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Hermann-Josef Venetz: «Ja, was haben denn diese alten, zölibatären Männer zur Sexualität zu sagen?» © cathfrcvs

Walliser Theologe liest dem Bischof die Leviten

Kurt Marti /  Der Theologe Hermann-Josef Venetz nimmt den Bischof von Sitten ins Gebet, nachdem dieser erklärte, Homosexualität sei «heilbar».

Am letzten Dienstag hat der Vatikan das Arbeitspapier für die Bischofs-Synode im Oktober vorgestellt. Bezüglich der Homosexualität gibt es nichts Neues. Das vatikanische Papier versteckt sich nach wie vor hinter schönen Worten: Die Homosexuellen sollen «respektiert» werden. Klartext hingegen reden konservative Bischöfe wie Jean-Marie Lovey von Sitten, der vor kurzem gegenüber dem «Nouvelliste» erklärte, Homosexualität sei «eine Schwäche der Natur» und folglich «heilbar».

Unter dem Druck der öffentlichen Proteste krebste er zwar zurück und sagte, er sei falsch verstanden worden. Doch seine Worte waren zu eindeutig, um falsch verstanden zu werden. Der Bischof von Sitten drückte damit nichts anderes aus, als die traditionelle Doktrin des Vatikans.

«Nicht auf dem Stand des aktuellen Wissens»

Die Aussagen des Bischofs von Sitten fielen im Zusammenhang mit der Gay Pride in Sitten. Das Regionaljournal Bern, Freiburg und Wallis sendete dazu ein aufschlussreiches Interview mit Hermann-Josef Venetz, dem emeritierten Professor für neutestamentliche Theologie an der Uni Freiburg (siehe Link unten).

Darin geht Venetz mit dem Vatikan und mit dem Bischof von Sitten hart ins Gericht: Die Aussagen von Bischof Jean-Marie Lovey seien «nicht auf dem Stand des aktuellen Wissens» bezüglich der Homosexualität. Und in Rom würden ein paar hundert «mehr oder weniger alte, zölibatäre Männer» über Ehe, Familie und Sexualität diskutieren. Für die Kritik der Homosexuellen habe er vollstes Verständnis, denn Homosexualität sei etwas «Natürliches» und «Selbstverständliches». Das wisse man schon seit Jahrtausenden. Nachfolgend das Interview mit dem Theologen Hermann-Josef Venetz, das SRF-Redaktorin Priska Dellberg geführt hat:

Regionaljournal: Hermann-Josef Venetz, wenn Sie hören, dass zwei Homosexuelle sagen, wir erwarten überhaupt nichts mehr von der katholischen Kirche, können Sie das verstehen?

Hermann-Josef Venetz: Ja, das verstehe ich durchaus. Vor allem macht mich das traurig. Das darf nicht sein. Das ist kein gutes Image für die Kirche. Umgekehrt müsste es sein. Diese Leute haben sonst schon Schwierigkeiten in der Gesellschaft. Jetzt muss nicht die Kirche auch noch kommen und diese auch noch wegschieben. Ich finde das einen sehr traurigen, recht lamentablen Zustand.

Wenn man nun zum Beispiel den Bischof hört, auch wenn er sich nachher entschuldigt hat und sagte, man habe ihn falsch verstanden, der davon sprach, dass Schwulsein heilbar sei, dann ist es doch verständlich, dass die Leute so reagieren?

Ja, das ist mehr als verständlich. Und wenn der Bischof noch einmal darüber schläft oder einmal ein einschlägiges Buch liest, dann müsste er merken, dass er nicht auf dem neusten Stand der diesbezüglichen Forschung ist. Also so kann man ja nicht reden.

Bischof Lovey von Sitten: «Homosexualität ist heilbar»

Denkt denn die Kirche so, wie der Bischof das gesagt hat?

Was ist die Kirche? Sind das jetzt die Hierarchen in Rom? Aber das ist nicht die Kirche. Die beiden haben ja auch einmal zur Kirche gehört. Sie gehören zur Kirche und sie dürfen da nicht einfach ausgegrenzt werden. Wenn wir immer sagen, wie denkt die Kirche, dann muss man solche Leute fragen. Für mich ist es sehr schwierig zu akzeptieren, dass jetzt im Herbst der zweite Teil der Synode über Ehe, Familie und Sexualität vorwärts geht, und wer kommt da zusammen? Da kommen ein paar hundert mehr oder weniger alte, zölibatäre Männer zusammen. Ja, was haben die denn zur Ehe, Familie und Sexualität zu sagen? Es läuft verkehrt.

Haben Sie das Gefühl, dass die katholische Kirche als Institution im Wallis konservativer ist als an anderen Orten?

Das ist eine Aussage eines Bischofs gewesen, der sich da wahrscheinlich nie vertieft kundig gemacht hat und der nicht weiss, wie der Stand der Forschung ist. Wir müssen doch auch auf die Forschung schauen. Was sagen heute die Mediziner dazu?

Die sagen, dass Homosexualität keine Krankheit ist.

Auf das müssen jene, die in der Kirche das Sagen haben, eingehen. Die müssen sich von der Wissenschaft, der Medizin und der Psychologie etwas sagen lassen. Das sind diejenigen, die uns sagen, wie es in der Wirklichkeit aussieht. Und was da drinliegt und was nicht drinliegt. Da können wir nicht nach irgendeinem vermeintlichen Glaubenssatz Sachen herauslassen, die in der Wirklichkeit nicht greifen. Das ist so schade, dass das auseinanderklafft. Dass man sagt, hier ist die Welt und da ist die Kirche. Die Kirche muss sich mit der Welt auseinandersetzen. Sie soll auf die Welt zugehen. Sie soll die Probleme ernst nehmen und aufarbeiten.

Im Moment hat man nicht den Eindruck, dass das passiert. Beispielsweise wie die Kirche mit den Geschiedenen umgeht. Also der Reformbedarf ist riesig?

Ja, der ist sehr gross. Es gibt einen grossen Reformstau. Das war wahrscheinlich immer schon so. Die Kirche ist ein Weltunternehmen und die Leute an deren Spitze verwalten das Weltunternehmen und gehen nicht voraus. Die sind immer ein bisschen zurück.

Der Bischof hat ja auf die Gay Pride in Sitten reagiert. Können Sie da verstehen, dass Schwule und Lesben im Wallis das Gefühl haben, wir müssen uns sichtbar machen? Vielleicht weil die Kirche so kritisch eingestellt ist, die die Gesellschaft immer noch ein stückweit beeinflusst?

Dafür habe ich Verständnis. Ich habe zu wenig Kontakt mit diesen Leuten. Aber für mich sind das auch keine Exoten. Die gehören einfach zu unserer Gesellschaft. Homosexualität ist etwas Natürliches, ja man kann sagen, etwas Selbstverständliches. Aber das wissen wir doch schon seit Hunderten und Tausenden von Jahren, aber es gibt einfach Kreise, die das nicht zur Kenntnis nehmen. Und das sich dann solche Homosexuelle melden und sich sichtbar machen, ist nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern eine willkommmene Art und Weise, die Gesellschaft zu verändern, und zwar zu einem guten, geschwisterlichen Verhältnis zueinander. Und nicht von oben nach unten. Aber das verlangt auch, dass diejenigen Kreise in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Und nicht nur einfach immer darauf warten, dass man sie mit offenen Armen empfängt, sondern sie müssen sich auch einsetzen. Und das wird auch gemacht. Es gibt auch homosexuelle Bischöfe und Priester, die ihren Mann respektive ihre Frau stellen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti ist Journalist und wohnt in Brig-Glis. Er ist mit dem Schriftsteller und Pfarrer Kurt Marti nicht verwandt.

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