Kommentar

«Wir zeigen unser Gesicht»

Heinz Moser © zvg

Heinz Moser /  Die Diskussion um eine Leitkultur nimmt in Deutschland wieder Fahrt auf. Schliesslich sind im Herbst Bundestagswahlen.

In unserem Nachbarland ist die Aufregung gross, seit Innenminister Thomas de Maizière kürzlich in «Bild am Sonntag» Thesen zu einer deutschen Leitkultur veröffentlicht hat. Schliesslich sind im Herbst Wahlen und die C-Parteien CDU beziehungsweise CSU greifen nicht zum ersten Mal auf das Konzept einer Leitkultur zurück, die es zu verteidigen gelte. Plakativ und in der Ausrichtung klar ist es, wenn de Maizière formuliert. «Wir sind eine offene Gesellschaft. Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka.» Mit solchen markigen Worten zum Islam will man der rechten Konkurrenz von der AfD Stimmen abjagen.

Deutschland, ein christlich geprägtes Land

Doch wer will bestreiten, dass «wir» nicht Burka sind? Die Thesen zur Leitkultur entpuppen sich als selbstgefällige Allgemeinplätze. Das hört sich dann im Tonfall von de Maizière wie folgt an: «Wir sehen Bildung und Erziehung als Wert und nicht allein als Instrument.» Oder: «Wir haben in unserem Land eine Zivilkultur bei der Regelung von Konflikten.» «Wir sind aufgeklärte Patrioten.»

Letztlich geht es de Maizière primär doch um das christliche C seiner Partei. So meint er: «In unserem Land ist Religion Kitt und nicht Keil der Gesellschaft. Kirchliche Feiertage prägen den Rhythmus unserer Jahre. Kirchtürme prägen unsere Landschaft. Unser Land ist christlich geprägt. Wir leben im religiösen Frieden.» Doch sind unsere säkularisierten westlichen Gesellschaften noch so christlich fundiert, wie es die Kirchturm-Politik des deutschen Innenministers suggeriert. Zweifel sind angebracht. Gerade der Osten Deutschlands war bis 1989 mit der DDR nicht so christlich geprägt, wie es de Maizière haben möchte.

Ein Sammelsurium von Verhaltensweisen und Normen

Ganz wohl scheint es indessen dem Innenminister mit seinen Thesen nicht zu sein. So sieht er selbst die Gefahr von «undifferenzierten Bedenken». Denn es gebe immer wieder Ausnahmen und auch Unterschiede, die zu berücksichtigen sind. Doch ebenso klar ist es für ihn, dass es «erprobte und weiterzugebende Lebensgewohnheiten» gibt, die es wert sind, erhalten zu werden. Doch im selben Atemzug relativiert er schon wieder: «Was in Deutschland gilt, kann genauso in Frankreich gelten. Umgekehrt ist auch richtig: Andere Länder, andere Sitten.»

Wo ist dann aber noch die Leitkultur anzusiedeln – offensichtlich bei einem Sammelsurium von Verhaltensweisen und Normen, die im Grunde beliebig sind und sich im Verlauf der Jahre verändern. «Wir sagen unseren Namen. Wir geben uns zur Begrüssung die Hand.» Ja sicher. Doch das Händeschütteln als Begrüssungsritual passiert nach meinen Erfahrungen auch unter Bekannten in Deutschland nicht sehr oft.

Verfassung oder Leitkultur

In Deutschland haben die Thesen des Innenministers eine heftige Diskussion angezettelt, die auch Philosophen wie Jürgen Habermas auf den Plan rief. Für ihn ist eine deutsche Leitkultur unvereinbar mit dem Grundgesetz. Der Kern der politischen Kultur bildet nach ihm die Verfassung selbst. Und das bedeute, so Habermas in der «Rheinischen Post»: «Erforderlichenfalls können Minderheiten sogar kulturelle Rechte einklagen, die ihnen erlauben, die Integrität ihrer Lebensform im Rahmen der gemeinsamen politischen Kultur zu wahren. Keine Muslima darf dazu genötigt werden, beispielsweise Herrn de Maizière die Hand zu geben.»

Die Verfassung vor eine vermeintliche Leitkultur zu stellen, macht Sinn. Auch für die Schweiz mit ihren vier sprachlichen Wurzeln wäre es schwierig, eine «Leitkultur» auszumachen, wenn man darin mehr als einen Mix von «Fondue» und «Rösti» sehen will. Gerade die Bundesverfassung, die sich die Schweiz als Willensnation gegeben hat, ist der Kitt, der auch das zusammenhält, was nicht ins Schema einer übergreifenden Leitkultur hineinpasst.


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Eine Meinung zu

  • am 14.05.2017 um 03:01 Uhr
    Permalink

    Es kann durchaus sinnvoll sein, sich ab und an Gedanken über die Kultureigenschaften seiner Heimat zu machen. Wer nicht weiss, woher er kommt, der weiss auch nicht, wohin er geht. Für mich persönlich wurde das erst ein Thema, als ich mich dauerhaft in Indonesien niederliess – weil mich so viele Leute, vorwiegend Hindus und Moslems danach fragten, und freilich auch, weil ich mich in eine neue Kultur schickte. Der ich mich notabene anzupassen hatte, wollte ich in Frieden leben. Ich glaube, die Schweizer haben es – dank der 4 Landessprachen – einfacher als die Deutschen, ihre Leitkultur zu definieren. Mein Lieblingsbeitrag in dieser Diskussion ist immer noch jener Der Anstalt:
    https://www.youtube.com/watch?v=kvYyeFHM1-8

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