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Gebühren von Betreibungen lassen den Schuldenberg anwachsen. Werden sie gesenkt, könnte aber die Qualität auf den Ämtern leiden – zum Nachteil von Betroffenen. © Depositphotos

Illegale Millionengewinne: Betreibungsämter geraten unter Druck

Andres Eberhard /  Wegen satter Gewinne will der Nationalrat die Gebühren bei Betreibungen senken. Experten warnen vor einer drohenden Privatisierung.

Mit einer emotionalen Rede enervierte sich FDP-Nationalrat Philippe Nantermod Anfang März dieses Jahres im Parlament über eine Ungerechtigkeit: «Wenn man öffentliche Gelder braucht, dann nimmt man sie von den Steuerzahlern und nicht von verschuldeten Menschen», sagte er.

Nantermod warb für eine von ihm eingereichte Motion, die vom Bundesrat verlangt, die Gebühren auf Betreibungs- und Konkursämtern zu senken. Stein des Anstosses: Viele kantonale Ämter machten in vergangenen Jahren satte Gewinne: allen voran Bern (18 Millionen Franken), Wallis und Tessin (je 11 Millionen), Freiburg (10 Millionen) sowie Neuenburg (8 Millionen). Dies ist einem Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle zu entnehmen.

Diese Gewinne prangerte Nantermod im Parlament zu Recht an: «Das ist illegal», sagte er. Denn mit Gebühren darf der Bund nicht seine Kassen füllen. Sie müssen das sogenannte Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip einhalten. Der Nationalrat nahm die Motion in der Frühlingssession schliesslich deutlich an.

Betreibungen werden immer mehr zum Massengeschäft

Die Mehrheit der Politikerinnen und Politiker ignorierte dabei allerdings, dass Leute an der Front die Vorlage als grosses Problem erachten. «Die Motion verschlimmert den Missstand im Betreibungswesen», sagt der Zürcher Betreibungsbeamte Yves de Mestral, Vorstandsmitglied der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz. Die Gebühren seien nicht zu hoch. So würden Betreibungsämter 8 Franken pro Seite, die von unterschiedlicher Komplexität sein könne, verlangen. Zum Vergleich: Krankenkassen dürfen gemäss Bundesgericht für eine automatisiert erstellte Mahnung bis zu 30 Franken verlangen.

De Mestral hat eine andere Erklärung dafür, dass manche Ämter derart hohe Gewinne schreiben: Sie wurden in den letzten Jahren zu überregionalen Grosseinheiten zusammengelegt. Tatsächlich wurden regionale Betreibungs- und Konkursämter just in jenen Kantonen zentralisiert, die heute durch Millionengewinne auffallen. Während (Vollzeit-)Mitarbeitende eines dezentralen Amts aus der Nordost-, Ost- oder Innerschweiz rund 1000 bis 1300 Betreibungsverfahren zu bewältigen haben, sind es in den Massenfabriken der lateinischen Schweiz sowie in Bern heute zwischen 2000 und 2700 Fälle, heisst es in einem Bericht aus der Stadt Zürich.

«Die fehlende Nähe zu den Menschen geht über kurz oder lang auf Kosten der Qualität des Verfahrens, insbesondere des Pfändungsvollzugs», sagt Yves de Mestral. Und dies schadet zuerst den Schuldnerinnen und Schuldnern: Wenn zum Beispiel bei einer Lohnpfändung das Existenzminimum unter Zeitdruck falsch berechnet wird, gerät der oder die Betroffene erst recht in die Schuldenfalle. Wenn Betreibungsbeamte mehr Zeit zum Recherchieren hätten, würden bessere Ergebnisse erzielt, sagt auch der frühere langjährige Winterthurer Stadtammann Roland Isler in einem Interview. «Es ist wichtig, dass der Betreibungsbeamte an der Front bleibt, was voraussetzt, dass er die lokalen Verhältnisse kennt. Ich bin überzeugt, dass mit dezentralen, kleineren Ämtern das Betreibungswesen effizienter würde.» Andere Fachleute wie der Lausanner Rechtsprofessor Hansjörg Peter gehen davon aus, dass Einsparungen bei Betreibungen und Pfändungen erhöhte Sozialkosten zur Folge haben könnten.

Werden die Gebühren nun gesenkt, wird die Entwicklung hin zum unpersönlichen Massengeschäft im Betreibungswesen zwangsläufig beschleunigt: Jene Ämter, die bis anhin noch nicht zusammengelegt wurden und auch keine Gewinne erwirtschaftet haben, werden dazu gedrängt. Wegen tieferer Einnahmen werden sie auch die Personalkosten reduzieren müssen.

Zwielichtiger Einsatz für die Schwächsten

Pikant: FDP-Nationalrat Nantermod selbst war es, der diese Entwicklung in seinem Heimatkanton Wallis, damals noch als Mitglied des Walliser Grossen Rates, mit Vorstössen vorantrieb. Er begründete die angestrebte Rationalisierung – eine Reduktion von 12 auf 6 Betreibungs- und Konkursämter im Kanton – ganz offen als Sparmassnahme. Schliesslich schlug der Kanton genau diesen Weg ein. Das zahlte sich ökonomisch wie beabsichtigt aus. Nun aber prangert Nantermod ebendiese hohen Gewinne an.

Überhaupt scheint Nantermods Einsatz für die Schwächsten zwielichtig. Als es vor rund einem halben Jahr darum ging, Schuldnerinnen und Schuldnern zu helfen, wehrte er sich in einem seltsam anmutenden Auftritt dagegen und sprach Banken, Inkassofirmen und anderen Gläubigern aus der Seele. Es war um die Frage gegangen, ob bei einer Lohnpfändung (die zum Zug kommt, wenn Schulden trotz Betreibungen nicht bezahlt werden) Arbeitgeber die laufenden Krankenkassenprämien direkt bezahlen sollten. Dies verhindert weitere Betreibungen und schützt damit vor der Schuldenfalle, wie die Stadtammänner aus Zürich rund um de Mestral in einem Pilotprojekt zeigen konnten. Nantermod dagegen warnte vor «skrupellosen Schuldnern», die Taktiken anwandten, um «sich selbst insolvent zu machen.» Er suggerierte also, dass sich manche aus purer Dreistigkeit nicht nur während Jahren von drückenden Inkassofirmen betreiben lassen, sondern auch das Risiko in Kauf nehmen, ihren Job zu verlieren. Denn kommt es zu einer Lohnpfändung, weiss der Arbeitgeber über die Schulden Bescheid – manchmal mit verheerenden Folgen.

Droht eine Privatisierung des Betreibungswesens?

Mal gibt sich Nantermod also als Anwalt der Schuldnerinnen und Schuldner, mal als deren Ankläger. Was ist davon zu halten? Kritiker vermuten Kalkül. Denn FDP-Mann Nantermod gilt in Bern als Deregulierer. Kürzlich hat er eine Motion eingereicht, mit der er die Privatisierung der Staatsunternehmen Post, Swisscom und SBB prüfen lassen will. Dasselbe könnte er auch bei den Betreibungs- und Konkursämtern anstreben. «Erst entzieht er den Betreibungs- und Konkursämtern die Finanzen, damit sinkt die Qualität – die Privatisierung drängt sich auf», so de Mestral. Damit könnte eine Situation wie in Deutschland entstehen: Dort sind private Inkassofirmen fürs Betreibungswesen zuständig – und machen damit Milliardengewinne. Auch hierzulande dürften Inkassofirmen hinter den Kulissen für eine solche Entwicklung lobbyieren. Ob sie dies auch bei Nantermod tun und ob der Walliser Nationalrat eine solche Entwicklung befürworten würde, ist unbekannt. Auf Anfragen des Infosperbers reagierte er nicht.

Die Gebührensenkung auf Betreibungs- und Konkursämtern kommt nun in den Ständerat. Der Bundesrat lehnt die Motion zwar ab, ist aber mitschuldig an deren Erfolg. Schliesslich bleibt die Landesregierung seit Anfang 2021 einen Bericht zur störenden Gewinnsituation trotz mehrfacher Ankündigung schuldig. Und die zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP) kämpfte bis anhin halbherzig gegen die Vorlage ihres Parteikollegen.

Stimmt auch der Ständerat zu, muss der Bund Gebührensenkungen möglich machen  – entweder indem er sie über die Gebührenverordnung generell senkt oder indem er den Kantonen erlaubt, Anpassungen vorzunehmen, wenn ihre Betreibungs- und Konkursämter ungerechtfertigte Gewinne erzielen.

«Dies wäre eine kleine Änderung, aber sie würde das Leben der Menschen verbessern, die leider die Schwächsten in unserer Gesellschaft sind, was ihre finanziellen Mittel betrifft, nämlich Schuldner ohne Geld oder Gläubiger, die versuchen, ihre Schulden zu begleichen», sagte Nantermod in seiner Rede vor dem Nationalrat in gewohnt rührseliger Manier.

Dass Schuldnerinnen und Schuldnern mit einer Senkung der Gebühren tatsächlich geholfen wird, ist höchst fragwürdig. Einiges spricht dafür, dass Schuldnerinnen und Schuldner mehr profitieren würden, wenn sich Betreibungsbeamte genügend Zeit nehmen würden für ihre Situation. Kommt dazu, dass sich das Problem mit den Millionengewinnen von kantonalen Betreibungs- und Konkursämtern möglicherweise sogar von alleine entschärfen wird. Denn Krankenversicherer dürfen wegen einer kürzlich erfolgten Gesetzesänderung in Zukunft weniger oft betreiben. Dies wird die Einnahmen der Ämter merklich schmälern: Jede vierte von jährlich insgesamt rund 3 Millionen Betreibungen stammt von Krankenkassen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Eine Meinung zu

  • am 16.05.2022 um 12:11 Uhr
    Permalink

    Dieser FDP-Mann Nantermod scheint ein sehr zwielichtiger Politiker zu sein. Eine Walliser Windfahne wie sie im Buche steht. Er politisiert so, wie es ihm gerade in den Kram passt und was ihm am meisten Aufmerksamkeit bringt. Leider gibt es noch mehr solche Politiker und das sieht man dann auch an den fragwürdigen Resultaten in beiden Räten. Aber eben, jedes Land hat die Regierung und das Parlament welches es verdient und das Schlimme daran ist, dass wir nur diejenigen wählen können, die sich jeweils zur Wahl stellen. Ob sie gut oder schlecht sind, stellt sich dann eben erst später heraus und kann dann erst nach 4 Jahren wieder korrigiert werden.

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