Spitäler foutieren sich ums Gesetz
Das kennen wir alle: Da flattert eine «Leistungsabrechnung» der Krankenkasse ins Haus. Aber die eigentliche Arzt- oder Spitalrechnung oder zumindest eine Kopie davon haben wir nie erhalten. Unter diesen Umständen können wir nicht kontrollieren, ob die Rechnung stimmt.
Die Krankenkassen kontrollieren
Zwar kontrollieren die Krankenkassen die rund 130 Millionen Rechnungen, die sie jährlich erhalten. Sie lassen sich diesen Aufwand 400 Millionen Franken pro Jahr kosten. Und sie sparen dank der Kontrollen nach Angaben des Krankenkassenverbandes Curafutura jährlich 3,5 Milliarden Franken ein.
Auch die Patienten sollten kontrollieren
Doch die automatisierte Prüfung der Rechnungen reicht nicht. Wichtig ist laut Curafutura, dass die Patienten eine Rechnungskopie erhalten. Denn «sie wissen am besten, welche Leistungen erbracht wurden». Der Krankenkassenverband Santésuisse ergänzt: «Nur die Patienten wissen, ob ein Arztbesuch tatsächlich stattgefunden hat, ob Datum und Dauer korrekt sind oder ob Untersuchungen wirklich durchgeführt wurden.»
Das Gesetz ist klar
Dass Spitäler, Ärzte und andere Leistungserbringer ihren Pflichten noch immer nicht nachkommen, ist erstaunlich. Denn im Krankenversicherungsgesetz (KVG) steht seit über 15 Jahren klipp und klar: «Die versicherte Person erhält eine Kopie der Rechnung, die an den Versicherer gegangen ist.» Weil das nichts nützte, hat das Parlament auf Anfang diesen Jahres auch noch das Wort «unaufgefordert» hineingeflickt. Deutlicher geht es nicht mehr.
Die Spitäler sind desinteressiert
Obwohl also im KVG deutsch und deutlich steht, dass die Leistungserbringer den Versicherten eine Rechnungskopie schicken müssen, scheint das viele Spitalverantwortliche nicht gross zu interessieren. So schreibt das grösste Spital der Schweiz, die «Insel» in Bern: «Die Patientinnen und Patienten erhalten auf Wunsch eine Rechnungskopie auf Papier. Pro Jahr versendet die Insel-Gruppe rund 15’000 Rechnungskopien.»
Das klingt, als wäre alles in Ordnung. Ist es aber nicht. Denn die «Insel» verschickt jährlich eine Million Rechnungen an die Krankenkassen – aber nur 15’000 mit Kopie an die Versicherten. Das sind gerade mal 1,5 Prozent. Und nur, weil die Versicherten danach verlangen.
Infosperber wollte von der «Insel» wissen, warum sie sich ums Gesetz foutiert. Die Antwort: «Der Postversand würde erhebliche Mehrkosten generieren.» Immerhin arbeitet das Spital an einem Patientenportal, in dem die Versicherten «ihre Rechnungskopien einsehen können».
Patientenportal ist zulässig
Ein Patientenportal ist als Alternative zur Kopie auf Papier tatsächlich vorgesehen. Im KVG steht: «Die Übermittlung der Rechnung an den Versicherten kann auch elektronisch erfolgen.» Fürs Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist das ein gangbarer Weg: «Die versicherte Person erhält dabei per E-Mail einen Link, über den sie die Rechnungskopie elektronisch einsehen, herunterladen oder ausdrucken kann.»
Und die anderen Spitäler, die zu den fünf grössten des Landes gehören?
- Das Universitätsspital in Genf verschickt «sicher schon seit über 15 Jahren» unaufgefordert Rechnungskopien auf Papier.
- Das Universitätsspital Zürich (USZ) verschickt die Kopien nur stationären Patienten und nur «auf Wunsch». Viele Jahre habe das USZ die Kopien unaufgefordert verschickt. Doch manche Versicherte hätten die Kopie als Rechnung verstanden, fanden sie überflüssig oder unverständlich. Deshalb habe das USZ mit Verschicken aufgehört – trotz gesetzlicher Pflicht. Nun arbeite es wie die «Insel» an einer elektronischen Lösung.
- Beim Luzerner Kantonsspital ist ein Patientenportal schon seit 2020 in Betrieb.
- Die Patienten des Universitätsspitals Lausanne bekommen die Rechnung schon seit 2004 unaufgefordert per Post zugeschickt.
Eine eigentümliche Lösung hat das Kantonsspital Aarau (KSA) gefunden. Dort erhalten manche privat oder halbprivat Versicherten eine Rechnungskopie – aber nur nach einem stationären Aufenthalt. Denn das KSA hat «mit ausgewählten Versicherern» eine entsprechende Vereinbarung getroffen. Allgemein Versicherte und alle Akut-Patienten müssen die Kopie ausdrücklich verlangen. Ein Patientenportal startet 2023.
H+ behauptet: «Mehrkosten»
Der Spitalverband H+ ist von den gesetzlichen Vorgaben nicht sonderlich begeistert. Direktorin Anne Bütikofer sagt: «Fakt ist, dass die Massnahmen einen zusätzlichen administrativen Aufwand und Mehrkosten generieren, ohne Gesundheitskosten einzusparen. Das Korrekturvolumen aufgrund von Beanstandungen von Patienten ist erfahrungsgemäss sehr klein und bewegt sich unter einem Prozent. Damit ist es praktisch vernachlässigbar, wenn man die Gesamtkosten betrachtet.»
620 Millionen
Aber sogar wenn H+ recht hätte — wenn also tatsächlich nur ein Prozent der Kosten, die an Versicherungen, Krankenkassen und Haushalten hängen bleiben, eingespart werden könnten –, dann wären das pro Jahr immerhin 620 Millionen Franken.
Kantone schauen weg
Wenn Spitäler, Ärzte oder andere Leistungserbringer den Patienten keine Rechnungen schicken, dann drohen ihnen Bussen von bis zu 20’000 Franken. Doch wer keine Kopien verschickt, riskiert wenig. Das BAG kontrolliert nicht und verweist stattdessen an die Kantone.
Aber auch die Kantone übertun sich nicht. Der Kanton Zürich hat zwar «in einem Informationsschreiben an die Tarifpartner erneut auf diese KVG-Bestimmung hingewiesen und insbesondere festgehalten, dass die unterlassene Übermittlung der Rechnungskopien (…) mit Sanktionen geahndet werden kann». Doch der Kanton hat deswegen noch nie ein Spital gebüsst. Und der Kanton Bern schreibt lediglich: «Bisher sind keine Beschwerden betreffend fehlender Rechnungskopien eingegangen.»
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Korrektur: Ein früherer Titel dieses Artikels hiess: «Krankenkassen foutieren sich ums Gesetz». Dies trifft aber, wie auch im Artikel selber steht, nicht zu.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Im ambulanten Bereich ist die elektronische Rechnungskopie bereits eingeführt. https://www.aerztekasse.ch/media/flyer_rechnungskopie.pdf Allerdings ist die Interpretation der Tarmed-Positionen für Patientinnen/Patienten kaum möglich. So beschränkt sich die Kontrolle auf die Grundlagen.
Im ambulanten Bereich im «Tiers Payant» ist die elektronische Patientenkopie durch Anbieter wie die Ärztekasse bereits eingeführt und funktioniert problemlos. Allerdings sind Patientinnen kaum in der Lange die Tarmed-Positionen zu überprüfen.
danke für diesen Beitrag. Meiner Freundin wurde für eine ausgeheilte Wunde ein ganzer Liter Betadine? Wunddesinfektionsmittel und Sackweise Verbandsmaterial mit nach Hause gegeben. Wir wollten das Material ungeöffnet im Spital zurückgeben… dürfen sie nicht zurücknehmen. Auch wurde ihr im Spital Magenschoner verschrieben, sie hat die Einnahme verweigert. Trotzdem wurde er täglich serviert und verrechnet. «Das bekommt hier jeder» war die Begründung der Krankenschwester.
Angefangene Packungen von einzeln und steril verpacktem Material werden tonnenweise weggeschmissen. Das ist weder nachhaltig noch sparsam. Die Spitäler verdienen, die Krankenkassen verdienen und die «Prämienzahler» so nennt die CSS tatsächlich ihre Kunden … die zahlen.
Für mich ist schleierhaft, warum nicht alle Krankenkassen die Rechnungen (Original- bzw. die TP-/Tiers payant-Rechnungen) der Dienstleister (z.B. Spital/Arzt/Apotheke usw.), zusammen mit der Leistungsabrechnung unaufgefordert zur Einsicht, perPostzustellung oder zum Herunterladen im «Patienten»Portal, anbieten (müssen). Vielleicht sollte man das Gesetzt etwas «modernisieren».
Via z.B. dem Kundenportal myConcordia können die Leistungsabrechnungen und die TP-Rechnungen der Dienstleister direkt abgerufen werden. (Allerdings wird die Original/TP-Rechnung concordia-intern umgewandelt/neu erfasst, und es fehlt im neu gestalteten Dokument leider (noch) die Referenz zur zugehörenden Leistungsabrechnung)
Von den behndelnden Ärzten verlange ich jedesmal, dass ich die Rechnung bekomme, und nicht die Krankenkasse. So kann ich allfällige Fehler und Korrekturen direkt beim Arzt in Ordnung bringen – ohne Mehraufwand für die Krankenkassen. Bei Spitälern habe ich das bisher unterlassen, weiss aber aus Leistungsabrechnungen von Bekannten, dass dort eher mehr Fehler zu finden sind.
Sonst ist dem Artikel nichts anzufügen: Besten Dank !
Die KV gibt jährlich 400 Mio. Aus um 3,5 Mio zu sparen? Hab ich das richtig verstanden?
Und erhöht ihre Prämien zu 2023?
Und da votiert niemand gegen?
Ich darf ja eigentlich eh nix gegen was sagen, aber da muss man erst mal mit klar kommen….
Ja, sie geben 400 Millionen Franken aus. Und nein, sie sparen damit 3,5 Milliarden. So steht es auch im Artikel.
Sorry, da war ein Brett vorm Kopf, wie so oft…
Leider steht im Gesetz nicht dass die Rechnungen auch kontrollierbar sein müssen für Patienten. Dadurch liesse sich viel Geld sparen. Warum da getade die Kassen nicht mehr darauf drücken ist mir ein Rätsel. Die Tarifentschlüsselung ist eine Zumutung. Wer schreibt mal eine App als Hilfe?