Kommentar

kontertext: Schüblikon möchte seine Bäderheilige feiern

Michel Mettler © zvg

Michel Mettler /  Eine Momentaufnahme aus dem Alltag eines Theaterschaffenden.

Künstlerisch Tätige sind meist erfreut, für Projekte angefragt zu werden, die sie nicht selber auf die Beine stellen müssen. Sie beteiligen sich gern an einem Vorhaben, das schon finanziert und vor Ort verankert ist. So geschehen neulich an einem Oktobernachmittag: Das Telefon klingelt, Frau Stemmle meldet sich, die Kulturbeauftragte der Gemeinde Schüblikon – von Hause aus sei sie Kulturmanagerin, sagt sie, meine Mobilnnummer habe sie von meiner Agentin bekommen.

Ich frage mich, wen sie meinen könnte, meine Geschäfte erlauben es leider nicht, eine Agentin zu beschäftigen. Doch um meine Reputation nicht zu gefährden, schweige ich beflissen.

Frau Stemmle entschuldigt sich, so mit der Tür ins Haus zu fallen, die Sache sei die: Durch die Arbeit einer verdienten Historikerin sei zutage gekommen, dass Schüblikon über eine noch fast unbekannte Bäderheilige verfüge. Schwester Astrid habe vor 300 Jahren im Stift Gnadenthal gedient. Ihre offizielle Heiligsprechung sei bereits beantragt, doch als Ortsheilige dürfe sie schon jetzt gelten, dies belegten sämtliche neu erschlossenen Quellen, davon zeuge auch der baukulturell bedeutende Astridenhof mit seiner Kapelle.

Die Kurie und die Autobahn

Ich zeige mich beeindruckt, räume aber ein, Schüblikon habe bisher in meiner inneren Bädergeografie noch nicht existiert – immerhin liege das Dorf ja nicht wirklich zentral.

Seit der Eingemeindung von Nipflingen und Gleinikon sei man Zentrumsgemeinde, stellt Frau Stemmle klar; auch dürfe gesagt werden, dass das Bleichwerk der Glotz Group Sogwirkung entfalte. Zugegeben, derzeit liege Schüblikon nicht eben am Weg. Die Autobahn komme dem Dorf zwar nahe, umfahre es aber anschlusslos. Doch früher, als noch die Hand der Kurie die Landkarten gezeichnet habe, sei Schüblikon ein wichtiger Ort gewesen. Daran gelte es anzuknüpfen.

Ich wolle keineswegs Schüblikons Bedeutung herunterspielen, sage ich, eher handle es sich von meiner Seite um eine kulturelle Bildungslücke.

«Schüblikon mag als Bäderort wenig bekannt sein», meint Frau Stemmle, «das ist aber durchaus mal anders gewesen. Doch um 1850 sind die Quellen versiegt. Ihre Heilkraft ist umstritten, das sei der Ordnung halber hier erwähnt, aber unsere Historikerin Dr. Hitzlsgruber konnte zeigen, dass in und um Schüblikon einmal reger Badeverkehr herrschte – das «Heil- und Lachbad zu Skublinchofa» wird in den Annalen mehrfach erwähnt, ebenso Astrid, die heilfertige und kunstsinnige Badeschwester.»

«Das klingt soweit hochinteressant», sage ich.

Effekte im Standortmarketing

Man habe schon einige Kunstschaffende angefragt, sagt Frau Stemmle. Leider habe niemand freie Kapazitäten gehabt. Nun sei die Wahl auf mich gefallen, da ich schon mehrfach mit gemeindenahen Projekten hervorgetreten sei, die Effekte im Standortmarketing entfaltet hätten.

Ich überlege, was Frau Stemmle meinen könnte. Ich kann mich partout an nichts Derartiges in meinem Palmarès erinnern. Möglich, dass die Kulturbeauftragte mich mit jemandem verwechselt. Doch da es, wie erwähnt, erfreulich ist, für ein Projekt angefragt zu werden, das man nicht selber von Grund auf entwickeln, organisieren und finanzieren muss, gebe ich zustimmende Laute von mir und lasse Frau Stemmle weiterreden.

Umfangreiche Aktivitäten seien geplant, sagt sie mit Aplomb, und man sei auf der Suche nach jemandem, der dies alles orchestriere.

Tatsächlich habe ich die Wörter «Schüblikon» und «orchestrieren» noch nie zusammengebracht und lobe Frau Stemmle für diesen pionierhaften Versuch. Die Kulturbeauftragte reagiert darauf regelrecht euphorisch, unter anderem mit dem Begriff Wassersinfonie. Jetzt geht ihr der Mund über von dem vielen, was an diesem Vorhaben weit über die Region hinaus wertvoll und erhebend sei. Sie erwähnt summarisch: Einen Kindermalwettbewerb zu Bäderthemen, einen sportlich-kulturellen Postenlauf zu den Wirkungsstätten der Heiligen Astrid, eine Festschrift im angesehenen Medea-Verlag, eine Krippenausstellung rund um heilkundliche Motive und Badethemen aus queerer Sicht, eine Erstaufführung der erst neulich wiederentdeckten Wässerlieder aus der Feder der Schüblikoner Badeschwester. Ausserdem solle eine Plakette mit Astrids Konterfei entstehen. Als Höhepunkt der Festlichkeiten sei ein inklusives, immersives Show-Event in den einstigen Thermen geplant. Auch die Trachtenchöre aus Dorf und Umland seien gewillt, sich in geeigneter Form einzubringen, erklärt Frau Stemmle. Schliesslich sei eine Judaistin aus Keilhof im Begriff, eine Installation zu jüdischen Badetraditionen zu konzipieren, die später am Hygiene-Institut der Universität Detmold gezeigt werde.

Ressourcen freimachen

«Das ist vielfältig», sage ich, «das hat Schwung und ist summa summarum beeindruckend. Und wo sehen Sie meinen Beitrag?»

Es fehle noch die übergreifende künstlerische Handschrift, meint Frau Stemmle. Aus den dargelegten Ideen müsse ein organisches Ganzes werden, das den einstigen Bäderort sosehr wie das Schüblikon heutiger Tage gültig abbilde. Sie selber, fügt Frau Stemmle hinzu, könne als Kulturverantwortliche dafür leider kaum Ressourcen freimachen – ihr Pensum werde ganz vom kulturellen Alltag der Gemeinde verschlungen, da sie auch noch die Réception des Astridenhofkapellmuseums betreibe.

Dass sie von einer «künstlerischen Handschrift» spreche, gefalle mir natürlich, erkläre ich. Diesem Begriff sei ich im Zusammenhang mit künstlerischen Projekten schon länger nicht mehr begegnet.

«Für Ihren geplanten Einsatz», meint Frau Stemmle abschliessend, «können wir leider nur eine Spesenpauschale freimachen. Schüblikons Finanzlage ist angespannt. Ausserdem lebt das Projekt vor allem von ehrenamtlichen Beiträgen. Da könnten Honorare Anstoss erregen.»

Einen Moment erwäge ich, als Vertreter meiner Zunft Einspruch zu erheben, doch ich verwerfe den Gedanken. Keinesfalls möchte ich Frau Stemmles Elan mit einer materialistischen Sicht auf ihr Projekt ausbremsen. Mit einem Blick zur Uhr – schon vierzig Minuten dauert unser Telefonat – erkläre ich, solche budgetären Sensibilitäten seien mir aus früheren Mandaten wohlvertraut. Die vorgebrachten Ideen seien durchaus ansprechend. Nur zu gern hätte ich mitgeholfen, sie einer interessierten Öffentlichkeit näherzubringen, doch leider lasse meine Agenda es nicht zu, auf Ihr Angebot einzutreten.

Ich wünsche Frau Stemmle und mit ihr ganz Schüblikon Glück und Erfüllung im Jubiläumsjahr. Ich denke, dass sich mit etwas Beharrlichkeit jemand finden wird, der genug Bares auf der Seite hat, um sich ein Mittun leisten zu können. Für die Heilige Astrid, sage ich zum Schluss, tue es mir aufrichtig leid, aber da hat Frau Stemmle schon aufgelegt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Michel Mettler

Michel Mettler, geb. 1966, lebt als freiberuflicher Autor und Herausgeber in Klingnau. Er interessiert sich für die Geschichtlichkeit von Gegenwart und Erzählungen, die der Subtext schreibt. Zuletzt hat er als Co-Herausgeber den Band DUNKELKAMMERN veröffentlich (Suhrkamp 2020).