Monet

Monet-Werk: «Die Seine mit Eisgang im Winterlicht» (1880) © Foto by Pola Museum of Art, Pola Art Foundation

Das ist Claude Monet Superstar!

Aurel Schmidt /  Die Fondation Beyeler ist zwanzig Jahre alt geworden und feiert den impressionistischen Künstler mit einer grandiosen Ausstellung.

Aus einem schwer ersichtlichen Grund ist es eine Verallgemeinerung geworden, die Künstler des Impressionismus, der wichtigen Kunstrichtung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auf ihre Malweise zu reduzieren: auf die in Primär- und Komplementärfarben zerlegte Palette, auf die Veränderungen von Licht und Schatten, auf den Einfluss der atmosphärischen Bedingungen.
Edouard Manet oder Edgar Degas werden mit zu den Impressionisten gezählt, auf die die künstlerische Definition des Impressionismus doch in keiner Weise zutrifft. Was malten diese Künstler? Ein Blick auf ihre Werke genügt: Sie setzten sich mit dem alltäglichen Leben, das sie führten, auseinander. Die gesellschaftlichen Verhältnisse waren ein beliebtes Thema, wofür die vielen Porträts sprechen, auch Ausflüge auf das Land gehörten zum Kanon. Was Degas angeht, besuchte er Bars, Theater, Ballettstudios, die in seinen Werken vorkommen (die Pastelle der Frauen bei ihrer Toilette sind im Fall von Degas ein besonderes Thema).
Das alltägliche Leben
Nicht anders verfuhren Claude Monet, Auguste Renoir, Camille Pissarro und einige weitere Maler aus dem Umkreis des Impressionismus, wenn sie die Besuche bei schönem Wetter in der Moulin de la galette oder auf der Badeinsel La Grenouillère an der Seine wiedergaben. Camille Pissarro zum Beispiel war begeistert vom Leben in den Häfen, besonders von Le Havre. Ein beliebtes Motiv waren auch die Boulevards, was damit zu tun hatte, dass sie Paris ein neues Gesicht gaben. Kaum zwanzig Jahre waren es her, dass Baron Haussmann im Auftrag von Kaiser Napoleon III breite Verkehrsadern in Paris anlegen liess, die das Stadtbild von Grund auf veränderten. Wenn wir vom Impressionismus reden, sollten wir solche historischen Umstände nicht ausser acht lassen.
Dass die als Impressionisten bezeichneten Künstler als Nachfolger der Pleinairisten der Schule von Barbizon im Freien malten, hatte wenig mit Landschaftsmalerei an sich zu tun und umso mehr mit der Tatsache, dass neue Farben auf den Markt gekommen waren, die schnell trockneten, so dass die Künstler ihre Ateliers vermehrt mit der Natur vertauschen konnten.
Auch Claude Monet hatte, den Spuren Manets folgend, sich anfänglich mit seinen Motiven in einem relativ konventionellen Rahmen bewegt. 1874 erregte die Ausstellung der nachrückenden jungen Künstler im Atelier des Fotografen Nadar Aufsehen. Monet hatte der Gruppe durch sein Gemälde «Impression. Soleil levant» (1872) den Namen gegeben. Bei der zweite Ausstellung 1876, diesmal in den Räumen des Galeristen Durand-Ruel, fiel das Un-Urteil des für den «Figaro» schreiben Kritikers Albert Wolff, der die beteiligten Künstler als «eine Bande von Verrückten» bezeichnete.
Licht und Farbe
Tatsächlich führten die meisten der Revoluzzer-Künstler damals ein Leben in bitterer Armut. 1868 hatte Monet (1840-1926) einen Selbstmordversuch unternommen. Erst nach Jahren der Entbehrung begannen sich Anerkennung und Erfolg einzustellen.
1883 liess sich Monet in Giverny auf halbem Weg zwischen Paris und Rouen nieder. Von diesem Moment an richtete er sein ganzes Augenmerk auf die Landschaft und die Natur in seiner neuen Umgebung. Er legte einen Garten an und 1895 den «jardin d’eau», den berühmten Seerosenteich mit der sogenannten japanischen, von Glyzinien umrankten Brücke. Heute besuchen jedes Jahr 500’000 Besucher den Ort.
Monet war entzückt. Er hatte gefunden, was er suchte: einen Ort, der ihn zum Malen inspirierte. Lichtspiele, Farben, Schatten, Spiegelungen im Teich und in Flüssen waren die Voraussetzungen für ein Werk, das seinesgleichen sucht.
Gleich bei seiner Ankunft interessierten den Künstler die «Meules», die Heuschober auf den Feldern in der Nähe, an denen er die Veränderungen des Lichts im Ablauf des Tages studierte und wiedergab. Auch die «Peupliers au bord de l’Epte» forderten ihn heraus (die Epte, wo die Pappeln stehen, fliesst in der Nähe seines Wohnsitzes vorbei). Und natürlich war die Kathedrale von Rouen während fast zwei Jahren ein beinahe ausschliessliches Thema für ihn. Dreissig Mal hat er sie gemalt.
Der Augenblick in seiner wechselnden Stimmung
Was Monet beabsichtige, war der Versuch, den Augenblick mit seinen Stimmungen und Schwankungen in seiner umfassenden Totalität zu erfassen, das Unbeständige, Wechselnde, Veränderliche festzuhalten und die momentanen Gegebenheiten im Augenblick ihres Eintretens wiederzugeben: also «l’instantanéité», wie er in einem Brief aus dem Jahr 1890 an de Kunstkritiker Gustave Geffroy schrieb.
Der Versuch war mit grossen Mühen verbunden, auch wegen des hohen Anspruchs, den Monet an sich selbst stellte. Er merkte bald, dass das Vorhaben sich der Realisierbarkeit in einem fort entzog, weil die Sonne unablässig ihren Standort wechselte, ohne dass er mit der Arbeit nachkommen konnte. Die Landschaft in ihren Zuständen, hervorgerufen von den Wellen des sich ausbreitenden, immer veränderlichen Lichts, schien ihm wie in Bewegung zu sein. Auf dem Werk der Kathedrale von Rouen, die sich im Besitz der Fondation Beyeler befindet, «La Cathédrale de Rouen: Le portail, effet matin» (1894), meint man buchstäblich zu sehen und fast leibhaft zu spüren, wie Licht und Farben über die Fassade gleiten, während der Uhrzeiger im Zeittakt langsam vorrückt.
«Sehend» werden
Malen war für Monet zu einer «Obsession» und gleichzeitig zu einer «fortgesetzten Tortur» geworden (die beiden Ausdrücke verwendete wörtlich). In seinen Briefen von unterwegs an Freunde und seine Frau Alice Hoschédé führte er darüber bewegte Klage. Als er ab Ende der neunziger Jahre anfing, sich mit der Wiedergabe der Seerosen im «bassin des nymphéas» zu befassen, schrieb er in einem anderen Brief an Geffroy: «C’est à rendre fou de vouloir faire ça», es ist zum Verrücktwerden, während er in anderen Briefe sein hohes Alter (er war damals um die sechzig) in Anschlag brachte.
Verrückt geworden ist Monet nicht. Er behalf sich auf andere Weise, wie man weiss: Er malte in Serien, das heisst an mehren Gemälden gleichzeitig beziehungsweise nacheinander, je nachdem, wie sie zur momentanen meteorologischen Lage passten. Als er sich zum Beispiel in Rouen mit der Wiedergabe der Kathedrale befasste, umgab er sich in den gegenüberliegenden Häusern, wo er sich eingemietet hatte, mit mehreren Leinwände, die er in Rhythmus der voranschreitenden Tageszeit und in Übereinstimmung mit den wechselnden Licht- und Farbsituationen auswechselte. Die verschiedenen eingenommenen Standorte erklären, warum die Kathedrale einmal frontal und einmal in einer seitliche Perspektive zu sehen ist.
Man muss diese Werke lange anschauen, sich darein vertiefen, sehend werden. Monet hatte das Motiv durch den Akt des Malens und also des Sehens ersetzt und der Kunst die künftige Richtung vorgegeben.
Einzigartige Ausstellung
Kein Zweifel: Monet gehört zu den bedeutendsten Vertretern des Kunstgeschichte, der westlichen bestimmt. Warum hier über Monet schreiben? Weil die Fondation Beyeler in Riehen zwanzig Jahre alt geworden ist und das Jubiläum mit einer Ausstellung des Künstler gefeiert hat, die ohne Umschweife als grandios bezeichnet zu werden verdient. Dem Kurator Ulf Küster ist es gelungen, 62 Werke zu versammeln, die einen Überblick über Monets Werk geben (bis zur Seerosen-Periode). Selbst wer es einigermassen kennt, wird eingestehen, dass hier eine Auswahl zusammengekommen ist, die einzigartig ist.
Die Anordnung in Gruppen erlaubt Vergleiche, die neue Zusammenhänge erkennen lassen, zum Beispiel von den Werken mit der Normandie-Küste in Etretat, Pourville und Varengeville, den Ansichten der Seine am frühen Morgen und während des Eisgangs im Winter 1879/80 («La Débâcle») oder zehn von London mit den Houses of Parliament, der Waterloo Bridge sowie Charing Cross Bridge mit dem Dampf der Lokomotiven im Nebel und den Spiegelungen der Sonne in der Themse. Das ist Monet Superstar.
Als der Maler Wassily Kandinsky zum ersten Mal die «Meules» von Monet sah, war er masslos irritiert (der Künstler habe kein Recht, «so undeutlich zu malen»), aber genauso hingerissen von der Neuartigkeit, die er sah. Noch heute wird es dem Besucher in Riehen nicht anders ergehen.

Die Monet-Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen/Basel dauert bis zum 28. Mai 2017.

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