede» für Vaclav Havel von Ende November 1990.
Noch schöner tönt es in einem Interview zum Thema «Wie entsteht ein Drama?» in dem der Journalist (rechts) Bühnendeutsch spricht – und Dürrenmatt (links mit Brissago) sein selbstbewusstes, breites Schweizer Schriftdeutsch.
Anbiederungen ans Bühnendeutsch auf SRF2 Kultur
Dürrenmatt hat sich dessen nie geschämt. Er wollte sich nie den Schauspielern anbiedern, die er in Basel durch seine weltberühmten Dramen dirigieren half. Wieso auch: Jede des Deutschen mächtige Person versteht dieses Schweizer Schriftdeutsch bestens, durch das oft auch noch der Dialekt etwas durchschimmert – was aber nur für Schweizer Ohren bemerkbar ist. Im National- und im Ständerat in Bern wird dieses kantonal eingefärbte Schriftdeutsch noch gepflegt. Eine Ausnahmen bildete (vorübergehend) nur der Walliser SVP-Mann Oskar Freysinger, der stets in höchstem Hochdeutsch vom Rednerpult herab in den Saal hinaus schnarrte – oder noch früher die bühnendeutsch geschulte Fernseh- und Landesringfrau Verena Grendelmeier.
Auf allen SRF-Kanälen greift nun seit längerem schon dieses geschliffene bis affektierte Bühnen-Hochdeutsch um sich. Was mitunter peinlich tönt, weil die so Parlierenden etwa über das Ch stolpern: Sie meinen nur in der Schweiz werde es rau ausgesprochen. Dürrenmatt hingegen konnte gut zwischen «ich» und «auch» unterscheiden.
In den SRF-Studios wird nun behauptet, nur Bühnendeutsch sei «korrektes Deutsch». Was Unfug ist: Auch in Deutschland selbst, wird längst nicht nur dieses «höchste Hochdeutsch» gesprochen. Sondern etwa in Bayern oder im Schwabenland ein Deutsch, das nicht selten eher schwerer verständlich ist, als unser Schweizer Schriftdeutsch. Als Kostprobe dazu die Komödiantin Monika Gruber beim Fleischeinkauf vor Weihnachten:
Die Tendenz zu anbiederndem Bühnendeutsch grassiert besonders auf Radio SRF 2 «Kultur» in Basel: Da befragen deutsche Moderatorinnen in geschliffenster Sprache häufig deutsche ExpertenInnen, die uns SchweizerInnen dann die Kultur – und die Welt erklären wollen, wobei zu präzisieren ist: Vorab die deutsche Kultur zwischen Zürich, Hamburg und Dresden – und vielleicht noch die (nord)amerikanische. Kaum je aber die Westschweiz: Die Realität westlich von Biel und Freiburg ist auf der kulturellen Karte unseres SRF-Bildungs-Radios weitgehend ein weisser Fleck – quasi terra incognita. Wie auch nicht: Viele Radioleute können ja kaum mehr gut Französisch – jedenfalls weniger gut als Englisch und Anglizismen.
Studio Basel nach Biel, statt Radio Bern abbauen
Kurz und ungut: Vom Tonfall und vom Inhalt her unterscheidet sich unser Kultur-Sender in Basel gar nicht mehr so gross von richtigen deutschen Kultur-Radios wie MDR-Kultur, SWR 2 oder WDR 3. Aber wir finanzieren ihn weiterhin mit Millionen unserer Konzessionsgelder. Mehr noch: Jetzt wollen die SRG-Oberen in Basel unten sogar noch ausbauen. Andernorts hingegen sparen sie rigoros und bauen ab. Beim Studio Bern etwa massiv. So geht das nicht! Gescheiter würden sie den schon recht weit verdeutschten Sender in Basel ganz den Deutschen verkaufen. Oder aber ihn nach Biel verlegen – an die Sprachgrenze, von wo aus effektiv die ganze Kultur unseres Landes radiophonisch stattfinden könnte.
«Es geht halt nicht höcher»
Das würde auch dem Dürrenmatt ganz gut gefallen, wenn er denn noch da wäre. Er kannte und schätzte die französische Kultur. Die letzte Zeit seines Lebens verbrachte er in Neuchâtel. Jetzt jährt sich sein Todestag am 14. Dezember zum 30. und sein Geburtstag am kommenden 5. Januar zum 100. Mal. Und natürlich ranken sich um den legendären Dramatiker inzwischen Legenden. So etwa diese hier (die allerdings auch etwa seinem Zeitgenossen, Bundesrat Rudolf Minger zugeschrieben wird): Während eines Vortrags soll nach wenigen Sätzen des durchaus weltgewandten Berners ein Deutscher im Saal aufgestanden sein und gerufen haben: «Hochdeutsch bitte!» Worauf ihm Dürrenmatt antwortete: «Ich mache was ich kann – aber es geht halt nicht höcher!»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Niklaus Ramseyer ist Berner.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Niklaus Ramseyer ist Berner.
Dürrenmatt hatte mal eine Lesung in Berlin.
Da sagten die Leute wunderbar und schön. Aber könnte er das nicht auch in Deutsch?