Kommentar
kontertext: Herr Graber darf (nicht) treppensteigen
Die Abgeordneten Aeschi und Graber möchten die Benützung einer Treppe im Bundeshaus handgreiflich erzwingen. Sie müssen vom Sicherheitsdienst daran gehindert werden. Sie erregen sich über den Vorfall und bekommen Sukkurs von ›ihrem‹ Bundesrat (einem Magistraten aus ihrer Partei). Soweit, so Bonsai: Ein Konflikt in der Puppenstube der Alpenrepublik, allerdings mit düsterem Hintergrund.
Das Wörtchen Wir
«This is our house!», skandierten einige der Kapitol-Stürmer am 6. Januar 2021, mit Betonung auf our. Angesprochen war ein wir der rechtschaffenen und rechtmässigen Amerikaner. Der seltsame Kontrast zwischen dieser Beschwörung eigener Rechtmässigkeit und der Ungesetzlichkeit des eigenen Tuns war offenbar in diesem Moment nicht von Belang. Oder für die Akteure nicht zu spüren.
Wem gehört das Kapitol? Es gehört allen, und keinem Einzelnen. Es ist ein Gemeingut und steht für Werte und Verfahren, die man als Gemeinschaft teilt. Dass eine einzelne Gruppe sich gewaltsam aneignet, wofür dieses Gebäude steht, ist ein Verstoss gegen die Verfassung.
Das wäre den Eindringlingen nicht begreiflich zu machen gewesen. «We are the USA!», skandierten einige der Proud Boys. Und schienen damit zu sagen: «Alle, die anders sind als WIR, sind nicht die USA, sind nur Gäste hier und haben sich entsprechend still und unauffällig zu verhalten. Ihr Wahlrecht ist nur eine Leihgabe, die wir, die rechtmässige USA, ihnen wieder entziehen sollten, wenn sie sich vom Establishment verführen lassen.»
Eine Abwandlung dieser Proud-Boys-Lebensform, die an die Figur des einstigen Siedlers im Westen angelehnt ist, setzt sich vor allem im ländlichen Amerika wieder stärker durch. Man will seinen Claim abstecken, eine eigene Quelle haben, will eine eigene Gerichtsbarkeit auf seinem Grund und Boden errichten, mit dem Vollzugsorgan der Schrotflinte, die gezückt werden kann, wann immer jemand, den man nicht kennt, das eigene Land betritt.
Wenn nun Abgeordnete im Bundeshaus meinen, sich über die Anordnungen des Hausdiensts hinwegsetzen zu müssen, weil sie ›wahre Schweizer‹ mit der Befugnis unumschränkter Treppenbenützung sind, mag das läppisch anmuten, doch es geht um etwas Vergleichbares. Dies enthüllte Michael Graber, Abgeordneter der SVP, mit der Begründung für sein Tun: «Wenn wir in der Schweiz fremde Parlamentarier im Parlamentsgebäude besser schützen als die eigenen, ist das ein Skandal.»
War etwa Herrn Grabers Leben ungenügend geschützt, wie er hier insinuiert, nur weil eine Treppe gesperrt war? Umgekehrt gefragt: Soll ein ukrainischer Staatsgast weniger Recht auf den Schutz seines Lebens haben als ein anderer Mensch, nur weil dieser Mensch ein ausgewiesenes Einheimischen-Exemplar ist?
Wieder einmal geht es also um Othering – um die klassische Entgegensetzung ›wir und die‹: Die Schweizer und die anderen, die Ausländer. Die ›fremden‹ Parlamentarier. Und damit noch nicht genug. Graber doppelt nach und verhöhnt Betroffene kriegerischer Auseinandersetzungen, wenn er sagt: «Und wenn Sicherheit hier ein Problem sein soll, dann sollen diese Leute doch bitte in ihren Ländern bleiben, wenn es dort sicherer ist.»
Wild West oder James Bond?
Wer bedenkt, mit welcher Skrupellosigkeit die russischen Geheimdienste auch im Ausland operieren, kann sich vorstellen, wie gefährdet ukrainische Politiker sind. Dazu braucht es keine James-Bond-Fantasie. Aber etwas Wild-West-Fantasie, um zu verstehen, was die beiden Exponenten der SVP geritten hat, um mit ihrer Trotzreaktion diesen unwürdigen Wirbel anzuzetteln. Genützt hat es: Die Medien berichten, und selbst in diesem Text wird das unliebsame Kürzel mit dem V in der Mitte bemüht. Ziel erreicht.
Dass aber in Demokratien das Kollektive (man mag es das Schweizerische nennen) niemandem gehört, sondern allen, die es teilen, ist offenbar schwer zu ertragen für die, die gern ihre Hand darauf legen und sagen würden: «Dies sind MEINE Väter. Das bin ich. Wir sind aus dem selben Sandstein gehauen. Das ist DIE Schweiz. In Einzahl. So sind wir: noch gleich wie vor tausend Jahren. Und so wie vor tausend Jahren dürfen wir in UNSEREM Land Treppen benützen, genau dann, wenn wir sie benützen wollen. Keine Minute später.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Aeschi/Graber sind Lausbuben. Dies aber nicht im Sinne eines «Lausbuben»-Streiches, sondern in dem Sinne, dass diese beiden sich über das Recht stellen, indem sie sich als Vertreter ihrer «Volks»-Partei eben vom ganzen Volks nichts sagen lassen – und schon gar nicht eine Treppe verbieten lassen wollen. Eine faschistische Gesinnung und darum eben durch dieses Gerangel offengelegt. Wehret den Anfängen: Keine Lausbuben noch Faschisten ins Bundeshaus!
Der Vergleich mit USA ist, meiner Meinung nach, gedanklich weit hergeholt! (nicht nur distanzmässig) Ob sich Aeschi und Graber hätten unterziehen sollen oder nicht, darüber kann man streiten. Wie die Polizei aber gegen gewählte, bekannte Parlamentarier vorging, lässt ebenso Fragen offen! Wären es fremde, unbekannte Gesichter gewesen, wäre dagegen sicher nichts einzuwenden gewesen! Was wäre wohl passiert, wenn es 2Parlamentarierinnen, Parlamentarier von Links getan hätten? Natürlich, es waren 2 aus einer ungeliebten Partei. Und da schaut man genauer hin? Für MS-Medien ein gefundenes Fressen!
Aeschi und Brunner haben den Streit bewusst provoziert, denn waren gegen den Besuch und den Empfang der ukr. Delegation.
Die Reaktion des Sicherheitsdienstes war rechtens, er hat korrekt gehandelt, das wussten die beiden.
Die Aussage von Brunner belegt die Meinung gewisser SVP-ler, auch wenn er sich im Nachhinein halbherzig entschuldigt hat. Nehmt euch vor denen in Acht! Sind Wölfe im Schafspelz.
Die Rückendeckung des SVP-Bundesrates Rösti war total deplaziert.
Von einem SVP-Berner hätte ich mehr Rückgrad erwartet, denn ich kenne die Berner-SVP aus der Verhangenheit. Er hat sich damit selbst degradiert.
Damit hat er den beiden Steithähnen Rückendeckung gegeben, was nicht rechtens ist.
Wenn SVP-Politiker wie Aeschi, Graber oder auch die Bloche Familie agieren, nehme ich (auch in ihren Voten) fast immer eine Art Überheblichkeit wahr, im Sinne, dass sie sich anmassen die Schweiz zu repräsentieren.
Wer auf Soziales und internationale Beziehungen fokussiert, wird von derartigen Parlamentariern, welche politisch und auch persönlich fast immer egoistische Interessen verfolgen, meist als Feind der nationalen Interessen verschrien.
Wenn man historisch ein wenig zurückblättert, kann man die Problematik solcher Denkweise durchaus erkennen.
Was die Herren Aeschi / Graber vorführten: einen Dummejungenstreich. Einem Bundesratskandidaten unwürdig, die Beiden als Parlamentarier disqualifizierend. Sie schaden damit ihrer Partei. Die Beschwichtigungen von Bundesrat Rösti wirken hilflos. Die Frustration der SVP angesichts der Ränkespiele der politischen Gegner ist nachvollziehbar – diese Nadelstiche und Gemeinheiten gehören aber leider zum politischen Spiel. Warten wir ab, was sich am Bürgenstock abspielt, vielleicht wollen ja Aeschi / Graber mit einem Ultraleichtflugzeug in den Luftraum eindringen, um ihre Sympathien für Putins Krieg auszudrücken? Tun sie dies ausserhalb der Bürozeiten nach dem Einnachten, stehen die Chancen gut, weil dann die Luftpolizei schläft. Vielleicht sollte eine Abspalterpartei für notorische Querulanten begründet werden: Die Schweizerische Vereinigung der Provokateure. Das gab’s ja schon einmal unter dem Kürzel BDP, dem Bund sich distanzierender Parteimitglieder. Geholfen hat es dem politischen Gegner.
Danke. Diese Parlamentarier verwechseln 2 Sachen. Sie sollen das Volk vertreten und nicht den Sicherheitsdienst bekämpfen. Dazu haben sie kein Mandat. Ich finde ein Vorgehen gegen Sicherheitsdienste sehr bedenklich, weil diese Parlamentarier kennen kaum alle Gründe die zu dieser Massnahme geführt haben.
Sie verwechseln die Aktion: Die Polizisten gingen auf die bekannten Parlamentarier los!
Danke für diese kluge Analyse. Sie erinnert mich an die Worte von Nationalrat Alfred Heer an der ersten „Never again is now“-Kundgebung auf dem Münsterhof nach der Terrorattacke der Hamas. Hunderte von Personen, darunter viele jüdische Mitbürger, soeben wurden Namen von Opfern verlesen, das Publikum schweigend in tiefer Betroffenheit.
„Wir Schweizer müssen dafür sorgen, dass ihr Juden bei uns sicher seid!“
Diese Schilderung stammt aus meinem Gedächtnisprotokoll und ist mit der üblichen Unsicherheit, wie sie für diese Art Aufzeichnung typisch ist, behaftet.
In Anspruch nehme ich aber die Exaktheit meiner Erinnerung, über seine Äusserung sprachlos gewesen zu sein, auch weil dieses Othering zu keiner wahrnehmbaren Reaktion im Publikum führte. Und seiner Pietätlosigkeit, schon im nächsten Satz wieder in populistischen Worten (EDA ausmisten!) über den politischen Gegner (die fragwürdige erste Reaktion auf die Attacke von Bundesrat Cassis) herzuziehen.
Was ist mit diesen Leuten passiert?
Herr Klngler – Kompliment! Treffend und wichtig, dass dies so kundgetan wird.