Verschleiern oder «köpfen», das ist hier die Frage
Es ist das Verdienst der Online-Zeitung FrauenSicht – die sich selbst als «führende Informationsquelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern» bezeichnet –, dass sie den Genderblick auch für deutschsprachige Leser*innen auf die Web-Sammlung «The Headless Women of Hollywood» (Die kopflosen Frauen von Hollywood) lenkt.
Am einzelnen Beispiel fällt es womöglich nicht auf. Und beim Plakat zum Film «Hope Lost» beispielsweise mag die Reduktion «der Frau» auf BrüsteBauchSchoss und Strichcode auf dem Slip sogar passend zum Inhalt sein. (Der Zuhälter einer jungen Rumänin verkauft sie an einen Untergrund-Pornoring.) Aber das von der New Yorker Stand-up-Comedian, Musikerin und Schriftstellerin Marcia Belsky initiierte Online-Archiv von (bis jetzt über hundert) Filmplakaten sowie ähnliche Beispiele «im Fernsehen, in Filmen, auf Buchdeckeln und in der Werbung» (FrauenSicht) machen deutlich: Das «Köpfen» von Frauen hat System.
Ist die Darstellung von Frauen als «gesichtslose und damit austauschbare Objekte» (Belsky, FrauenSicht) die Antwort Hollywoods & Co. auf die zur interkulturellen Kampfzone gemachte Verschleierung, die Frauen, je nach soziokulturellem Kontext, befohlen oder verboten wird beziehungsweise noch werden soll? Die kopflosen Weiber pauschal als Opfer patriarchaler Bildschnitte zu definieren, wäre, vermutlich, der (eurozentrischen) Anmassung vergleichbar, die Verhüllung generell als Unterjochung «der Frau» deutet. Nach dem Motto: Du bist unterdrückt, du hast es nur noch nicht gemerkt.
Nationale Identitäten in Zeiten der Globalisierung & Individualisierung
Ausgerechnet jene rechtskonservativen Kreise – die noch in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts die Abschaffung des männlichen Machtwortes durch das neue Eherecht (erfolglos) bekämpft oder den Begriff «Gender» im Lehrplan 21 (erfolgreich) attackiert haben – fordern jetzt am lautesten das Ablegen des Schleiers als Zeichen der Gleichberechtigung von Mann & Frau als zwingende Vorleistung der Integration jener ein, die sich, beispielsweise, um das «Privileg» des Schweizer Passes bewerben.
In Zeiten von Individualisierung & Pluralisierung, Globalisierung & Multikulturalität, Dekonstruktion & Vielfalt wird es zunehmend schwieriger, festzuschreiben, was «Integration» oder «schweizerische Identität» eigentlich bedeutet. Die Mehrheit der Teilnehmer*innen der SRF Arena vom 17. Juni 2016 zum Thema «Gut genug für den Schweizer Pass?» konnte sich über die Sprache und die Respektierung der Verfassung hinaus gerade noch knapp auf die verräterisch ökonomistische Formel «jemand muss für sich selber schauen können» (=keine Sozialhilfe) einigen. Und natürlichnatürlich auf die Gleichstellung. Weil auch das kompliziert werden könnte, klammern sich viele – vergleichbar dem pädagogisch & didaktisch überforderten Schulpfleger, der Schüler*innen daran beurteilt, ob sie über den Heftrand hinausgeschrieben haben oder nicht – an scheinbar eindeutige & handfeste Kriterien. Immer schön s’Händli gä und keine Schleier der kürzeren oder längeren Art tragen. Ausser an Hochzeiten.
Warum eigentlich sind Schleier auch gut eidgenössischen Bräuten erlaubt? Weil sie an diesem schönsten Tag ihres Lebens, damit nichts schief geht, dem Rat des Korans folgen sollen? «Prophet! Sag deinen Gattinnen und Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen (wenn sie hinausgehen) sich etwas von ihrem Gewand über den Kopf herunterziehen. So ist es am ehesten gewährleistet, dass sie (als ehrbare Frauen) erkannt und nicht belästigt werden» (zitiert aus «ABC des Islams», NCBI Schweiz).
Es ist im Spannungsfeld von Schleier & Kopflosigkeit in erster Linie und zu Recht vom Frauenbild, das da unterstellt & konstruiert wird, die Rede. Denn der Frauenkörper beziehungsweise seine Bekleidung & Verhüllung wird in allen (patriarchalen) Kulturen männlicher Definitionsmacht unterworfen. «Anders als Frauen in Burkas oder Niqabs», schreibt Anja Burri am 1. Oktober 2015 im Tages-Anzeiger, «sind muslimische Männer in Kutten regelmässig in allen grösseren Schweizer Städten beim Missionieren anzutreffen. Doch das Egerkinger Komitee [Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot», Jm] zielt trotzdem lieber auf verhüllte Frauen anstatt auf bärtige Männer.»
Kopf oder Körper
Es muss aber, zumindest für einen Moment, auch ein kritischer Blick auf das mit-kolportierte Bild «des Mannes» geworfen werden. «Der Mann» gilt offensichtlich in vielen Kulturen noch immer nicht als Sexualobjekt. Sein Körper und seine Kleidung werden bei öffentlichen Auftritten nur selten thematisiert. Umso bedrohlicher scheint für «den Mann» die das Sexuelle verkörpernde «Frau» zu sein. Ein kurzer Blick auf nackte Haut kann ihn nachhaltig verwirren & ins sündige Elend stürzen. Davor muss er mit der Verschleierung «des Weiblichen» geschützt oder durch das Köpfen «der Frau» zumindest verhindert werden, dass sie ihn, so die Unterstellung, bei gierigen Blicken oder unzüchtigen Phantasien angesichts ihres (zerstückelten) Körpers ertappt. Das heisst für «die Frau»: Asexueller Kopf oder verführerischer Leib. Verschleiern oder «köpfen». Das ist hier die Frage. Subjekt oder Objekt. Beides zusammen – eigene Gedanken, Gefühle, Begehrlichkeiten, Visionen und Fähigkeiten plus (erotischer) Körper – scheinen zu bedrohlich. Bei «den Frauen», aber, vermutlich, auch bei «den Männern».
Die «Eiskönigin» mit Leopardenpumps
Das zeigen auch die ersten Darstellungen der neuen Premierministerin Grossbritanniens, die bereits als «hölzerne Lady» (NZZ, 13.7.2016) und «Eiskönigin» (Tages-Anzeiger, 13.7.) etikettiert wird. Theresa May wird im Tagi-Kommentar «Gläserne Klippen» vom 13. Juli bildmässig auf ihre «ausgefallenen» (& wilden) Leoparden-Pumps reduziert. Dafür ist sie im Text ganz Ratio. Die Frauen «dieser Führungsgeneration», schreibt Edgar Schuler über sie, Angela Merkel und Hillary Clinton, wirkten alle «wie in solide Blöcke gegossener gesunder Menschenverstand. Die vernünftigen Reden, die praktischen Kleider, die zeitsparenden Frisuren – alles strahlt staatstragende Verlässlichkeit aus.» Schliesslich sei es nun an ihr, «am einzigen Erwachsenen weit und breit», das heillose Durcheinander «aufzuräumen», das «ein wilder Haufen ungezogener Jungs» angerichtet habe. Und darunter die Leoparden-Schuhe mit der Bildlegende: «Der bunte Tupfer ist die Ausnahme: Das Schuhwerk von Theresa May.» Immerhin – ein paar Seiten weiter vorn ist die «Eiskönigin» mit grossem Porträtbild zu sehen. Eine Frau mit Kopf und Fuss. Der Tages-Anzeiger ist schliesslich nicht Hollywood.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Die Argumentationslinie dieses Artikels bleibt für mich unklar. Der Analogieschluss vom Filmplakat zur vollvermummten Frau ist logisch nicht zwingend. Was möchte uns Jürg Meier mitteilen? Dass wir die Behandlung muslimischer Frauen nicht zum Thema machen dürfen, weil wir (wer ist genau gemeint damit?) auch nicht perfekt sind?