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Lambert Hamel, Friederike Wagner in: Die schwarze Halle (Lukas Bärfuss). Regie: Barbara Frey © Schauspielhaus ZH

Arm und reich – ja und ?

Robert Ruoff /  Das Schauspielhaus Zürich entdeckt ein grosses Thema – und bleibt stecken in der kleinen bürgerlichen Szenerie.

Arm und reich ist ein altes Thema. Und ein aktuelles Thema. Auch das Schauspielhaus Zürich hat es entdeckt. Es widmet ihm einen eigenen Theaterabend und drei Gastspiele, ausserdem Vorträge zum Thema, alle im Monat Mai. Zurzeit läuft «Arm und reich – Drei neue Stücke». Geschrieben haben sie für diesen Abend: der Russe Michail Schischkin, der Österreicher Händl Klaus und der Schweizer Lukas Bärfuss; alle drei leben (auch) in der Schweiz.

Arm und reich: der globale Alltag

Die Aktualität von «Arm und reich» dringt durch die täglichen Nachrichten in unsere Wirklichkeit, vielleicht sogar in die Wahrnehmung. Die Europäische Union verzeichnet 12 Prozent Arbeitslose. Und «Spiegel online» verkündet: «Zwei Drittel der jungen Griechen sind arbeitslos» (in statistischen Zahlen: mehr als 64 Prozent). Gegen 75 Millionen junge Menschen auf der ganzen Welt sind ohne Arbeit. Und etwa 1 Milliarde Kinder leiden Hunger, also jedes zweite Kind.

Uns geht es gut. Unveränderlich gut.

Das alte Thema «arm und reich» lebt seit Kain und Abel von der dialektischen Spannung zwischen den beiden Polen, den Verzweifelten und den Verwöhnten, den Besitzlosen und den Eigentümern, den Toten und den Überlebenden. Und manchmal gibt es eine Rebellion.
Nicht auf der Zürcher Bühne. Die Stücke und ihre Regisseure löschen die dialektische Spannung und ihre Dynamik weitgehend aus. Sie isolieren die zwei Seiten von einander – hier arm, dort reich, hier reich, dort arm. Sie nehmen ihnen die Kraft der Anziehung und der Abstossung.

So erleben wir, in drei neuen Stücken, das alt Vertraute, die Wiederholung des immer Gleichen. Die Wirklichkeit bleibt irgendwie draussen. Es sei denn, die Gefangenschaft in der ständigen Reproduktion von arm und reich sei bis auf Weiteres die Wirklichkeit. Ohne Aussicht auf Veränderung. Zumindest in der Schweiz.

«Nabokovs Tintenklecks»

Michail Schischkins Geschichte des russischen Dolmetschers, der den russischen Oligarchen als Lakai durch die Schweiz führt, ist die Ich-Erzählung des moralisch überlegenen Untergebenen, der seine Überlegenheit verliert, weil er sich im Zwang zum Lebensunterhalt dem korrupten Oligarchen unterwirft. Das ist der täglich notwendige Opportunismus der Armen, den wir kennen, hier wie dort. In Schischkins Russland heisst der Oligarch Kovalev, in der Schweiz heisst er anders. Hier wie dort verfügt er über ein geeignetes Beziehungsnetz und über die Macht des Geldes.

Schischkins Geschichte wird nicht dadurch spannender, dass der Regisseur den Erzähler auf der Bühne in zwei Erzähler verwandelt, so dass der eine dem anderen den Text jeweils vorspricht, den der andere dem einen jeweils nachspricht. Die Verdoppelung des Gleichen macht die Geschichte nicht eindringlich sondern aufdringlich. Um so mehr, als der verdoppelten Sprecher den Text fast durchwegs leidenschaftslos gibt, als banale Ich-Erzählung alltäglicher Unterwerfung.

Aber vielleicht muss man so emotionslos werden, wenn man sich dem Reichtum der Oligarchen beugt und weiss, dass man sich beugt, ohne Aussicht auf Veränderung.

«Rechne»

«Es ist ein Leid, ein grosses Leid in dieser Welt», sagen Frau Coch und Frau Zeller beim Händl Claus, im nächsten neuen Stück von «arm und reich», das uns nichts Neues bringt. Die beiden reichen Damen wollen Gutes tun und laden Stucki ein und Giezendanner, ihren Vermögensverwalter und ihren Steuerberater.

Es ist die Geschichte von der Stiftungsgründung für die globale Wohltätigkeit, und weil sie so geläufig und bekannt ist, lässt die Regie die Puppen tanzen, sprich: die vier Schauspieler, schlank, rank, sexy und akrobatisch, bis sie zum gemeinsamen Höhepunkt kommen: zum Rausch der orgiastischen Vorstellung von der steuerfreien Geldvermehrung unter dem Etikett der Wohltätigkeit.

Nicht gelingen will die Stiftungsgründung, denn die Damen wissen so genau nicht, zu welchem Zweck, mit welchem Namen – und vielleicht ist es gut so. Es ist nur wenige Jahre her, nicht auf der Bühne sondern in der ungeschützten Öffentlichkeit einer spendenfreudigen Schweizer Stadt: da wurde eine weltweit ausgerichtete Stiftung zur Übernahme ausgeschrieben, weil die Gründerin kurz nach der Gründung nicht mehr wusste, wie sie das Ziel genau bestimmen und erreichen sollte.

Nicht auf der Bühne, in der Wirklichkeit der reichen Gesellschaft, vollzieht sich ungescheut die Enthüllung, dass die Wohltätigkeit weniger dem Leid der Welt als dem eigenen Gefühl des Mangels gilt, dem ungestillten Hunger nach Anerkennung.

Und wie bei Schischkin die Armen, so bleiben bei Klaus die Reichen unter sich. Keine Aussicht auf Veränderung.

«Die schwarze Halle»

Lukas Bärfuss, quasi der ‚Hausautor’ des Schauspielhauses Zürich, zeigt zum Schluss das Systemspiel: den Machtkampf zwischen dem eigenmächtigen Guru der Aneignung – «Ich gebe nicht, ich nehme nur» – und der unerreichten journalistischen Knackerin. Sie liefern einander noch einmal ein rhetorisches Gefecht, und stehen beide am Ende vor dem persönlichen Scheitern.
Er, Hot Berry, der erfolgreich von allen alles genommen hat, bricht sich das Genick an einer banalen Steuerhinterziehung. Und sie, die «den Mächtigen die Maske vom Gesicht» gerissen hat, sieht sich selber verkauft: der Medienkonzern, für den sie arbeitet, ist samt Personal und Mobiliar an die Koreaner gegangen.

In ihrer Erschöpfung schmeisst sie ihm alles, was sie hat, in die Arme, und verlässt die Bühne in nackter Besitzlosigkeit. Und er vollzieht an ihren Dingen noch einmal den Akt der totalen Aneignung, bevor er verschwindet.

Ohne Aussicht auf Veränderung

Es ist, auf beiden Seiten, ein vertrauter Vorgang. Schon so alltäglich, dass er uns sinnlos und gewöhnlich erscheint. Rebellion findet nicht statt. Von Revolution keine Andeutung. Das Systemspiel geht weiter. Ohne Aussicht auf Veränderung.

Arm und reich. Das Problem ist aktuell und bekannt aber dem Theater offenkundig noch nicht dringend genug. Wir wissen, dass es so nicht weiter geht. Aber wir wissen nicht, wie und wohin.

Die Stückeschreiber bleiben stehen bei der Darstellung des Zustands. Und weil sie, zusammen mit der Regie, im Auftrag des Zürcher Schauspielhauses, sich begnügen mit der aesthetisierten Darstellung einer bekannten, bedrückenden Wirklichkeit, bleibt man vom Bühnengeschehen eigenartig unberührt.

Das Publikum spendete höflichen Applaus.

Kommende Vorträge und Gastspiele:
> 14.5., 20.15: Tomás Sedlácek, Vortrag
> 15.5./16.5., jeweils 19 Uhr: Die Kontrakte des Kaufmanns, von Elfriede Jelinek
> 23./24.5., jeweils 20 Uhr: Hard to Be a God, von Kornél Mundruczó
> 27./28.5., jeweils 20 Uhr: Money – It came from Outer Space, von Chris Kondek und Christiane Kühl
> 30.5., 20.15: Colin Crouch
Alle Veranstaltungen des Projekts «Arm und Reich» finden im Schiffbau des Schauspielhaus Zürich statt, Schiffbaustrasse 4, Zürich.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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