Synode_Rom

Synode 2014 in Rom: Zölibatäre Expertenrunde zum Thema Sexualität © ard

Wahlverwandtschaft der religiösen Sexualmoralisten

Kurt Marti /  Die Sexualmoralen der katholischen Kirche und des Islamischen Zentralrats Schweiz (IZRS) weisen verblüffende Gemeinsamkeiten auf.

Philipp Isenegger
Vikar Philipp Isenegger in seinem Video gegen die Onanie.

ktm. Ein groteskes Video des katholischen Vikars Philipp Isenegger schlägt hohe Wellen und erzeugt breite Empörung. Er behauptet, Onanie sei «Selbstzerstörung» und «erfüllte Sexualität» nur in der sakramentalen Ehe möglich. Was Isenegger sagt, ist nichts anderes als die Lehre des katholischen Katechismus und weist zudem verblüffende Gemeinsamkeiten mit den Ansichten des Islamischen Zentralrats Schweiz (IZRS) auf, wie ein früherer Artikel ausführt, der am 23. Oktober 2014 auf Infosperber erschienen ist. Aus aktuellem Anlass stellen wir ihn erneut online.

Zwei Wochen diskutierten rund 200 zölibatäre Bischöfe und Kardinäle über die Sexualmoral der katholischen Nicht-Zölibatären. Ohne nennenswertes Resultat. Beispielsweise findet sich im Schlussdokument kein einziges Wort zur Diskriminierung der Homosexuellen durch die katholische Lehre und Praxis. Das ist freilich aufgrund der historischen Wurzeln nicht weiter erstaunlich.

Erstaunlicher hingegen ist die Gemeinsamkeiten der Sexualmoral des katholischen Katechismus mit jener des Islamischen Zentralrats Schweiz, der die Fragen zur Sexualmoral unter dem Titel «Die perfekte ‚Affäre‘ – Sexualität im Islam» auf seiner Internetseite abhandelt. Nachfolgend ein Vergleich bezüglich der Homosexualität, der Masturbation, der Unzucht und der Sexualerziehung in der Schule.

Homosexualität als «schlimme Abirrung»

«Der Vatikan geht auf Schwule und Lesben zu», frohlockten vor Wochenfrist die Medien fast unisono, als die Synode in ihrem Zwischenbericht bekannt gab, dass «Homosexuelle die christliche Gemeinschaft bereichern könnten». Ja, haben denn die kommentierenden Journalisten und Redaktoren noch nie etwas vom katholischen Katechismus gehört, geschweige denn darin gelesen? Speziell Artikel 6 über das sechste Gebot? Zwar sind darin dieselben Schalmeien-Klänge für die Schwulen und Lesben zu vernehmen: «Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen. Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen.»

Doch grundsätzlich ist die Homosexualität laut Katechismus «gestützt auf die Heilige Schrift (Gen 19, 1-29; Röm 1,24-27; 1 Kor 6,10; 1 Tim 1,10)» eine «schlimme Abirrung» und «die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung». Sie verstossen laut Katechismus «gegen das natürliche Gesetz», weil dabei die «Weitergabe des Lebens» beim Geschlechtsakt ausgeschlossen bleibe. Deshalb seien sie «in keinem Fall zu billigen».

Mit «Keuschheit» zur «Vollkommenheit»

Homosexuelle Menschen sind laut katholischem Katechismus «zur Keuschheit gerufen». Durch die «Tugenden der Selbstbeherrschung» sollen sie sich «entschieden der christlichen Vollkommenheit annähern». Der «Päpstliche Rat für die Familie» sieht die Homosexualität gar als heilbar: «In vielen Fällen kann, insbesondere wenn die Praxis homosexueller Handlungen nicht verfestigt ist, eine geeignete Therapie zu positiven Ergebnissen führen.»

Von dieser rigorosen Haltung wird der Vatikan auch in einem Jahr, wenn die Synode in ihre zweite Phase geht, nicht abrücken, weil die Konsequenzen für die katholische Sexualmoral ruinös wären. Denn die gesamte katholische Sexual- und Fortpflanzungsmoral geht davon aus, dass die Sexualität nur im Zusammenhang mit der Fortpflanzung einigermassen akzeptabel ist, keineswegs aber nur zur egoistischen Erzeugung von Lust.

Deshalb lehnt der katholische Katechismus neben der Homosexualität auch alle Sexual-Praktiken ab, die diese Forderung missachten: Verhütung, Masturbation, Prostitution und Pornografie. Wenn der Vatikan homosexuelle Handlungen akzeptieren würde, wäre es um das ausgeklügelte Gebäude der katholischen Sexualmoral geschehen.

Der schwängernde Augustinus hatte sich geirrt

Die Verbindung von Sexualität und Fortpflanzung geht auf die negativen sexuellen Erfahrungen des heiligen Augustinus (354 – 430) zurück, der im Alter von 17 Jahren ein Mädchen unehelich schwängerte, weil er dessen unfruchtbare Tage falsch berechnete. In seinen Memoiren («Bekenntnisse») bezeichnete er sein Verhältnis zu ihr «eine lose Verbindung unreiner Liebe, wo Kinder sehr unwillkommen sind».

Zwölf Jahre später schickte er die Mutter seines Sohnes buchstäblich in die afrikanische Wüste. Sein Ärger über die missglückte Verhütung machte ihn nach seiner Bekehrung zum Christentum zum Gegner jeglicher Verhütung. Aus dem anfänglich sexuell ausschweifenden, römischen Bürger wurde der Begründer der körper- und lustfeindlichen, katholischen Sexualmoral mit deren Fixierung der Sexualität auf die Fortpflanzung.

Auch der Islamische Zentralrat Schweiz argumentiert «augustinisch», wenn er erklärt: «Der sexuelle Trieb des Menschen wurde ihm gegeben, um die Fortpflanzung seiner Art zu ermöglichen.» Sexuelle Befriedigung solle deshalb «entsprechend der islamischen Rechtsphilosophie innerhalb einer Ehe stattfinden».

Doch der IZRS lehnt die Homosexualität nicht nur aus diesem Grund ab, sondern liefert auch ganz praktische Anweisungen: Der Analverkehr sei «eine verbotene sexuelle Handlung» und zwar sowohl zwischen Mann und Frau («kleine Homosexualität») als auch zwischen zwei Männern. Die Begründung liefert dem IZRS ein Satz in der Sunna: «Komm von vorne oder hinten, aber hüte dich vor dem After.»

Masturbation erhitzt die religiösen Gemüter

Seit Jahrtausenden erhitzt die Masturbation die Gemüter der religiösen Sexualmoralisten. Sowohl der Islamische Zentralrat Schweiz als auch der Vatikan lehnen die Selbstbefriedigung grundsätzlich ab. Auch hier zeigt sich das bekannte Argumentationsmuster: Laut dem IZRS ist der sexuelle Trieb des Menschen dafür da, «um die Fortpflanzung seiner Art zu ermöglichen». Die sexuelle Befriedigung solle «innerhalb der Ehe stattfinden». Deshalb «befürwortet der Islam die Selbstbefriedigung nicht». Doch unter gewissen Umständen ist der IZRS bereit, ein Auge zuzudrücken und sieht die Masturbation «als vorübergehendes Mittel für den Schutz vor der Befriedigung in einer nicht erlaubten Beziehung».

In hochgestelztem Deutsch philosophiert der Vatikan im katholischen Katechismus über die Masturbation als «schwere ordnungswidrige Handlung», weil ihr die «von der sittlichen Ordnung geforderte geschlechtliche Beziehung» fehle, jene nämlich, «die den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe als auch den einer wirklich humanen Zeugung in wirklicher Liebe realisiert». Im Klartext: Sexualität ist nur im Kontext der Ehe und im Hinblick auf die Fortpflanzung erlaubt.

Wie der IZRS zeigt sich auch der Vatikan in gewissen Fällen nachsichtig. Laut dem «Päpstlichen Rat für die Familie» liegt «nicht immer eine schwere Schuld» vor, insbesondere im Pubertätsalter nicht. Da könne «ein gestörtes seelisches Gleichgewicht…die Freiwilligkeit der Handlung herabmindern». Deshalb müsse den betroffenen Jugendlichen in diesem Zustand der «Verirrungen» und der «egoistischen Sichtweise der Geschlechtlichkeit» geholfen werden.

Schon der gierige Blick macht «schuldig»

Eine grosse Gefahr sieht der Vatikan und der IZRS im lüsternen und gierigen Anblick des anderen Geschlechts. Der katholische Katechismus verweist auf die Bibel, wo drinsteht: «Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen».

Laut dem IZRS ist «der Muslim verpflichtet beim Anblick einer Frau, seinen Blick in gebührender Weise zu senken und nicht in Gier und Lust auf sie zu starren». Gleiches gelte auch für die Muslima. Wer dennoch willentlich «von Lust getrieben das andere, fremde Geschlecht anstarrt», der mache sich «der Unzucht durch das Auge schuldig».

Als «Unzucht» bezeichnet der katholische Katechismus das Konkubinat, das ein «schwerer Verstoss» gegen die «Würde der Ehe» und der «menschlichen Geschlechtlichkeit» sei, die «von Natur aus auf das Wohl der Ehegatten sowie auf die Zeugung und Erziehung von Kindern hingeordnet» sein müsse. Auch der IZRS sieht das so: «Der Islam verbietet jede intime Beziehung zwischen den Geschlechtern ohne Vollzug einer gültigen Nikah (Ehevertrag).»

«Die einzig wahre und sichere Erziehung»

In unseren Breitengraden bleiben zurzeit die Auswirkungen der geschilderten, geistigen Trockenübungen über die Sexualität sehr beschränkt. Dennoch ist gegenüber den Gegnern einer offenen Gesellschaft stets höchste Wachsamkeit geboten. Sowohl die katholischen als auch die islamischen Fundamentalisten versuchen nämlich die gegenwärtige Durststrecke auf dem Weg zu ihrem jeweiligen, zukünftigen Gottesstaat mit der Instrumentalisierung der Schulen zu überbrücken.

Sowohl der IZRS als auch der Vatikan erklären die Sexualerziehung als Sache der Eltern, um sie einer freiheitlichen, säkularen Diskussion in den öffentlichen Schulen möglichst zu entziehen. Der ISZS lehnt die angebliche «kollektive Zwangssexualisierung an öffentlichen Schulen» ab. «Ob, wie, in welchem Ausmass und wann Kinder mit ihrer natürlichen Sexualität konfrontiert werden sollen», sei klar Sache der Eltern. Moral könne und dürfe «nicht von Erziehungsdirektoren diktiert werden».

Das sieht der Vatikan auch so: «An erster Stelle müssen die Eltern die säkularisierte und geburtenfeindliche Sexualaufklärung ablehnen», verlangt der «Päpstliche Rat für die Familie» und warnt eindringlich vor «Sexualerziehern, -beratern und -therapeuten», die ihre Arbeit «nicht selten auf schädlichen Theorien ohne wissenschaftlichen Wert basieren, die sich gegenüber einer echten Anthropologie verschliessen und die wahre Bedeutung der Keuschheit verkennen».

Im Hinblick auf die Ausbreitung von AIDS werde «eine Erziehung zum risikolosen Geschlechtsverkehr» angeboten. Die Eltern müssen aber laut dem «Päpstlichen Rat für die Familie» den sogenannten «safer sex» ablehnen. Das sei eine «gefährliche und unmoralische Politik», die auf der «irrigen Meinung» basiere, «das Präservativ könne einen angemessenen Schutz vor AIDS gewährleisten». Stattdessen müssten die Eltern «auf der Enthaltsamkeit ausserhalb und der Treue innerhalb der Ehe beharren». Das sei «die einzig wahre und sichere Erziehung, um einer solchen Ansteckung vorzubeugen».

Politiker gegen die «Sexualisierung» der Schule

Was der Vatikan und der Islamische Zentralrat möchte, verlangen auch einige konservative Politiker und Politikerinnen der SVP, CVP, EDU und der FDP mit der Volksinitiative «Schutz vor Sexualisierung in Kindergarten und Primarschule». Sie fordern: «Sexualerziehung bleibt Sache der Eltern. Kein Sexualkundeunterricht vor 9 Jahren. Ab 9 Jahren freiwilliger Sexualkundeunterricht. Ab 12 Jahren obligatorischer Biologieunterricht.» Nur so könnten «unsere Kleinsten vor Pornographie und Sexualisierung» geschützt werden. Co-Präsidenten sind der ehemalige Luzerner CVP-Nationalrat Pius Segmüller, der frühere Kommandant der Schweizer Garde des Vatikans, und der Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner.*

* Das Initiativkomitee hat am 29. Juni 2015 entschieden, die Volksinitiative zurückzuziehen und das Initiativ-Komitee in einen Verein umzuwandeln, dessen Präsident alt SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi ist.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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