Kommentar

kontertext: Ein dürres Männlein

Felix Schneider © zvg

Felix Schneider /  Wer subventioniert die AHV? Rentiert sich ein:e Geisteswissenschaftler:in? Bornierte Kosten-Nutzen-Rechnungen!

Ein Gespenst geht um in meiner Küche. Es ist der homo oeconomicus rudis, ein dürres Männlein, das der morgendlichen Zeitungslektüre entweicht wie der Geist aus der Flasche. Eines Tages nennt es sich Hansueli Schöchli und lästert mir ins Ohr: «Schätzungsweise 40 Prozent der jährlichen AHV-Gesamteinnahmen sind Subventionen» (NZZ 28.06.22). Ich bin schockiert, denn in der Gewerkschaftspresse lese ich, dass die AHV mit relativ wenig Subventionen aus Steuergeldern auskommt. Aber das dürre Ökonomie-Männlein lügt nicht, es denkt nur völlig anders, stark reduziert eben. Es kennt nur die Kosten-Nutzenrechnung des isolierten, egoistischen Individuums. Wieviel hast du bezahlt? Wieviel hast du für dein Geld bekommen? Sobald du mehr Geld bezahlt hast als bekommen, hast du «Subventionen» geleistet:  «So bringen dieses Jahr die AHV-Beiträge auf Lohnbestandteilen über einem Jahreslohn von rund 86 000 Franken den Betroffenen keine Rentenerhöhung; diese AHV-Beiträge finanzieren die Renten der Versicherten mit tieferen Einkommen.» Rechnen kann das Männlein so gut wie ein Computer, aber so etwas wie Gesellschaft kann es sich nicht vorstellen. Darauf muss man ja erst mal kommen: Was andere Umverteilung, Solidarität, Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt nennen, nennt das Männlein Subventionen, weil es nur ökonomisch verkürzt denken kann. Und der Unterschied zwischen arm und reich ist ihm ein unproblematischer Naturzustand. Einmal arm, immer arm, und im Alter: sehr arm!

Lohnt sich Lesen-Lernen?

Nichts gegen Ökonomie, natürlich nicht. Vieles allerdings gegen die Verkürzung der Ökonomie auf individuelle, rein finanzielle Kosten-Nutzen-Rechnungen. Die Reduktions-Ökonomie des dürren Männleins dominiert geradezu die jüngsten Debatten um die Geisteswissenschaften. Zunächst hatte ich mich verwundert gefragt, was die denn alle gegen Teilzeitarbeit haben. Christoph Eisenring hat es mir erklärt (NZZ 21.06.22). Er bringt es fertig auszurechnen, ob ein Akademiker über die Steuern, die er während seines Leben bezahlt, dem Staat die Kosten zurückerstattet, die er in der Ausbildung verursacht hat. Darauf muss man ja erst mal kommen! Aber klar: In dieser Scheuklappen-Logik geht Teilzeit gar nicht. Wer Teilzeit arbeitet, oder, oh Schreck, gar keiner Lohnarbeit nachgeht (Frauen, aufgepasst!), der/die zahlt weniger Steuern und es droht, dass er/sie die Kosten der Ausbildung nicht einspielt.

Ich fürchte, ich fürchte: viele Leute, die Lesen und Schreiben gelernt haben, verdienen nicht genug, um dem Staat über die Steuern die Kosten ihrer Schulen zurückzuzahlen, sodass wir, wenn wir in dieser Logik gefangen bleiben, den «Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht», den die Schweizerische Bundesverfassung «gewährleistet», nicht aufrecht erhalten können.  Zurück zum Analphabetismus für die unteren Klassen?

Vielleicht sollten wir doch eher den Geist in die Flasche zurücksperren und die Ökonomie als Teil der Gesellschaft betrachten, die, wenn wir nochmals die Bundesverfassung heranziehen, andere Ziele verfolgt als die individuelle Gewinnmaximierung, nämlich z.B. die «Wohlfahrt» und die  «kulturelle Vielfalt des Landes».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Felix Schneider ist gelegentlicher Mitarbeiter des «solinetz» («Solidaritätsnetz Region Basel für Menschen ohne gesicherten Aufenthalt»).

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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13 Meinungen

  • am 14.08.2022 um 13:27 Uhr
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    Hansueli Schöchli hat eine kaufmännische Lehre und später ein Wirtschaftstudium absolviert. Seit über 25 Jahren ist er Wirtschaftsjournalist. Von ihm erwarte ich genau das, was ihm Felix Schneider vorwirft: Er betrachtet die AHV rein wirtschaftlich, und zwar korrekt. Wie der Leser die wirtschaftliche Betrachtung politisch und gesellschaftlich einordnet, ist seine Sache. Wenn er die wirtschaftliche Sicht nicht kennt, fehlt ihm für eine Einordnung ein wesentliches Element.

    • Portrait_Felix_Schneider
      am 15.08.2022 um 23:29 Uhr
      Permalink

      Ich danke Hans Geiger für seine Reaktion. Ich finde allerdings, dass es diese rein wirtschaftliche, ganz korrekte, objektive und neutrale Betrachtungsweise nicht gibt. Schon die Fokussierung auf die Umverteilung und erst Recht die irreführende Verwendung des Begriffs Subvention zeigen, dass Schöchlis Beitrag ein Beitrag zum Abstimmungskampf um die AHV ist mit einer Tendenz, die Maillard kürzlich ebenfalls in der NZZ (das muss man ihr dann wieder lassen!) klar benannt hat: «Der politische Kampf dreht sich darum, dass die Reichen nicht mehr zusätzlich zahlen wollen».

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 14.08.2022 um 15:49 Uhr
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    Es gibt eben immer Leute, die Probleme finden, auch wenn es diese gar nicht gibt. Die AHV-Reserven waren noch nie so hoch und die solidarische Finanzierung der AHV durch «gutverdienende» hat noch nie eine so hohe «Quersubvention» geleistet, wie im vergangenen Jahr.

    Trotzdem ist der politische Wille zur «Sanierung» des Rentensystems ungebrochen.
    Wer verdient daran ?

    • am 16.08.2022 um 17:12 Uhr
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      Vor allem bei der zweiten Säule gibt es schon Leute, die profitieren! Da werden enorme Summen investiert, und die Eigentümer dieses Geldes haben nicht den geringsten Einfluss darauf, wie es investiert wird.

      • am 17.08.2022 um 08:33 Uhr
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        Die Grenzen der Aktionärsdemokratie fällt in dieses Kapitel. Das alles hat System. Via PK und Fonds kann das System gesteuert werden. Nicht nur die Kompensationen der PK-Verwalter und Fondsmanager, sondern auch generell die unverschämten Bezüge der Manager. Fragen Sie einmal Thomas Minder.

  • am 14.08.2022 um 16:50 Uhr
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    Und die Ökonomen, welche ja auch Akademiker, genauer Geisteswissenschafter sind, rentieren die für die Gesellschaft? Und wenn man dese Frage beantworten will: Soll man da rein ökonomisch denken, oder vielleicht doch mit etwas weiterem Horizont?
    P.S.: Es gibt unter den Ökonomen natürlich auch sehr kluge und vernünftige Leute, das soll keineswegs unterschlagen werden!

    • am 15.08.2022 um 22:11 Uhr
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      Daniel Heierli
      Genau, wir haben schon zu viele solcher vom Steuerzahler mit Stipendien subventionierten Akademikern mit Sackgassen denken – Siehe denken bei der AHV. Da ist das Geld sobald es der Rentner bekommt in einer Sackgasse wo es nie mehr rauskommt!
      Dabei übt das Geld der Rentner keine andere Funktion aus als bei Erwerbstätigen.
      Die Renten werden vom Rentner als Wirtschaftsteilnehmer wieder ausgegeben wo dieses Geld wieder für Umsatz sorgt und wiederum Löhne inkl. Sozialabgaben, Materialkäufe, Geschäftsmieten, Energierechnungen usw. bezahlt werden. Auch gibt es bei der AHV nicht nur Neurentner sondern auch Austritte, sei es durch Tod oder Ende der Leistungspflicht.

  • am 15.08.2022 um 09:20 Uhr
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    «Rentiert sich ein:e Geisteswissenschaftler:in?»
    Ohje, wird nächstens der Tell von Schiller genderkonform umgeschrieben?

    • am 16.08.2022 um 05:40 Uhr
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      Genau das ist mir auch aufgefallen und hier meine Bitte: Lieber Infosperber, fangt doch bitte nicht auch mit diesem Unding der genderkonformen Schreibweise an. Es macht überhaupt keine Freude, solche Texte zu lesen!

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 15.08.2022 um 10:19 Uhr
    Permalink

    Wenn ich in meinem Votum von «Quersubventionen» spreche, dann denke ich eben an die geniale Konstruktion der AHV, welche Solidaritä elegant mit mit einem dauerhaften Finanzierungssystem verbindet.

    Deshalb bich ich auch der Auffassung, dass dieses Konstrukt wesentlich besser ist, als es in der öffentlichen Diskussion oft erscheint. Steigende Einkommen ergeben naturgemäss höhere Finanzierungspotentiale und ermöglichen so das Weiterbestehens der solidaren Finanzierung dieser Institution.

  • am 15.08.2022 um 14:00 Uhr
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    Es spielt keine Rolle, ob man dem Subventionen oder sonstwas sagt. Die von Felix Schneider zitierten Zahlen zeigen ja gerade, dass Solidarität in hohem Mass stattfindet. Also? Und an Josef Hunkeler: Wenn die AHV-Vorlage im September bachab geht, reicht der AHV-Fonds schon schon in wenigen Jahren nicht mehr aus, um die jährlichen Ausgaben zu decken (und das ist gesetzliche Vorschrift!). Und auch wenn die Vorlage angenommen wird, gilt das ab Beginn der dreissiger Jahre. Das sind einfach Fakten, und wer sich diesen verschliesst, betreibt Politik zulasten der jüngeren Generationen.

  • am 15.08.2022 um 20:54 Uhr
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    Ich bin enttäuscht, dass der Infosperber Satire nicht besser kann.

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